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Version vom 25. Dezember 2015, 11:40 Uhr

In Memoriam Barbara Uebel (13. März 1934 bis 9. August 2015)

Am 9. August 2015 ist Barbara Uebel gestorben. Die Doktorin der Biologie war durch den Berliner A-Laden mit libertären Ideen in Kontakt gekommen und zur Anarchistin geworden. Seit 1992 wurde sie vielen als Aktivistin für die Freie Heide bekannt. Sie lebte in einem Bauwagen auf dem Naturcampingplatz in Schweinrich. Drei Weggefährt_innen berichten für die Graswurzelrevolution von ihren Begegnungen mit Barbara.

Ich kann nicht genau sagen, wann ich Barbara das erste Mal traf. Es war vermutlich 1990 im A-Laden, dem Anarchistischen Laden in Berlin Moabit. Irgendwann war Barbara einfach da: Eine Wissenschaftlerin der Mikrobiologie, deren Betrieb, in dem sie die Jahre vor der Wende gearbeitet hatte, sich - wendebedingt - in Auflösung befand.

Mit dieser zwangsweisen beruflichen Entwurzelung und einer unwahrscheinlichen Perspektive auf eine Neuanstellung in einem Westbetrieb, da hier zu anderen Schwerpunkten geforscht wurde als in der DDR, "strandete" Barbara im A-Laden.

Sie war eine wissbegierige Person, die sich rasch mit den zu Ostzeiten von der SED unter Verschluss gehaltenen libertär-sozialistischen Ideen auseinandersetzte. Die Option auf einen "Dritten Weg", den viele DDR-Oppositionelle für das Territorium der ehemaligen DDR erhofften, wurde durch die Politik der Treuhand zerstört. Barbara fand jedoch Halt in diesen für andere häufig diffusen anarchistischen Ideen. Dieser Halt, dieses Potpourri an Ideen und Wegen hin zu einer neuen Gesellschaft, waren für sie wie chemische Bestandteile, die mensch "nur" richtig dosieren und kombinieren müsse, um ein Rezept, besser eine Formel, zu finden, dieser gewaltigen Macht, die sich gerade die DDR einverleibte, etwas substantiell entgegenzusetzen. Für mich als Wessi brachte sie viele neue Aspekte in meine Perspektive. Dank vieler teilweise nächtelanger Diskussionen, mal heftig, mal eher an Sachthemen auf hohem Niveau, lernte ich den Blick der Ossis besser zu verstehen.

Eines Abends kam ich in den A-Laden und der war bis zur Decke mit großformatigen Kartons vollgestellt. Dazwischen saß Barbara mit einem verschmitzten Lächeln, das das Glück der Forscherin transportierte, endlich eine lange gesuchte Formel gegen das Übel dieser Welt gefunden zu haben. Sie hatte einen Großteil ihrer nach der Währungsunion verbliebenen Kröten in Stoffbeutel (!) investiert und s t r a h l t e! Diese Beutel waren beidseitig mit "Löhne 1:1! Renten 1:1!" bedruckt. Wenn ich mich richtig entsinne, sogar auf den Kopf gestellt, so dass man den Kopf drehen musste, um die Botschaft zu lesen. Wir anderen im A-Laden begannen uns verwundert die Augen zu reiben. Was war denn hier los?

Barbara erklärte: "Jetzt müssen wir das hinkriegen mit dem "1:1", sonst wird der Osten jahrzehntelang mit Löhnen und Renten hinter dem Westen her hinken!" Soweit konnten ich und auch die anderen folgen.

Aber warum stand diese textliche Aussage auf dem Kopf?

