Wespe: Unterschied zwischen den Versionen
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Es gab eine Reihe von Konflikten, die 1994 eskalierten. Auslöser war der Auftritt der Kölner Polit-Punk-Kabarett Gruppe "Heiter Bis Wolkig" auf einer Veranstaltung der Kulturgruppe Wespennest im Hambacher Schloss, obwohl es einen Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Bandmitglied gab. Es gab Proteste, tiefe Enttäuschungen und schwere Zerwürfnisse. Die Grundlagen des Projekts erwiesen sich in dieser Konfliktsituation als wenig tragfähig. Vor allem Frauen verließen enttäuscht die WESPE. | Es gab eine Reihe von Konflikten, die 1994 eskalierten. Auslöser war der Auftritt der Kölner Polit-Punk-Kabarett Gruppe "Heiter Bis Wolkig" auf einer Veranstaltung der Kulturgruppe Wespennest im Hambacher Schloss, obwohl es einen Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Bandmitglied gab. Es gab Proteste, tiefe Enttäuschungen und schwere Zerwürfnisse. Die Grundlagen des Projekts erwiesen sich in dieser Konfliktsituation als wenig tragfähig. Vor allem Frauen verließen enttäuscht die WESPE. | ||
Die Versuche, mit einem moderierten Plenum und einer stärkeren Formalisierung zu mehr Verbindlichkeit und einer besseren Zusammenarbeit zu kommen, konnten das Projekt nicht mehr retten. | Die Versuche, mit einem moderierten Plenum und einer stärkeren Formalisierung zu mehr Verbindlichkeit und einer besseren Zusammenarbeit zu kommen, konnten das Projekt nicht mehr retten. | ||
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+ | == Was bleibt? == | ||
+ | Bis heute gibt es das Projektzentrum „Ökohof“, eine ehemalige Möbelfabrik im Eigentum des WESPE – Verein zur Förderung von Ökologie und Selbstverwaltung. In den Wohnungen leben Leute, die der Wespe nahestehen, einige Gewerberäume sind an kleine Betriebe ohne kollektive Struktur vermietet. Die meisten selbstverwalteten Betriebe mussten aus finanziellen Gründen schließen, oder weil die Kollektivist*innen andere Lebenspläne hatten und gingen. Manche werden als Einzelunternehmen weitergeführt. Nur Bioladen und Buchladen bestehen bis heute, mit jeweils einem dreiköpfigen Betreiber*innen-Kollektiv und Angestellten. | ||
+ | Nach wie vor ist der Kulturverein Wespennest im Ökohof ansässig und organisiert Veranstaltungen. Auch das von Horst Stowasser gegründete AnArchiv hat nach seinem Tod im Ökohof ein neues Zuhause gefunden und wird nun vom Horst-Stowasser-Institut betrieben. Nach wie vor gibt es auf dem Gelände auch die Herberge für reisende Gesell*innen, die sich ihr kleines Haus schön zurecht gemacht haben und sich vollkommen selbst organisieren. | ||
+ | Geblieben sind auch die Erfahrungen derjenigen, die damals dabei waren, deren Träume und Sehnsüchte sich vielleicht zumindest zeitweilig erfüllt haben, teils aber auch bitter enttäuscht wurden. Im Juni 2019 wurde in Neustadt an der Weinstraße der 30. Geburtstag des einstmals größten anarchistischen Projekts der Bundesrepublik gefeiert. Mehr als 80 Leute kamen in den Ökohof. Viele von denen, die gegangen sind, erinnern sich noch gerne an ihre Zeit in der WESPE und haben sich ein Zugehörigkeitsgefühl erhalten. | ||
== Nachgedanken: == | == Nachgedanken: == |
Version vom 31. Mai 2021, 10:47 Uhr
Wespe - Werk selbstverwalteter Projekte und Einrichtungen
