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− | <big><big> | + | <big><big>Stirner hatte keine Chance, aber er hat sie genutzt</big></big> |
− | <big><big> | + | <big><big>170 Jahre Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“</big></big> |
− | + | Im Oktober 1844 erschien in Leipzig das Buch von Max Stirner "Der Einzige und sein Eigentum", ein Buch, an dem sich bis heute die Geister scheiden, und das zu Anfang des 20. Jahrhunderts das philosophische Fundament für den sich auf Stirner berufenden individualistischen Anarchismus bildete. | |
− | + | Max Stirner (d.i. Johann Casper Schmidt, 1806-1856) verstand sich selbst allerdings niemals als Anarchist, und er gebrauchte den Begriff „Anarchie“ nur äußerst selten. Dort wo er ihn wie in seiner Kritik des Liberalismus benutzte, hat er ihn in seiner negativen Bedeutung verwandt. Statt der Anarchie propagierte Stirner in seinem Hauptwerk "Der Einzige und sein Eigentum" einen radikalen Egoismus, der allerdings unverkennbar anarchistische Züge trägt. | |
− | + | Während die akademische Forschung zu Stirner und seinem Werk in den letzten Jahren durchaus eine gewisse Renaissance erlebte, ist es um den organisierten individualistischen Anarchismus im deutschen Sprachraum still geworden. 2013 stellte die individualanarchistisch „angehauchte“ Zeitschrift „Espero“ ihr Erscheinen ein. Im Jahr darauf starb mit Uwe Timm ihr Mitherausgeber und einer der letzten Vor68er Repräsentanten des in der Tradition von John Henry Mackay stehenden deutschen Individualanarchismus. Auch die 2002 in Hummeltal bei Bayreuth gegründete Max-Stirner-Gesellschaft, die der akademisch ausgerichteten Max-Stirner-Forschung über ein Jahrzehnt als Plattform gedient hat, löste sich Ende 2013 auf. | |
− | + | Parallel zum Niedergang des deutschsprachigen organisierten Individualanarchismus konnte man innerhalb der libertären Linken beobachten, wie sich die Diskussion über das Verhältnis zwischen Anarchismus und Marxismus neu belebte. Zum einen hatte dies seine Ursache in der tlw. Rehabilitierung des Anarchismus durch die nach dem Niedergang des staatssozialistischen Modells nach ideologischer Neuorientierung suchenden marxistischen Linken. Zum anderen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten auch in der libertären Linken vermehrt Stimmen laut, die das traditionell antagonistische Verhältnis von Marxismus und Anarchismus kritisch hinterfragten. Charakteristisch für diese Diskussion innerhalb der libertären Linken ist die von Philippe Kellermann herausgegebene Schriftenreihe „Begegnungen feindlicher Brüder. Zum Verhältnis von Anarchismus und Marxismus in der Geschichte der sozialistischen Bewegungen“, die der historischen Aufarbeitung und dem Versuch einer ideologischen Neuorientierung dient. | |
− | + | Als Beitrag für die Reihe „Begegnungen feindlicher Brüder“ hat Jochen Knoblauch den Essay „Marx versus Stirner“ verfasst, der jedoch für die Veröffentlichung abgelehnt wurde. Soweit wollte man die „neue Brüderlichkeit“ zwischen Marxismus und Anarchismus nun doch nicht ausufern lassen, zumal Max Stirner und mit ihm der Individualanarchismus auch in der libertären Linken selbst nicht unumstritten ist. | |
− | + | Knoblauchs Essay ist im Oktober 2014 in einer erweiterten Fassung als eigenständiges Buch im Verlag Edition AV erschienen. Der Autor des Buches, Jochen Knoblauch, kommt aus dem früheren Umfeld der individualanarchistischen Mackay-Gesellschaft und hat mit Uwe Timm die Zeitschrift „Espero“ herausgegeben. So ist es nur konsequent, dass sein Essay als ein leidenschaftliches Credo zugunsten von Max Stirner und seiner Weltanschauung ausfällt. Mit Stirner und seinen Kritikern Marx und Engels treffen für Knoblauch Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: „Individuum gegen Masse, Personenkult gegen Selbstbewusstsein, eine weitestgehende Freiheit gegen ein Heilsversprechen (egal ob religiös oder Partei geprägt)“. | |
− | + | Minutiös zeichnet Knoblauch den Konflikt zwischen Marx/Engels und Max Stirner nach, der ein ziemlich einseitiger Konflikt gewesen ist, denn zu einer offen geführten Auseinandersetzung zwischen Stirner und seinen Kritikern Marx und Engels ist es niemals gekommen. Ihre Kritik an Stirner, die sie am deutlichsten in ihrer Abhandlung "Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten" formulierten, erschien erst posthum 1932, bzw. ein Teil der Stirner-Kritik war bereits unter dem Titel "St. Max" 1903/04 erschienen. Wer Freude an Polemik und Schmäh hat, für den ist der Text vom Marx und Engels sicher ein „Leckerbissen“. So wird Stirner in dem Text nur in Anführungszeichen geschrieben, oder er wird als "Sankt -" oder "Heiliger Max" oder eben als (Sankt) Sancho (in Anlehnung an Sancho Pansa, den Weggefährten des Don Quichote) bezeichnet. In der Endkonsequenz ist Stirner für die beiden Begründer des autoritären Kommunismus "Der hohlste und dürftigste Schädel unter den Philosophen . . ." , dessen "Musik", "wie die der Wischnupriester nur eine Note kennt . . ." | |