Die DemoteilnehmerInnen sollten sich einen Besen o.ä. nehmen, um die Botschaft anderen zu lesen zu geben. Ich muss bis heute schmunzeln, wenn ich daran denke. Barbara schloss sich der anarchosyndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU) an. Zusammen mit einem Kollegen aus Brandenburg und anderen half sie mit, die FAU in der ehemaligen DDR aufzubauen. Sie hielt Vorträge, besuchte Koordinierungstreffen und fuhr zu den bundesweiten Kongressen. Die West-FAU stand Anfang der 90er kurz vor der Spaltung. In dieser Zeit gründete sich die FAU-Ost und beide Flügel "buhlten" um die neuen GenossInnen aus der ehemaligen DDR. Barbara war dagegen, sich als FAU-Ost auf einen dieser Flügel festzulegen und besuchte nach der Spaltung Konferenzen beider Seiten.

Im A-Laden hatte sich ein UnterstützerInnenkreis zur Rückgewinnung der Bakuninhütte nahe dem thüringischen Meiningen gebildet. Vom Altgenossen Hans Spaltenstein aus Hannover angetrieben, versuchten wir Rückübertragungsansprüche der in der Weimarer Zeit von AnarchosyndikalistInnen gebauten und 1933 von den Nazis enteigneten Hütte beim Bundesamt für offene Vermögensfragen geltend zu machen. Barbara war voll dabei. Mit Rat und Tat half sie mit, das verschüttete Wissen um die Geschichte dieser Bewegung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wieder zu Tage zu fördern. Mit anderen unternahm sie mehrere Fahrten nach Thüringen, um in Archiven nach Spuren zu suchen. Ein verbliebenes Zeugnis davon ist der "Sömmerda"-Film, in dem auch ZeitzeugInnen zu Wort kommen.

Die Anträge auf Rückübertragung der Bakuninhütte scheiterten. Als es später wieder eine Chance zu geben schien, die Bakuninhütte käuflich vom Bundesamt für Immobilienaufgaben zu erwerben, war Barbara sofort dabei. Sie gab etwas Geld zur notwendigen Kaufpreissumme dazu und war 2006 auch auf einem mehrwöchigen Baueinsatz mit helfender Hand zwischen den ganzen jungen Menschen dabei. Sie hatte keine Realitätsferne, wie man das oft bei WissenschaftlerInnen kennt: Einen Nagel einzuschlagen konnte nach ihrem Dafürhalten genauso viel politisch bewegen, wie eine Formel zu notieren.

Wir haben mit Barbara einen aufrechten Menschen, oft sympathisch starrköpfig, mit tiefer Seele und der Gabe, sich gut in das Gegenüber versetzen zu können, verloren. Solche Lücken sind schwer zu schließen, da solche Gewächse selten sind. Möge die Erde ihr leicht sein.

Ein Wanderfreund


Als wir 2005 die "Sichelschmiede-Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide" gegründet haben, war Barbara eine wichtige Kontaktperson für uns beim Ankommen in der Region. Seit vielen Jahren in der Bürgerinitiative Freie Heide aktiv und immer mit vielen im Gespräch, kannte sie die Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der lokalen Akteur_innen sehr gut. Zugleich war sie mit ihrem einfachen Leben im Bauwagen und ihren eigen-sinnigen Ideen immer ein bisschen Exotin und insofern keine "typische" Vertreterin der Bürgerinitiative.

Manchmal war es schwer, in ihre Gedankenwelt einzudringen. Ich habe noch ihr "Neiiiin!" im Ohr - wenn wir darüber gesprochen hatten, was die nächsten Schritte für unser Projekt wären, ich am Ende versuchte das von ihr Gehörte zusammen zu fassen und dabei offensichtlich den entscheidenden Punkt falsch verstanden hatte.

In dieser Zeit haben wir sehr persönliche Gespräche geführt.