Inhaltsverzeichnis
Die Idee:
1985 erschien „Das Projekt A“ von Horst Stowasser (1951-2009) als DIN-A4-Broschüre in kleiner Auflage. Es war nicht im Buchhandel zu bekommen, sondern wurde in nummerierten Exemplaren persönlich weitergegeben. Darin entfaltete der Autor Ideen eines Projekts zur umfassenden gesellschaftlichen Veränderung, die seit einigen Jahren in bundesweiten Zusammenhängen diskutiert worden waren. Im Projekt A soll die Trennung zwischen Privatleben, Erwerbsarbeit und politischen Aktivitäten aufgehoben werden. Alle Lebensbereiche werden kollektiv organisiert. Kernstück sind die „Doppelprojekte“: Eine Gruppe, deren Mitglieder auch zusammen wohnen, betreibt gemeinsam sowohl ein wirtschaftliches Unternehmen, als auch ein kulturelles, soziales oder politisches Projekt, das aus den Gewinnen des Unternehmens finanziert wird. Mehrere solcher Doppelprojekte vernetzen sich und wirtschaften gemeinsam. Ausgangspunkt dieses Projektanarchismus sollte eine verschlafene, westdeutsche Kleinstadt sein. „In meinem Projekt geht es unter anderem darum, ein lustvolles Leben zu leben, ohne sich dessen zu schämen, ohne dass es auf Kosten anderer Menschen, der politischen Aktivitäten oder arroganter Ausbeutung anderer geschieht.“ An immer mehr Orten sollten solche Projekte entstehen, einen gemeinsamen Rat bilden, und Schritt für Schritt soll sich dieses neue, attraktive Lebensmodell ausweiten. Nach Horst Stowassers Vorstellung wird aus dem Projekt A „ein dynamisches Konzept, eine Idee, die sich über das ganze Land – ja (bitte nicht lachen) über die ganze Welt ausbreiten kann. Soll!“
Geschichte:
Nach jahrelangen Diskussionen im bundesweiten "Projekt A"-Zusammenhang (der sich 1994 auflöste) wurden drei Orte ausgewählt: Leer in Ostfriesland, Alsfeld in der Nähe von Frankfurt am Main, und das pfälzische Neustadt an der Weinstraße. Leer kam nicht richtig ins Laufen. Der erste Versuch in Alsfeld scheiterte an den Menschen und ihrem problematischen Miteinander. So kam die „Bewerbung“ der Neustädter*innen zum Zuge und es entstand das Projekt A in Neustadt an der Weinstraße unter dem Namen "Werk selbstverwalteter Projekte und Einrichtungen" (WESPE). Dort gab es eine lokale Szene und ein paar selbstverwaltete Betriebe. Im Laufe der Jahre zogen immer mehr Leute dorthin, und nach dem Scheitern von Alsfeld kam auch Horst Stowasser 1990 nach Neustadt. Ende 1989 wurde eine ehemalige Fabrik erworben und zum Projektzentrum "Ökohof" umgebaut, weitere Betriebe entstanden, das Projekt wuchs auf mehr als 100 Menschen an. Es ging nicht darum, die Ideen aus dem Projekt-A-Buch eins zu eins umzusetzen, das hatte auch Horst Stowasser nicht erwartet. Die WESPE hat sich nie als Gruppe mit einer bestimmten politischen Ideologie verstanden. Der anarchistische Anspruch bestand ausdrücklich in einer Offenheit für jede*n, wer sich dazugehörig fühlte. Von den Zugezogenen kamen einige wegen dem Projekt A mit einer politischen Perspektive. Andere wollten in einem bestimmten Kollektiv arbeiten. Es kamen auch Leute, die mit Politik nicht viel am Hut hatten, aber das soziale Miteinander schätzten. Gemeinsam war allen, dass sie – wenn auch auf unterschiedliche Weise – für sich und ihr Leben mehr suchten, als die bürgerliche Gesellschaft zu bieten hat.
