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| Buchcover: || [[Bild:978-3868410594_Landauer-Ausgewaehlte_Schriften_Bd_7.jpg|250px]]
 
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| Autor/en: || '''Gustav Landauer'''
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| Autor/en: || '''Pierre-Joseph Proudhon'''
 
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| Titel: || '''Skepsis und Mystik'''
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| Titel: || '''Theorie des Eigentums'''
 
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| Titel: || '''Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik'''
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| Editoriales: || Übersetzung aus dem Französischen von Lutz Roemheld, Einleitung von Gerhard Senft
 
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| Editoriales: || (= Ausgewählte Schriften - Band 7). Hrsg., kommentiert, mit einer Einleitung und einem Personenregister versehen von Siegbert Wolf. Illustriert von Uwe Rausch
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| Verlag: || Gauke-Verlag
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| Verlag: || [[Verlag Edition AV]]
 
 
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| Erscheinungsort: || Lich/Hessen
 
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| Erscheinungsjahr: || 2011
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| Erscheinungsjahr: || 2010
 
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| Umfang, Aufmachung: || Originalausgabe. Broschur. 257 Seiten.  
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| Umfang, Aufmachung: || Kartoniert, 212 Seiten.
 
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| ISBN: || (ISBN-13:) 978-3868410594
+
| ISBN: || (ISBN-13:) 978-3879984589
 
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| Preis: || 18,00 EUR
 
| Preis: || 18,00 EUR
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==Besprechung==
 
==Besprechung==
==„Es gibt keine reine Vernunft“==
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=='''Die Theorie des Eigentums von Pierre-Joseph-Proudhon==
<font size = "3">'''Zur textkritischen Neuausgabe von Gustav Landauers „Skepsis und Mystik“'''</font>
 
 
 
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''"In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren,''<br>
 
''und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge,''<br>
 
''und wollte ich, so wäre ich nicht noch alle Dinge,''<br>
 
''und wäre ich nicht, so wäre Gott nicht.''<br>
 
''Es ist nicht nötig, dies zu verstehen."''
 
 
 
''Meister Eckhart''
 
</div>
 
  
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Bekannt ist er vor allem wegen seines provokanten Ausspruchs: "Eigentum ist Diebstahl!" Aber ansonsten ist Pierre-Joseph Proudhon, der radikale anarchistische Denker des 19. Jahrhunderts, fast in Vergessenheit geraten. Dass seine libertäre Sozialphilosophie und insbesondere seine Kritik des kapitalistischen Eigentums durchaus auch heute noch eine aktuelle Bedeutung besitzen, das möchten Lutz Roemheld und Gerhard Senft mit ihrer im Gauke-Verlag veröffentlichten Proudhon-Schrift „Theorie des Eigentums“ („Theorie de la Propriété") aufzeigen.
  
Die 1903 erschienene Schrift „Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik“ zählt zu Gustav Landauers philosophischen Hauptwerken. Das Werk markiert eine Wende im Denken Landauers hin zur Mystik. Im gleichen Jahr, in dem „Skepsis und Mystik“ veröffentlicht wurde, war auch Landauers Übersetzung der "Mystischen Schriften des Meister Eckhart" ins Hochdeutsche erschienen. Und es sind diese Schriften Eckhardts, die Landauers Verständnis der Mystik stark beeinflusst haben. Eckhart will die Befreiung des Menschen von den Zwängen einer Gesellschaft, die wenig oder gar keinen Raum zur individuellen Entfaltung gibt, da die Dogmen der Kirche alles Individuelle unterdrücken. Die „innere Einkehr“ macht den Menschen frei. Und auch Landauer will die Befreiung des Menschen von allen politischen, religiösen und gesellschaftlichen Zwängen. Nicht die anonyme Gesellschaft, sondern die übersichtliche Gemeinschaft gibt dem Einzelnen die notwendige Freiheit zur individuellen Entfaltung.
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Es war seine 1840 veröffentlichte Schrift „Qu'est-ce que la propriété?" („Was ist das Eigentum?"), mit der Pierre-Joseph Proudhon erst in Frankreich und bald auch international großes Aufsehen erregt hatte. Karl Marx urteilte 1845 über die Proudhon-Schrift, dass dieses Werk für die moderne, politische Ökonomie die gleiche Bedeutung habe, wie das Werk von Emmanuel Joseph Sieyès „Qu' est-ce que le Tiers Etat?“ (Was ist der Dritte Stand?) für die moderne Politik.
  