− | + | Dem setzt nun Knoblauch seine eigene Polemik gegen Marx/Engels und den Marxismus jeder Spielart entgegen, und er schlägt mit Hilfe von eingestreuten Zitaten von Musikern wie Bob Dylan, The Doors, Leonard Cohen und Patty Smith Brücken von der philosophischen Revolte Max Stirners hin zur Revolte der Beat- und Punk-Generation, denen Knoblauch in seiner Jugend angehörte und die sein Anarchismusverständnis geprägt haben. | |
− | + | Für Knoblauch repräsentiert Marx das 19. Jahrhundert, während Stirner über seine Zeit hinaus gewiesen hat. Und das ist für ihn der entscheidende Unterschied: | |
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+ | „Aber, ohne Erbsen zählen zu wollen, geht es im Konflikt Marx gegen Stirner in erster Linie um Bürgertum gegen Punk, Massenauflauf gegen Individualismus, Mitläuferrevoluzzer gegen Empörerinnen bis hin zum langweiligen Staatssozialismus gegen Pogotänzerinnen. Marx hatte seine Chance - und er hat sie vertan. Stirner hatte keine Chance, aber er hat sie genutzt.“ | ||
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+ | Ein mit Leidenschaft geschriebenes Buch über die Gegensätze zwischen Marxismus und Anarchismus, wie er sich von Max Stirner ableiten lässt – eine grimmige Dissonanz im Konzert der neuen „Brüderlichkeit“ zwischen Marxisten und Anarchisten, die aufhorchen lässt. | ||
Jochen Schmück<br> | Jochen Schmück<br> | ||
− | Potsdam, im | + | Potsdam, im April 2015 |
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Version vom 6. April 2015, 19:35 Uhr
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autor/en: | Jochen Knoblauch |
Titel: | Marx vs. Stirner |
Untertitel: | Oder: Ein Versuch über dieses & jenes |
Verlag: | Verlag Edition AV |
Erscheinungsort: | Lich |
Erscheinungsjahr: | 2014 |
Umfang, Aufmachung: | 96 Seiten, Broschur. |
ISBN: | (ISBN-13:) 978‐3868411201 |
Preis: | 14,80 EUR |
Direktkauf: | bei aLibro, der Autorenbuchhandlung des DadAWeb |
Besprechung
Stirner hatte keine Chance, aber er hat sie genutzt
170 Jahre Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“
Im Oktober 1844 erschien in Leipzig das Buch von Max Stirner "Der Einzige und sein Eigentum", ein Buch, an dem sich bis heute die Geister scheiden, und das zu Anfang des 20. Jahrhunderts das philosophische Fundament für den sich auf Stirner berufenden individualistischen Anarchismus bildete.
Max Stirner (d.i. Johann Casper Schmidt, 1806-1856) verstand sich selbst allerdings niemals als Anarchist, und er gebrauchte den Begriff „Anarchie“ nur äußerst selten. Dort wo er ihn wie in seiner Kritik des Liberalismus benutzte, hat er ihn in seiner negativen Bedeutung verwandt. Statt der Anarchie propagierte Stirner in seinem Hauptwerk "Der Einzige und sein Eigentum" einen radikalen Egoismus, der allerdings unverkennbar anarchistische Züge trägt.
Während die akademische Forschung zu Stirner und seinem Werk in den letzten Jahren durchaus eine gewisse Renaissance erlebte, ist es um den organisierten individualistischen Anarchismus im deutschen Sprachraum still geworden. 2013 stellte die individualanarchistisch „angehauchte“ Zeitschrift „Espero“ ihr Erscheinen ein. Im Jahr darauf starb mit Uwe Timm ihr Mitherausgeber und einer der letzten Vor68er Repräsentanten des in der Tradition von John Henry Mackay stehenden deutschen Individualanarchismus. Auch die 2002 in Hummeltal bei Bayreuth gegründete Max-Stirner-Gesellschaft, die der akademisch ausgerichteten Max-Stirner-Forschung über ein Jahrzehnt als Plattform gedient hat, löste sich Ende 2013 auf.
Parallel zum Niedergang des deutschsprachigen organisierten Individualanarchismus konnte man innerhalb der libertären Linken beobachten, wie sich die Diskussion über das Verhältnis zwischen Anarchismus und Marxismus neu belebte. Zum einen hatte dies seine Ursache in der tlw. Rehabilitierung des Anarchismus durch die nach dem Niedergang des staatssozialistischen Modells nach ideologischer Neuorientierung suchenden marxistischen Linken. Zum anderen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten auch in der libertären Linken vermehrt Stimmen laut, die das traditionell antagonistische Verhältnis von Marxismus und Anarchismus kritisch hinterfragten. Charakteristisch für diese Diskussion innerhalb der libertären Linken ist die von Philippe Kellermann herausgegebene Schriftenreihe „Begegnungen feindlicher Brüder. Zum Verhältnis von Anarchismus und Marxismus in der Geschichte der sozialistischen Bewegungen“, die der historischen Aufarbeitung und dem Versuch einer ideologischen Neuorientierung dient.