Kollektivbetriebe:
Im Zuge des Ökohof-Ausbaus gründeten sich eine Bauschreinerei und ein Betrieb für ökologische Haustechnik, und es entstanden weitere Kollektivbetriebe. Zu guten Zeiten waren es 12 bis 13 Unternehmen, am erfolgreichsten entwickelten sich der Bioladen und das Umweltlabor. Hatte Horst Stowasser noch die Idee gehabt, dass die Betriebe ganz „normale“ Firmen sein sollten, wie Supermärkte oder Tankstellen, waren die Neustädter Kollektive – ebenso wie in anderen Städten – sehr anspruchsvoll. Ihre Produkte und Dienstleistungen waren hochwertig und ökologisch. Für die Zugehörigkeit zur WESPE gab es keine festen Kriterien. Jeder Betrieb wirtschaftete autonom, aber es gab gemeinsame informelle Zielvorstellungen hinsichtlich gemeinschaftlichem Eigentum, kollektiven Entscheidungsstrukturen und Einheitslöhnen. Die Produkte sollten ökologischen und ethischen Anforderungen genügen. Für Konflikte zwischen den Betrieben wurde eine Schlichtungsvereinbarung getroffen. Die selbstverwalteten Betriebe organisierten sich im RGW (Rat für gemeinsames Wirtschaften). Für Liquiditätsengpässe gab es einen Fonds. Wenn zum Beispiel ein Kollektiv Material für einen größeren Auftrag vorfinanzieren oder größere Warenbestände einkaufen musste, konnte der Betrag kurzfristig ausgeliehen werden. Das Geld dafür stammte aus dem Verkauf des Projekt A-Hauses in Alsfeld und wurde durch monatliche Beiträge der Kollektive aufgestockt. Die im Projekt A-Konzept vorgesehenen Doppelprojekte konnten nicht umgesetzt werden, weil die Betriebe keine Gewinne erwirtschafteten, die sie mit anderen hätten teilen können, sondern um ihre Existenz kämpfen mussten. Jedoch wäre WESPE nicht möglich gewesen ohne das – auch ökonomische – Zusammenwirken der Betriebe und Einzelpersonen. Gemeinsame Arbeitseinsätze, Kredite und Bürgschaften für den Ökohof, aber auch für einzelne Betriebe stellten einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor dar. Die Einheits- oder Bedarfslöhne lagen etwa zwischen 1.100 und 1.500 DM netto im Monat, zuzüglich betrieblicher Zuschläge für Kinder. Eltern oder dauerhafte Bezugspersonen von Kindern wurden innerhalb ihrer bezahlten Arbeitszeit für zwei bis vier halbe Tage pro Woche von den Betrieben zur Kinderbetreuung freigestellt.
Wohnen:
Das Wohnen war weniger kollektiv organisiert. Es gab einige kleinere Wohn- und Hausgemeinschaften, manche wohnten aber auch alleine oder ganz traditionell als Kleinfamilie. Im Projekt gab es große Vermögensunterschiede, teilweise gab es Mietverhältnisse mit Hauseigentümern aus dem Projekt. Der Versuch, ein ehemaliges Kasernengelände am Stadtrand zu erwerben, um dort Wohn- und Arbeitsräume für Viele zu schaffen, scheiterte an menschlichen Zerwürfnissen. Ab Mitte der 90er Jahre verließen immer mehr Leute das Projekt. Später gab es einen erneuten Versuch gemeinschaftlichen Wohnens einer Gruppe um Horst Stowasser. Diese organisierte sich unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats und erwarb im Frühjahr 2008 den Eilhardshof. Während des Ausbaus geriet das Vorhaben 2010 in die Insolvenz. Neben gestiegenen Baukosten lag dies auch an Problemen innerhalb der Gruppe. Ein lehrreiches Resumee hat Michel Boltz im November 2010 in CONTRASTE veröffentlicht.
Politik und Projekte:
Die Mediengruppe Publik brachte monatlich die WESPE-Zeitung Stichpunkte heraus, in der alle wichtigen Projekt-Infos für Mitglieder und ihr Umfeld veröffentlicht wurden. Das interne Blättchen xyz diente mit Protokollen der verschiedenen Gremien in WESPE und Diskussionsbeiträgen der internen Transparenz. Dort wurden auch immer wieder Streitereien ausgetragen. Die Kulturgruppe Wespennest organisierte als Verein Musik und Literaturveranstaltungen. Es gab viele politische Initiativen, zum Beispiel gegen den Golfkrieg oder das Atomkraftwerk Philippsburg, praktische Solidarität mit Flüchtlingen, verschiedene Antifa-Aktionen und eine projektinterne Struktur zur finanziellen Hilfe für Frauen, die von der Verschärfung des Abtreibungsparagrafen 218 betroffen waren. Auf dem Gelände des Ökohof wurde ein kleineres Gebäude reisenden Handwerker*innen überlassen, die es sich als Herberge ausbauten.