Landauer hat sich in „Skepsis und Mystik“ maßgeblich an die von Fritz Mauthner (1849-1923) und Max Stirner (1806-1856) entwickelte radikale Sprachkritik angelehnt. Seine eigene sprach- und erkenntniskritische Auffassung beschreibt er in „Skepsis und Mystik“ wie folgt:
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In „Qu'est-ce que la propriété?" und in seinen späteren Schriften zur Eigentumsfrage kritisiert Proudhon die herrschende Eigentumsordnung, die den Eigentümern von Produktionsmitteln in Gestalt einer „aubaine", eines unverdienten Vorteils, die Möglichkeit gibt, den Arbeitern als den wirklichen Produzenten wirtschaftlicher Werte den vollständigen Ertrag ihrer Arbeit zu entziehen, was zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit führt.
  
''„Es gibt […] keine reine Vernunft, es gibt keine Möglichkeit, die Erkenntnis anders zu fördern als mit Hilfe der Erfahrung, also der Sinne; die Allgemeinbegriffe sind nicht eingeborene Formen, die des Inhalts harren, sie sind nur Worte, gewordene Worte, und auch unsere Worte vom Werden und von der Entwicklung sind wiederum Worte. Die Sinne aber, auf die all unser Erkennen […] einzuschränken ist, sind nur Zufallssinne, sind gar nicht zur objektiven Welterkenntnis eingerichtet, haben sich nur so entwickelt, wie es das Interesse unseres Lebens erforderte. […] Weltanschauung! Sie ist nichts anderes als unser Sprachschatz; und der Sprachschatz ist unser Gedächtnis; und umgekehrt. […] So also steht es: Unsere Welt ist ein Bild, das mit sehr armseligen Mitteln, mit unseren paar Sinnen, hergestellt ist. Diese Welt aber, die Natur, in ihrer Sprachlosigkeit und Unaussprechbarkeit, ist unermesslich reich gegen unsere so genannte Weltanschauung, gegen Das, was wir als Erkenntnis oder Sprache von der Natur schwatzen.“''
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Die Grundlagen dieser wirtschaftlichen Ausbeutung sah Proudhon im Eigentumsrecht verwurzelt. Doch unterscheidet er zwischen Eigentum und Besitz. Deshalb richtet sich sein Ausspruch "Eigentum ist Diebstahl" nicht gegen den individuellen Besitz, sondern gegen das arbeitslose Eigentum, das dem Eigentümer ein Einkommen aus Zins, Grundrente oder Pacht garantiert, ohne dass er gezwungen ist, selbst etwas zu tun.
  
Für Gustav Landauers philosophisch-geistige Entwicklung war insbesondere seine Freundschaft mit dem Sprachkritiker und Kulturtheoretiker Fritz Mauthner (1849-1923) von großer Bedeutung. Er kannte Mauthner seit seinem 1889 in Berlin aufgenommenen Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität, und sie blieben über drei Jahrzehnte lang befreundet. Mauthner misstraute der Sprache aufgrund ihrer Unfähigkeit, die Dynamik der Wirklichkeit hinreichend zu erfassen. Er sah in ihr kein Erkenntnisinstrument, vielmehr ist sie ''„gar nichts anderes als ihr Gebrauch. Sprache ist Sprachgebrauch.“'' Mit dieser Sicht negierte Mauthner jegliche Wirklichkeitserkenntnis von Sprache und begrifflichem Denken. Sprache ist für Mauthner vor allem „Wortaberglauben“, und das will heißen: Die Menschen glauben zu denken, obgleich sie lediglich sprechen.
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Vom Erfolg seines Werkes „ Qu'est-ce que la propriété?" angespornt, veröffentlichte Proudhon in der Folgezeit weitere eigentumskritische Titel, in denen er auch seine libertären Ideen des Mutualismus (dem Prinzip der Gegenseitigkeit) und der Tausch- und Volksbank ("Banque Populaire") entwickelte, die die Grundpfeiler seiner Vision einer freiheitlichen und föderalistisch aufgebauten Gesellschaft bilden, in der es keine kapitalistische Ausbeutung mehr gibt.
  
