Mexikanische Revolution: Unterschied zwischen den Versionen
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„Rurales“, unter Díaz eingeführte Anti-Guerilla-Polizeieinheiten, sorgten für die brutale Unterdrückung der zunehmenden Aufstände der verzweifelten Landbevölkerung. | „Rurales“, unter Díaz eingeführte Anti-Guerilla-Polizeieinheiten, sorgten für die brutale Unterdrückung der zunehmenden Aufstände der verzweifelten Landbevölkerung. |
Version vom 4. Februar 2021, 14:41 Uhr
Inhaltsverzeichnis
- 1 Kleine Geschichte der Mexikanischen Revolution (1910-1920)
- 2 Am Vorabend: Das „Porfiriat“
- 3 Die Opposition zum „Porfiriat“
- 4 Erste Phase: November 1910 bis Mai 1911
- 5 Zweite Phase: Mai 1911-Februar 1912: Die „Revolution von unten“
- 6 Dritte Phase: Februar 1912-Juli 1914: Der Kampf gegen Huerta
- 7 Exkurs: Die Arbeiterbewegung in der Mexikanischen Revolution
- 8 Revolution in der Revolution
- 9 Pancho Villa und die Revolution des Nordens
- 10 Vierte Phase: Juli 1914 -Februar 1917: Bruderkampf der Revolutionäre
- 11 Fazit
- 12 Literatur
- 13 DadA-Links
Kleine Geschichte der Mexikanischen Revolution (1910-1920)
Politische Einordnung
In der politischen Literatur fällt die Charakterisierung der revolutionären Ereignisse in Mexiko unterschiedlich aus:
- Konservative sehen die Revolution als bloßen Elitenkonflikt zwischen verschiedenen Fraktionen der Agraroligarchie und des Bürgertums.
- Gemäßigt-liberale bezeichnen sie als eine bürgerliche Revolution, in der um die Art und Weise der Agrarreform gerungen wurde und die auf die Etablierung eines demokratischen Systems zielte.
- Linke betrachten sie eher als eine „unvollendete“ bzw. „unterbrochene“ Revolution, in der die Interessen der mobilisierten Arbeiter und Bauern den entscheidenden Druck ausübten, sich jedoch letztendlich nicht durchsetzen konnten.
Welche Charakterisierung auch immer, entscheidend für Heftigkeit und Verlauf dieser Revolution war die Mobilisierung vor allem der bäuerlichen Bevölkerung und ihre Intervention in das politische Geschehen. Diese Mobilisierung ist nur vor dem Hintergrund der sozialen Gärung zu verstehen, welche das Regime vor der Revolution – das „Porfiriat“ (1876-1910) – mit sich brachte.
Am Vorabend: Das „Porfiriat“
Das „Porfiriat“ ist die Bezeichnung einer historischen Epoche: 1876 etablierte sich unter General Porfirio Díaz eine über dreißig Jahre anhaltende Entwicklungsdiktatur. Díaz – politisch ursprünglich liberal orientiert – hatte es in diesem Zeitraum immer wieder verstanden, die Wahlen so zu manipulieren, dass er die Präsidentschaft stets erneut antreten konnte.
Sein Regime strebte eine forcierte wirtschaftliche Modernisierung Mexikos an. Die Voraussetzung dafür sollte die Beendigung der politischen Instabilität des Landes bilden. Dazu wurde die Bevölkerung einer strikten staatlichen Kontrolle unterworfen und die Macht der Großgrundbesitzer und des Klerus gestärkt.
Die wirtschaftliche Expansion erfolgte durch eine exportorientierte Ausrichtung der Landwirtschaft und auf Grundlage ausländischer Kapitalinvestitionen (diese machten zwischen 1900 und 1910 rund zwei Drittel der Gesamtinvestitionen in Mexiko aus). Die Investitionen flossen vornehmlich in den Ausbau des Eisenbahnnetzes und in Industrieprojekte (Bergbau, Textilindustrie, Erdölförderung). Die für den Ausbruch der Revolution entscheidende Dynamik bildete die enorme Landaneignung durch Ausdehnung des Großgrundbesitzes während des „Porfiriats“:
Im Jahre 1883 verabschiedete die Díaz-Regierung ein neutral formuliertes Agrargesetz, dessen erklärtes Ziel die Erschließung und Urbarmachung von unbebautem Grund und Boden war. In Wirklichkeit diente dieses Gesetz jedoch einem aggressiv durchgeführten Umverteilungs- und Konzentrationsprozess des Landbesitzes zugunsten der Latifundien (Großgrundbesitz) und Haziendas (monokulturelle Agrarfabriken), die oft von ausländischen Gesellschaften bewirtschaftet wurden. Das Gesetz billigte den Gesellschaften, die Staatsland oder brachliegendes Dschungelgebiet vermaßen, ein Drittel des zu vermessenden Landes kostenlos und weiteres zu Spottpreisen zu.
Die Vermessungsaktionen machten auch nicht vor dem kleinbäuerlichen Besitz im Norden Halt. Ebenso nicht vor dem jahrhunderte alten Gemeindeland (den „Ejidos“) der indianischen Dorfgemeinden im Süden. Dabei wurde ausgenutzt, dass keine schriftlich fixierten Besitztitel existierten, so dass die Betroffenen dadurch oder durch direkte Gewaltanwendung mit Hilfe staatlicher Organe, ihren angestammten Besitz verloren. Schließlich waren am Ende der Díazdiktatur 90 Prozent der „Ejidos“ zerschlagen.