Barbara berichtete mir von ihrer Kindheit: Den schrecklichen Bombennächten im Zweiten Weltkrieg und der furchtbaren Armut danach. Als Kinder waren sie und ihr Bruder auf die Mildtätigkeit anderer Leute angewiesen - eine Demütigung für Barbara, dankbar sein zu sollen für Dinge wie Essen, Kleidung und Obdach. Vielleicht konnte sie deshalb auch an ihrem Lebensende so wenig Hilfe annehmen. Eine prägende und schöne Zeit waren für Barbara die Jahre auf der Salzmannschule, wo sie ihr Abitur machte. Sie berichtete von den besonderen Kommunikationsstrukturen an dieser Schule, im Prinzip einem dauernden verschränkten Plenum: Die Schüler_innen lebten in altersgemischten Wohngruppen, saßen beim Essen aber in anderen Gruppen im Speisesaal und waren in den Schulklassen wieder anders gemischt. So war sichergestellt, dass jedes Ereignis im Schulleben schnellstens die Runde machte. Hatte jemand andere geschädigt oder seine/ihre Pflichten vernachlässigt, dann entschieden nicht Erwachsene über die Konsequenzen, sondern der Fall wurde von der Schulgemeinde so lange diskutiert, bis sich alle einig waren, was zu geschehen hatte.

Barbara überzeugte an diesem Modell vor allem, dass es ohne Moderation und Plena auskam. Gespräche in großen Gruppen waren ihr nicht geheuer. Ich war da mit ihr einig, plädiere ich doch in meiner eigenen Arbeit als Trainerin dafür, in Entscheidungsprozessen größere Gruppen in Bezugsgruppen von sieben bis 15 Leuten aufzuteilen, damit sich alle noch gut zuhören können. Doch an dieser Stelle war mir wieder ein "Neiiiin!" von Barbara sicher. Gute Gespräche, so fand sie, konnte man mit zwei bis drei Leuten führen. Bei vier ging bei ihr schon die große Gruppe los. Jeder Moderation gegenüber war sie skeptisch, weil die ihrer Meinung nach zwangsläufig wieder mit Dominanz verbunden war.

Eine meiner letzten Begegnungen mit ihr war bei einer Wir-haben-es-satt-Demo in Berlin. Barbara war aktive Mitstreiterin der Initiative "Wittstock contra Industriehuhn". Gemeinsam standen wir mit unserem Transparent in der Nähe der Bühne.

Nach einigen Redebeiträgen folgte laute Musik, die in der Nähe der großen Lautsprecher kaum auszuhalten war. Nach einer Weile vermisste ich Barbara - und fand sie hinter der Bühne, zitternd, zusammengesunken. Der plötzliche Lärm hatte bei ihr einen flashback ausgelöst, sie durchlebte noch einmal die Bombennächte ihrer Kindheit. Der Krieg, den sie in ihrer Kindheit erlebt hat, hat sie bis an ihr Lebensende begleitet. So war es sicher kein Zufall, dass sich Barbara gerade in der Kyritz-Ruppiner Heide angesiedelt hatte. In dieser schönen Region konnte sie die Ruhe finden, die sie brauchte - und zugleich gegen die Pläne der Bundeswehr kämpfen, hier für den Krieg zu üben. Auf einem 12.000 ha großen Gelände, von der Sowjetarmee früher als Bombodrom genutzt, wollte die Bundeswehr nach der Wende einen Luft-Boden-Schießplatz einrichten. Waren zunächst vor allem Zielübungen mit ungelenkten Bomben geplant, so verlagerten sich die Planungen im Laufe der Jahre mehr zu komplexen Übungsszenarien mit Luft- und Bodentruppen aus verschiedenen NATO-Ländern.

Auch das Verfahren zum Abwurf von Atombomben, das sogenannte Loft-Verfahren, sollten Tornado-Piloten hier üben, um die in Büchel stationierten US-Atombomben im Ernstfall ins Ziel bringen zu können.

Von 1992 bis 2010 ging der friedliche Protest und Widerstand gegen dieses Projekt. Durch eine Kombination von Demos, Klageverfahren, Zivilem Ungehorsam und Lobbyarbeit war die Bewegung letztlich erfolgreich. Barbara war an vielen Facetten dieser Bewegung beteiligt, aber der Zivile Ungehorsam lag ihr besonders nahe. Das Bombodrom-Gelände zu betreten, wann immer sie das wollte, war ihr selbstverständlich. Sie suchte dort Pilze, kürzte mit ihrem Fahrrad den Weg zu Freund_innen ab, ging im Militärgebiet spazieren und nahm dort ihre Sonnenbäder.