Im Gegensatz zu Fritz Mauthner verknüpfte Gustav Landauer seine radikale Sprachkritik mit einer umfassenden Kultur- und Gesellschaftskritik. Die Synthese aus Sprach- und Gesellschaftskritik dient ihm als Basis zur Entwicklung seiner Vision der gesellschaftlichen Restrukturierung: ''„Das ist vielmehr das Große am Sozialismus: dass er uns von den Wortgebäuden weg zum Bau der Wirklichkeit führt.“''
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In „Theorie des Eigentums“, seiner letzten, 1866 posthum erschienenen Schrift zum Thema Eigentum, die nun erstmals in einer vollständigen deutschen Übersetzung vorliegt, unternimmt Proudhon eine differenzierte Analyse des Eigentums, indem er die positiven und die negativen Seiten des betrachteten Gegenstandes ausführlich gegeneinander abwägt. Demzufolge ist das Eigentum eine indiffe¬rente Kraft, die entweder nützlich oder missbräuchlich, wohltätig oder schändlich wirken kann. In demselben Maße, in dem sich das Eigentum manchmal konservativ zeigt, kann es Proudhon zufolge aber auch umstürzlerische Effekte hervorbringen. Eine Bewertung des Eigentums hängt also wesentlich von den jeweiligen historischen Gegebenheiten ab. Proudhon widerspricht der Auffassung, dass das Eigentum in der Hauptsache durch die erste Okkupation und durch den Einsatz von Arbeit begründet werde. Vielmehr verhindere das Okkupationsrecht die Schaffung von Eigentum, denn das postulierte Recht auf das Erzeugnis der Arbeit setze eine ungehinderte Nut¬zung der Produktionsmöglichkeiten voraus.
  
Als Ausweg aus der Sprachkritik Mauthners, der zufolge Sprache Welterkenntnis geradezu verhindere, gibt es bei Landauer die Option: Anstatt die Welt zu erkennen, selbst zur Welt zu werden. Geschehen könne dies mit Hilfe der Mystik durch „Absonderung“ und die Transformation der Sprache in bildhafte Poesie. Da Dichtung und poetische Ausdrucksform keinen Anspruch auf objektive Wahrheit erheben, eröffnen sie die Möglichkeit, die Verbindung der Menschen mit der Welt (wieder) herzustellen.
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Nach Proudhon kann auch durch Arbeit kein Eigentum an Grund und Boden begründet werden, da diese von niemandem erzeugt werden. Deshalb kann lediglich ein Recht an den Früchten der Arbeit oder ein Anspruch auf eine Entschädigung für die Nutzbarmachung bzw. Bewirtschaftung des Bodens geltend gemacht werden. Was das Mehrwert schöpfen¬de Eigentum betrifft, z.B. Produktionsmittel oder Mietobjekte, so ist nach Proudhon hierbei nicht nur eine schaffende, sondern auch eine „zerstörende" Funktion der Arbeit gegeben, da jede Erzeugung neuer Güter und Kapitalien zu einer Entwertung vorhandener Bestände führen muss. Deshalb trägt durch Arbeit hervorgebrachtes Eigentum die Tendenz einer Selbstkorrektur in sich. Das aus einem bornierten Egoismus geborene Eigentum wird durch die Gegenkräf¬te eines Bündnisses von Egoismen neutralisiert und verliert auf mittlere Sicht seine Kapitalfunktion. Die in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft als „Kollektivkraft" eingebrachte Arbeit zielt so auf Gleichheit, indem der Stellenwert des Eigentums innerhalb der Gesellschaft ständigen Veränderungen unterworfen wird.
  
Der Behauptung, dass der Mensch von Natur aus gut sei, setzt Landauer die Erkenntnis der Entfremdung des Individuums von der Natur entgegen. Diese Entfremdung kann erst durch den Prozess der geistigen „Wiedergeburt“ aufgehoben werden. Die Einheit von Mensch und Natur, das ist es, was Landauer unter Mystik versteht, wobei „wir selbst ein Stück der Welt sind“. Rationale Naturerkenntnis – die ausschließlich instrumentelle Annäherung an die Natur – gehöre bereits zum Prozess der Naturvereinnahmung und -zerstörung. Skepsis bedeutet hier bei Landauer die Weigerung, sich die Natur ausschließlich erkenntnistheoretisch anzueignen, und Mystik bedeutet die Bereitschaft, sich unvoreingenommen für Natur- und Welterfahrungen zu öffnen. Landauer hat ganz bewusst vom dem „Wiederanschluss“ an die Natur gesprochen, nicht von einer „Humanisierung“ der Natur. Er dachte dabei an Dezentralisation, an die Verbindung von Hand- und Kopfarbeit sowie an die Harmonisierung von Landwirtschaft, Kleinindustrie und Handwerk und an ländliche Gemeinschaftssiedlungen, um so zur Einheit von Welt, Ich und Natur zu gelangen.
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Zu Recht wird Proudhon als einer der bedeutendsten Wegbereiter des Anarchismus angesehen und seine sozialphilosophischen Ideen wurden auch in Deutschland in der Zeit des Vormärz rege von der linken kritischen Intelligenz – insbesondere von den Junghegelianern – diskutiert und rezipiert. Aber bereits in der Reaktionsperiode nach 1848/49 war der Name Proudhon in Deutschland teils in Vergessenheit geraten, teils wurden er und seine deutschen Anhänger, wie Arthur Mülberger und Gustav Landauer, von Karl Marx, Friedrich Engels und den Marxisten systematisch und mit Erfolg bekämpft.
  