Als Beitrag für die Reihe „Begegnungen feindlicher Brüder“ hat Jochen Knoblauch den Essay „Marx versus Stirner“ verfasst, der jedoch für die Veröffentlichung abgelehnt wurde. Soweit wollte man die „neue Brüderlichkeit“ zwischen Marxismus und Anarchismus nun doch nicht ausufern lassen, zumal Max Stirner und mit ihm der Individualanarchismus auch in der libertären Linken selbst nicht unumstritten ist.
Knoblauchs Essay ist im Oktober 2014 in einer erweiterten Fassung als eigenständiges Buch im Verlag Edition AV erschienen. Der Autor des Buches, Jochen Knoblauch, kommt aus dem früheren Umfeld der individualanarchistischen Mackay-Gesellschaft und hat mit Uwe Timm die Zeitschrift „Espero“ herausgegeben. So ist es nur konsequent, dass sein Essay als ein leidenschaftliches Credo zugunsten von Max Stirner und seiner Weltanschauung ausfällt. Mit Stirner und seinen Kritikern Marx und Engels treffen für Knoblauch Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: „Individuum gegen Masse, Personenkult gegen Selbstbewusstsein, eine weitestgehende Freiheit gegen ein Heilsversprechen (egal ob religiös oder Partei geprägt)“.
Minutiös zeichnet Knoblauch den Konflikt zwischen Marx/Engels und Max Stirner nach, der ein ziemlich einseitiger Konflikt gewesen ist, denn zu einer offen geführten Auseinandersetzung zwischen Stirner und seinen Kritikern Marx und Engels ist es niemals gekommen. Ihre Kritik an Stirner, die sie am deutlichsten in ihrer Abhandlung "Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten" formulierten, erschien erst posthum 1932, bzw. ein Teil der Stirner-Kritik war bereits unter dem Titel "St. Max" 1903/04 erschienen. Wer Freude an Polemik und Schmäh hat, für den ist der Text vom Marx und Engels sicher ein „Leckerbissen“. So wird Stirner in dem Text nur in Anführungszeichen geschrieben, oder er wird als "Sankt -" oder "Heiliger Max" oder eben als (Sankt) Sancho (in Anlehnung an Sancho Pansa, den Weggefährten des Don Quichote) bezeichnet. In der Endkonsequenz ist Stirner für die beiden Begründer des autoritären Kommunismus "Der hohlste und dürftigste Schädel unter den Philosophen . . ." , dessen "Musik", "wie die der Wischnupriester nur eine Note kennt . . ."
Dem setzt nun Knoblauch seine eigene Polemik gegen Marx/Engels und den Marxismus jeder Spielart entgegen, und er schlägt mit Hilfe von eingestreuten Zitaten von Musikern wie Bob Dylan, The Doors, Leonard Cohen und Patty Smith Brücken von der philosophischen Revolte Max Stirners hin zur Revolte der Beat- und Punk-Generation, denen Knoblauch in seiner Jugend angehörte und die sein Anarchismusverständnis geprägt haben.
Für Knoblauch repräsentiert Marx das 19. Jahrhundert, während Stirner über seine Zeit hinaus gewiesen hat. Und das ist für ihn der entscheidende Unterschied:
„Aber, ohne Erbsen zählen zu wollen, geht es im Konflikt Marx gegen Stirner in erster Linie um Bürgertum gegen Punk, Massenauflauf gegen Individualismus, Mitläuferrevoluzzer gegen Empörerinnen bis hin zum langweiligen Staatssozialismus gegen Pogotänzerinnen. Marx hatte seine Chance - und er hat sie vertan. Stirner hatte keine Chance, aber er hat sie genutzt.“
Ein mit Leidenschaft geschriebenes Buch über die Gegensätze zwischen Marxismus und Anarchismus, wie er sich von Max Stirner ableiten lässt – eine grimmige Dissonanz im Konzert der neuen „Brüderlichkeit“ zwischen Marxisten und Anarchisten, die aufhorchen lässt.
Jochen Schmück
Potsdam, im April 2015
INHALT
Teil 1: Die Alten
- Einleitung (I)
- Vorab (II)
- Schneeballschlacht (III)
- Zur Rezeptionsgeschichte von Stirners "Einzigen" und Marx/Engels' "Die deutsche Ideologie"
- Marx / Engels und ihre Apologeten (Eine Auswahl)
- Noch was literarisch-künstlerisches
- (Vorläufige) Schlußbetrachtung
Teil 2: Die Jungen
- Schöne Aussichten hier
- Über das geniale Scheitern
- Vom Schluss zum Schulterschluss
- Nachtrag
- John Henry Mackay, An Max Stirner. Ein Gedicht
Anhang
Abbildungsnachweis