Vernetzung:
WESPE gehörte damals zum Kommuja-Netzwerk politischer Kommunen, auch wenn es ein Grenzfall war, denn es wohnten ja nicht alle zusammen und es gab auch nur eine teilweise gemeinsame Ökonomie. In seiner Diplomarbeit hat Jens Herrmann die Kommunen Niederkaufungen, Schäfereigenossenschaft Finkhof und WESPE untersucht. Ein weiteres Netzwerk, in dem WESPE sich mit anderen Projekten austauschte, war das INCOF (international network of co-operative federations), das aus einem Treffen 1995 nach einem CONTRASTE-Schwerpunkt „Allein machen sie dich ein – Gegenseitige Hilfe in branchenübergreifenden Zusammenschlüssen“ (Mai 1994) über dezentrale anarchistische Projekte entstand. Sieben Jahre lang trafen sich jedes Jahr um den 3. Oktober herum libertäre Projekte aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Schweden und Deutschland. Horst Stowasser hatte eigene Netzwerke und bewegte sich weltweit in projektanarchistischen Zusammenhängen. Besonders enge Beziehungen hatte er nach Katalonien und Argentinien. Immer wieder kamen Freund*innen nach Neustadt zu Besuch, trafen dort auch andere WESPE-Mitglieder und es gab auch Gegenbesuche.
Struktur und Konflikte:
Formal war WESPE als Verein organisiert, jedoch sollte das im Alltag keine Rolle spielen. Oberstes Entscheidungsgremium war das monatliche Plenum, alle Entscheidungen wurden im Konsens getroffen. Das Plenum war offen für alle, die sich als am Projekt beteiligt verstanden. Eine formale Mitgliedschaft war anfangs nicht erforderlich. Durch das schnelle Anwachsen des Projektes ging nach und nach das Wir-Gefühl der ursprünglichen Gruppe verloren. Es gab nicht mehr die große WESPE-Familie, sondern verschiedene Untergruppen wie Frauen- oder Kommunegruppe, und manch Einzelne blieben draußen und rutschten durchs soziale Netz. Es gab eine Reihe von Konflikten, die 1994 eskalierten. Auslöser war der Auftritt der Kölner Polit-Punk-Kabarett Gruppe "Heiter Bis Wolkig" auf einer Veranstaltung der Kulturgruppe Wespennest im Hambacher Schloss, obwohl es einen Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Bandmitglied gab. Es gab Proteste, tiefe Enttäuschungen und schwere Zerwürfnisse. Die Grundlagen des Projekts erwiesen sich in dieser Konfliktsituation als wenig tragfähig. Vor allem Frauen verließen enttäuscht die WESPE. Die Versuche, mit einem moderierten Plenum und einer stärkeren Formalisierung zu mehr Verbindlichkeit und einer besseren Zusammenarbeit zu kommen, konnten das Projekt nicht mehr retten.
Was bleibt?
Bis heute gibt es das Projektzentrum „Ökohof“, eine ehemalige Möbelfabrik im Eigentum des WESPE – Verein zur Förderung von Ökologie und Selbstverwaltung. In den Wohnungen leben Leute, die der Wespe nahestehen, einige Gewerberäume sind an kleine Betriebe ohne kollektive Struktur vermietet. Die meisten selbstverwalteten Betriebe mussten aus finanziellen Gründen schließen, oder weil die Kollektivist*innen andere Lebenspläne hatten und gingen. Manche werden als Einzelunternehmen weitergeführt. Nur Bioladen und Buchladen bestehen bis heute, mit jeweils einem dreiköpfigen Betreiber*innen-Kollektiv und Angestellten. Nach wie vor ist der Kulturverein Wespennest im Ökohof ansässig und organisiert Veranstaltungen. Auch das von Horst Stowasser gegründete AnArchiv hat nach seinem Tod im Ökohof ein neues Zuhause gefunden und wird nun vom Horst-Stowasser-Institut betrieben. Nach wie vor gibt es auf dem Gelände auch die Herberge für reisende Gesell*innen, die sich ihr kleines Haus schön zurecht gemacht haben und sich vollkommen selbst organisieren. Geblieben sind auch die Erfahrungen derjenigen, die damals dabei waren, deren Träume und Sehnsüchte sich vielleicht zumindest zeitweilig erfüllt haben, teils aber auch bitter enttäuscht wurden. Im Juni 2019 wurde in Neustadt an der Weinstraße der 30. Geburtstag des einstmals größten anarchistischen Projekts der Bundesrepublik gefeiert. Mehr als 80 Leute kamen in den Ökohof. Viele von denen, die gegangen sind, erinnern sich noch gerne an ihre Zeit in der WESPE und haben sich ein Zugehörigkeitsgefühl erhalten.
Nachgedanken:
Autorin: Elisabeth Voss