Es ist keine homogene Weltanschauung, die Landauers Gefühl der Verbundenheit mit der Welt zugrunde liegt, vielmehr basiert sie auf der Vorstellung der Vielfalt unter den Menschen und in der Natur. Ihm zufolge kann die Geschichte der Weltanschauungen, der Philosophie wie der Religionen, in zwei Lager geteilt werden: ''„auf der einen Seite solche, die sich schnell bei etwas Positivem beruhigten: die Priester und die Gründer philosophischer Systeme als Bessere und die Pfaffen und Philosophieprofessoren als weniger Gute; auf der anderen Seite solche, die leidenschaftlich nach Ruhe begehrten, aber durch nichts beruhigt werden konnten: die Ketzer, Sektierer und Mystiker.“''
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Erst das „Proudhon-Jahr 2009" (aus Anlass des 200. Geburtstages von Pierre-Joseph Proudhon) hat zumindest in der wissenschaftlichen Forschung zu einer positiveren Einschätzung von Proudhon und seiner Sozialphilosophie geführt. So spricht etwa der Literatursoziologe und Philosoph Arno Münster, wenngleich auch mit Vorbehalten, von einer erneuten „Aktua¬lität“ Proudhons, und dies insbesondere wegen seiner Kritik am „industriellen Feudalis¬mus", die im Lichte des „immer autoritärere und neobonapartistische Züge annehmenden neoliberalen Systems" leicht aktualisierbar erscheint. Diese Einschätzung teilt auch Gerhard Senft, der neben Lutz Roemheld als einer der besten Proudhon-Kenner im deutschen Sprachraum gelten kann. In seiner Einleitung zur vorliegenden Proudhon-Schrift „Theorie des Eigentums“ würdigt er die Bedeutung von Pierre-Joseph-Proudhon für die Gegenwart wie folgt:
  
Die von Siegbert Wolf als siebenter Band der „Ausgewählten Schriften“ Gustav Landauers herausgegebene textkritische Ausgabe von „Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik“ basiert auf der Erstauflage von 1903. Sie wurde ergänzt um die von Martin Buber aus Landauers handschriftlichen Aufzeichnungen 1923 herausgegebene, erweiterte, zweite Auflage. Zusätzlich hat der Herausgeber diejenigen Essays Gustav Landauers in einem Anhang beigefügt, die zum tieferen Verständnis dieses Werkes unverzichtbar sind. In seiner Einleitung gibt Siegbert Wolf einen kenntnisreichen Einblick in die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser wohl wichtigsten philosophischen Schrift Gustav Landauers.
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„Als wesentliches Verdienst ist Proudhon aber anzurechnen, dass er auf¬zeigt, dass es abseits der herkömmlichen wirtschaftlichen Organisations¬formen noch etwas anderes, etwas grundsätzlich Neues geben kann. Wir kennen die Marktwirtschaft in ihren unterschiedlichen Erscheinungen, uns ist auch das System einer Staatswirtschaft geläufig, gelegentlich fällt uns noch die Schenkökonomie diverser Naturvölker ein. Den verschiedenen Ausprägungsformen von Wirtschaft tritt Proudhon ganz ohne jede Orthodoxie entgegen. Die Preisbildung auf dem Markte erscheint ihm unerläs¬slich, weil damit ein Knappheitsindikator gegeben ist. Eine Korrektur des freien Spiels der wirtschaftlichen Kräfte durch die öffentliche Hand kann er ebenfalls mit rationalen Argumenten belegen. Sein zentrales Ansinnen geht letztendlich jedoch über all das hinaus. Ihm geht es um eine neue Kultur der Teilhabe, der Kooperation und der gegenseitigen Anerkennung. Es ist dies eine Kultur, die hierarchische Strukturen durch die Selbstbestim¬mung ersetzt und die anstelle eines genormten Daseins mehr Heterogenität und Subjektivität zulässt. Von solchen Grundgedanken ausgehend, entwirft Proudhon das Modell einer andern, einer partizipativen, einer auf dem Reziprozitätsprinzip basierenden Ökonomie.
  