Besonders beschäftigt hat sie die Frage, was passiert, wenn die Bundeswehr tatsächlich mit dem Üben anfängt. "Was, wenn sie doch Bomben?" - unter diesem Titel veröffentlichte sie eine Flugschrift, in der sie in der ihr eigenen, bescheidenen und doch selbstbewussten Weise ihre Gedanken zur Entwicklung einer gewaltfreien Widerständigkeit teilte. "Wie ich mir gegenwärtig eine Aktion vorstelle, an der ich teilnehmen will, wenn es nötig wird", überschreibt sie einen Absatz - und führt dann in aller Ausführlichkeit ihre Ideen und Wünsche für einen kreativen, gut organisierten gewaltfreien Widerstand aus. Dass viele ihrer Überlegungen für die Einheimischen fremd bleiben würden, konnte sie sich denken. Das war Barbara: Immer mit vielen im Gespräch, geerdet, mit dem Mut und der Fähigkeit, quer und visionär zu denken.

Ulrike Laubenthal


Ich lernte Barbara durch einen gemeinsamen Freund kennen, der sie in Hochachtung als Wissenschaftlerin bewunderte. Schnell fanden Barbara und ich gemeinsame Plattformen, denn unsere Wurzeln lagen nicht weit voneinander entfernt (Thüringen und Sachsen).

Der Generations-Unterschied spielte keine Rolle. Im Gegenteil, er war für uns verbindend. Die Geschichte, das frühere Erleben spielte eine große Rolle. Es war für uns interessant, wie ich, um Jahre jünger, das Gleiche anders erlebt habe.

Wir haben neben unseren Begegnungen in Schweinrich auf dem Campingplatz stundenlang telefoniert. Dabei haben wir einander zugehört, hinterfragt, voneinander gelernt, miteinander gelacht und eine gemeinsame Sprache gefunden. Unsere Freundschaft ist gewachsen.

Zu Vielem hatten wir gleiche Ansichten. Gewaltfreiheit war ein wichtiges Thema. Wir lasen zu diesem Thema die gleichen Bücher und erdachten Konzepte zum Leben ohne Gewalt.

Ein friedvolles Miteinander sollte allen Menschen ein Lebensziel sein. Zur Natur hatten wir beide eine große Zuneigung. Auch darüber konnten wir immer wieder reden, über Heilkräuter und wie sie helfend eingesetzt werden können. Barbara verfügte über ein großes botanisches Wissen, das sie durch Nachlesen fundamentierte.

Einmal waren wir noch im November Pilze suchen. Der Tag war kalt. Dennoch haben wir eine ordentliche Mahlzeit zusammengesammelt. Barbara kannte Pilze, deren Namen ich noch nicht mal gehört habe. Bei dieser Wanderung wurde mein Rocksaum taunass (wie es sich für eine Hexe gehört). Im Wagen dann konnte die Kleidung trocknen, und unser Gespräch bekam eine neue Bahn.

Ein schönes Erlebnis war es, mit Barbara Kraniche zu beobachten, die sich entschlossen hatten, nicht in den Süden zu ziehen, sondern in der Freien Heide zu bleiben. Wie auch Barbara selbst sich entschieden hatte.

Eine Facette, die nicht alle kannten, war Barbaras Liebe zu Musik. Schon im Kindesalter sang sie im Chor des Gymnasiums und spielte im Orchester der Schule mit. Ich bin selbst aktive Chorsängerin. So fand ich in Barbara eine Gleichgesinnte, mit der ich oft und gerne zusammen sang, nicht zuletzt am Telefon.

So wie mir erging es auch anderen Menschen. Barbara hat Jede/n ernst genommen ohne Unterschiede zu machen. Allen hat sie gern und respektvoll zugehört und sich mit ihnen unterhalten. Wir alle haben einen großen Verlust erlitten, aber so lange wir an Barbara denken und uns mit ihrem Leben beschäftigen, wird sie weiterleben!

Elsa Gliem

Nachrufe aus: Graswurzelrevolution, Nr. 405, Januar 2016.