Landauers „Skepsis und Mystik“ kommt nicht nur der Rang einer grundlegenden Sprachphilosophie des Anarchismus zu, sondern es ist auch ein erkenntnistheoretischer Grundstein, auf dem ein anarchistisches Verständnis von Mystik aufbauen kann.
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In seiner "Theorie des Eigentums" unterzieht Proudhon das kapitalistische Eigentum einer wissenschaftlichen und politischen Grundsatzkritik. Die Aktualität der Schrift wird besonders dort deutlich, wo Proudhon das Eigentum als Instrument wachsender wirtschaftlicher und politischer Macht und als Gegenstand immer schärferer innergesellschaftlicher Konflikte charakterisiert. In einer Zeit, wie der unseren, die von einer globalen, immer weiter um sich greifenden und sich vertiefenden Wirtschaftskrise geprägt ist, macht es Sinn, sich mit Pierre-Joseph Proudhon und seinem Konzept einer sozial orientierten Organisation des Eigentums zu beschäftigen. Seine Vision einer auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit und Kooperation basierenden neuen Ökonomie ist durchaus zukunftsweisend.
  
 
Jochen Schmück,<br>
 
Jochen Schmück,<br>
Potsdam 15. November 2011
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Potsdam, im Februar 2012
 
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Version vom 19. Februar 2012, 16:32 Uhr

Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: 978-3868410594 Landauer-Ausgewaehlte Schriften Bd 7.jpg
Autor/en: Pierre-Joseph Proudhon
Titel: Theorie des Eigentums
Editoriales: Übersetzung aus dem Französischen von Lutz Roemheld, Einleitung von Gerhard Senft
Verlag: Gauke-Verlag
Erscheinungsort: Lich/Hessen
Erscheinungsjahr: 2010
Umfang, Aufmachung: Kartoniert, 212 Seiten.
ISBN: (ISBN-13:) 978-3879984589
Preis: 18,00 EUR
Direktkauf: bei aLibro, der Autorenbuchhandlung des DadAWeb]

Besprechung

Die Theorie des Eigentums von Pierre-Joseph-Proudhon

Bekannt ist er vor allem wegen seines provokanten Ausspruchs: "Eigentum ist Diebstahl!" Aber ansonsten ist Pierre-Joseph Proudhon, der radikale anarchistische Denker des 19. Jahrhunderts, fast in Vergessenheit geraten. Dass seine libertäre Sozialphilosophie und insbesondere seine Kritik des kapitalistischen Eigentums durchaus auch heute noch eine aktuelle Bedeutung besitzen, das möchten Lutz Roemheld und Gerhard Senft mit ihrer im Gauke-Verlag veröffentlichten Proudhon-Schrift „Theorie des Eigentums“ („Theorie de la Propriété") aufzeigen.

Es war seine 1840 veröffentlichte Schrift „Qu'est-ce que la propriété?" („Was ist das Eigentum?"), mit der Pierre-Joseph Proudhon erst in Frankreich und bald auch international großes Aufsehen erregt hatte. Karl Marx urteilte 1845 über die Proudhon-Schrift, dass dieses Werk für die moderne, politische Ökonomie die gleiche Bedeutung habe, wie das Werk von Emmanuel Joseph Sieyès „Qu' est-ce que le Tiers Etat?“ (Was ist der Dritte Stand?) für die moderne Politik.

In „Qu'est-ce que la propriété?" und in seinen späteren Schriften zur Eigentumsfrage kritisiert Proudhon die herrschende Eigentumsordnung, die den Eigentümern von Produktionsmitteln in Gestalt einer „aubaine", eines unverdienten Vorteils, die Möglichkeit gibt, den Arbeitern als den wirklichen Produzenten wirtschaftlicher Werte den vollständigen Ertrag ihrer Arbeit zu entziehen, was zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit führt.

Die Grundlagen dieser wirtschaftlichen Ausbeutung sah Proudhon im Eigentumsrecht verwurzelt. Doch unterscheidet er zwischen Eigentum und Besitz. Deshalb richtet sich sein Ausspruch "Eigentum ist Diebstahl" nicht gegen den individuellen Besitz, sondern gegen das arbeitslose Eigentum, das dem Eigentümer ein Einkommen aus Zins, Grundrente oder Pacht garantiert, ohne dass er gezwungen ist, selbst etwas zu tun.

Vom Erfolg seines Werkes „ Qu'est-ce que la propriété?" angespornt, veröffentlichte Proudhon in der Folgezeit weitere eigentumskritische Titel, in denen er auch seine libertären Ideen des Mutualismus (dem Prinzip der Gegenseitigkeit) und der Tausch- und Volksbank ("Banque Populaire") entwickelte, die die Grundpfeiler seiner Vision einer freiheitlichen und föderalistisch aufgebauten Gesellschaft bilden, in der es keine kapitalistische Ausbeutung mehr gibt.

In „Theorie des Eigentums“, seiner letzten, 1866 posthum erschienenen Schrift zum Thema Eigentum, die nun erstmals in einer vollständigen deutschen Übersetzung vorliegt, unternimmt Proudhon eine differenzierte Analyse des Eigentums, indem er die positiven und die negativen Seiten des betrachteten Gegenstandes ausführlich gegeneinander abwägt. Demzufolge ist das Eigentum eine indiffe¬rente Kraft, die entweder nützlich oder missbräuchlich, wohltätig oder schändlich wirken kann. In demselben Maße, in dem sich das Eigentum manchmal konservativ zeigt, kann es Proudhon zufolge aber auch umstürzlerische Effekte hervorbringen. Eine Bewertung des Eigentums hängt also wesentlich von den jeweiligen historischen Gegebenheiten ab. Proudhon widerspricht der Auffassung, dass das Eigentum in der Hauptsache durch die erste Okkupation und durch den Einsatz von Arbeit begründet werde. Vielmehr verhindere das Okkupationsrecht die Schaffung von Eigentum, denn das postulierte Recht auf das Erzeugnis der Arbeit setze eine ungehinderte Nut¬zung der Produktionsmöglichkeiten voraus.

Nach Proudhon kann auch durch Arbeit kein Eigentum an Grund und Boden begründet werden, da diese von niemandem erzeugt werden. Deshalb kann lediglich ein Recht an den Früchten der Arbeit oder ein Anspruch auf eine Entschädigung für die Nutzbarmachung bzw. Bewirtschaftung des Bodens geltend gemacht werden. Was das Mehrwert schöpfen¬de Eigentum betrifft, z.B. Produktionsmittel oder Mietobjekte, so ist nach Proudhon hierbei nicht nur eine schaffende, sondern auch eine „zerstörende" Funktion der Arbeit gegeben, da jede Erzeugung neuer Güter und Kapitalien zu einer Entwertung vorhandener Bestände führen muss. Deshalb trägt durch Arbeit hervorgebrachtes Eigentum die Tendenz einer Selbstkorrektur in sich. Das aus einem bornierten Egoismus geborene Eigentum wird durch die Gegenkräf¬te eines Bündnisses von Egoismen neutralisiert und verliert auf mittlere Sicht seine Kapitalfunktion. Die in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft als „Kollektivkraft" eingebrachte Arbeit zielt so auf Gleichheit, indem der Stellenwert des Eigentums innerhalb der Gesellschaft ständigen Veränderungen unterworfen wird.

Zu Recht wird Proudhon als einer der bedeutendsten Wegbereiter des Anarchismus angesehen und seine sozialphilosophischen Ideen wurden auch in Deutschland in der Zeit des Vormärz rege von der linken kritischen Intelligenz – insbesondere von den Junghegelianern – diskutiert und rezipiert. Aber bereits in der Reaktionsperiode nach 1848/49 war der Name Proudhon in Deutschland teils in Vergessenheit geraten, teils wurden er und seine deutschen Anhänger, wie Arthur Mülberger und Gustav Landauer, von Karl Marx, Friedrich Engels und den Marxisten systematisch und mit Erfolg bekämpft.

Erst das „Proudhon-Jahr 2009" (aus Anlass des 200. Geburtstages von Pierre-Joseph Proudhon) hat zumindest in der wissenschaftlichen Forschung zu einer positiveren Einschätzung von Proudhon und seiner Sozialphilosophie geführt. So spricht etwa der Literatursoziologe und Philosoph Arno Münster, wenngleich auch mit Vorbehalten, von einer erneuten „Aktua¬lität“ Proudhons, und dies insbesondere wegen seiner Kritik am „industriellen Feudalis¬mus", die im Lichte des „immer autoritärere und neobonapartistische Züge annehmenden neoliberalen Systems" leicht aktualisierbar erscheint. Diese Einschätzung teilt auch Gerhard Senft, der neben Lutz Roemheld als einer der besten Proudhon-Kenner im deutschen Sprachraum gelten kann. In seiner Einleitung zur vorliegenden Proudhon-Schrift „Theorie des Eigentums“ würdigt er die Bedeutung von Pierre-Joseph-Proudhon für die Gegenwart wie folgt:

„Als wesentliches Verdienst ist Proudhon aber anzurechnen, dass er auf¬zeigt, dass es abseits der herkömmlichen wirtschaftlichen Organisations¬formen noch etwas anderes, etwas grundsätzlich Neues geben kann. Wir kennen die Marktwirtschaft in ihren unterschiedlichen Erscheinungen, uns ist auch das System einer Staatswirtschaft geläufig, gelegentlich fällt uns noch die Schenkökonomie diverser Naturvölker ein. Den verschiedenen Ausprägungsformen von Wirtschaft tritt Proudhon ganz ohne jede Orthodoxie entgegen. Die Preisbildung auf dem Markte erscheint ihm unerläs¬slich, weil damit ein Knappheitsindikator gegeben ist. Eine Korrektur des freien Spiels der wirtschaftlichen Kräfte durch die öffentliche Hand kann er ebenfalls mit rationalen Argumenten belegen. Sein zentrales Ansinnen geht letztendlich jedoch über all das hinaus. Ihm geht es um eine neue Kultur der Teilhabe, der Kooperation und der gegenseitigen Anerkennung. Es ist dies eine Kultur, die hierarchische Strukturen durch die Selbstbestim¬mung ersetzt und die anstelle eines genormten Daseins mehr Heterogenität und Subjektivität zulässt. Von solchen Grundgedanken ausgehend, entwirft Proudhon das Modell einer andern, einer partizipativen, einer auf dem Reziprozitätsprinzip basierenden Ökonomie.“

In seiner "Theorie des Eigentums" unterzieht Proudhon das kapitalistische Eigentum einer wissenschaftlichen und politischen Grundsatzkritik. Die Aktualität der Schrift wird besonders dort deutlich, wo Proudhon das Eigentum als Instrument wachsender wirtschaftlicher und politischer Macht und als Gegenstand immer schärferer innergesellschaftlicher Konflikte charakterisiert. In einer Zeit, wie der unseren, die von einer globalen, immer weiter um sich greifenden und sich vertiefenden Wirtschaftskrise geprägt ist, macht es Sinn, sich mit Pierre-Joseph Proudhon und seinem Konzept einer sozial orientierten Organisation des Eigentums zu beschäftigen. Seine Vision einer auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit und Kooperation basierenden neuen Ökonomie ist durchaus zukunftsweisend.

Jochen Schmück,
Potsdam, im Februar 2012

INHALT

Einleitung von Siegbert Wolf

  • „Die Welt will werden […] sie will alles werden”
    - Zu Gustav Landauers sprachphilosophischem Hauptwerk [9]
  • Anmerkungen [25]

Gustav Landauer: Skepsis und Mystik

  • Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik. [39]
  • Anmerkungen [109]

ANHANG

  • Durch Absonderung zur Gemeinschaft (1900/01) [131]
  • Mauthners Sprachkritik (1901) [148]
  • Mauthners Sprachwissenschaft (1901) [154]
  • Die Welt als Zeit (1902) [169]
  • Die neue Welterkenntnis (1902) [182]
  • Mauthners Werk (1903) [191]
  • Musik der Welt (1905) [202]
  • Über den Zeitbegriff bei Fritz Mauthner [206]
  • Anmerkungen [207]
  • Zeittafel [231]
  • Primär- und Sekundärbibliographie [240]
  • Siglen und Abkürzungen [246]
  • Namenregister [248]
  • Zur Person des Herausgebers [250]



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