Viele, denen so ihre Existenzgrundlage geraubt wurde, mussten das Land ihrer Vorfahren verlassen und vegetierten fortan in den Städten am Rande der Gesellschaft dahin. Als Arbeitslose bildeten sie die Reservearmee billiger Arbeitskräfte für die neu entstandenen Industrien im Norden Mexikos oder mussten zur Arbeit auf die Plantagen in die angrenzenden USA emigrieren. Manche indianische Dorfgemeinschaften behaupteten sich unter schwierigsten Bedingungen auf verkleinerter Fläche. Um die Familien überhaupt noch ernähren zu können, mussten sich Familienmitglieder als Saisonarbeiter auf den Gütern in der Umgebung verdingen. Dort gerieten sie als Peónes leicht in die Schuldknechtschaft („Peónaje“).
Dieses System funktionierte so: Die Betroffenen wurden durch den Verlust ihres Landes und der Auflösung der schützenden Dorfgemeinschaft gezwungen, Schulden zu machen. Dies führte meistens zu einer lebenslänglichen Abhängigkeit vom Gläubiger. Das bedeutete auf Lebenszeit, sieben Tage in der Woche, Schwerstarbeit auf den Gummi-, Kaffee-, Sisal- oder Mahagonihaziendas unter schwierigsten Bedingungen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Soviel auch gearbeitet wurde, der Schuldenberg wuchs ständig an, da der Peón gezwungen war, das Lebensnotwendige im haziendaeigenen Laden zu überhöhten Preisen einzukaufen. Die Schulden vererbten sich schließlich auf die Kinder, deren Schicksal im Teufelskreis zwischen Schuften und Schuldenanhäufung damit ebenso vorgezeichnet war.
Es ist nachvollziehbar, dass dieses Sklavereisystem nur mit Terror und Gewalt aufrechterhalten werden konnte. Dazu verfügten die Haziendas über ein eigenes Disziplinarsystem mit brutalen Aufsehern, eigenen Gefängnissen und sogar eigener angemaßter Gerichtsbarkeit. Das korrupte Verwaltungssystem sicherte dieses Regime mit Unterstützung von Polizei und Militär staatlicherseits ab.
„Rurales“, unter Díaz eingeführte Anti-Guerilla-Polizeieinheiten, sorgten für die brutale Unterdrückung der zunehmenden Aufstände der verzweifelten Landbevölkerung.
Im Jahre 1884 verabschiedete die Díaz-Regierung ein Gesetz, durch das alle Bodenschätze den jeweiligen Grundstücksbesitzern zufielen. Dadurch sicherten sich vor allem ausländische Gesellschaften den Zugriff auf die nationalen Bodenschätze, besonders der Erdölvorkommen. Zur Absicherung seines Regimes umgab sich Díaz in Politik und Verwaltung mit Vertretern einer neuen politisch-technokratischen Klasse, den „Científicos“ („Wissenschaftler“, so genannt wegen ihrer Vorliebe, zur Lösung anstehender Probleme, „wissenschaftliche“ Erkenntnisse heran zu ziehen). Sie vertraten die rassistische Lehre, dass die mexikanische Bevölkerung, insbesondere der indianische Teil, von ihrer Zusammensetzung her zu minderwertig sei, um das Land zu entwickeln. Deshalb könne die Industrialisierung Mexikos nur durch den Zustrom europäischer Einwanderer und ausländischen Kapitals vorangetrieben werden.
Durch den zunehmenden politischen Einfluss der „Científicos“ sicherten sich vor allem us-amerikanische Gesellschaften den Zugriff auf die mexikanische Wirtschaft. Als Strohmänner auf leitenden Posten betrieben sie mit illegalen Methoden deren Finanz- und Bodenspekulationsgeschäfte.
Die Opposition zum „Porfiriat“
Bald ergab sich eine wirtschaftliche Hegemonie der USA. Dies hatte für das Díaz-Regime bedrohliche Folgen. Die Regierung sah sich zu einem Befreiungsschlag in Form eines Nationalisierungsprogrammes gezwungen: 1903 übernahm sie 51 Prozent der bislang zu 80 Prozent in us-amerikanischer Hand liegenden Eisenbahnaktien.
Solche Maßnahmen kamen auf Druck der neuen selbstbewussten Schicht des mexikanischen Bürgertums zustande, welches eigene – „nationale“ – Interessen verfolgte. Dazu zählten vor allem die Hacendados (Großgrundbesitzer) im Norden des Landes, die inzwischen genug Kapital angehäuft hatten, um in eigene moderne Fabriken zu investieren.
Ab 1910 entwickelte sich um den liberal gesinnten Großgrundbesitzer Francisco Madero (1878-1913) ein Oppositionszirkel. Schon 1908 hatte er ein Buch veröffentlicht, in dem er für freie Wahlen und zum Kampf gegen die Wiederwahl von Díaz aufgerufen hatte und zwar ausschließlich mit legalen Mitteln. Seine Regimekritik bewegte sich folglich im rein politisch-institutionellen Rahmen und vermied Forderungen nach Veränderung überholter Sozialstrukturen. Zugleich formierte sich Widerstand gegen das Díaz-Regime durch die Industriearbeiterschaft, die um 1910 ca. fünf Prozent der Bevölkerung ausmachte.
Von der nördlichen Industriearbeiterschaft gingen die heftigsten sozialen Bewegungen während des „Porfiriats“ aus und nicht – wie später – von der Landbevölkerung. Die organisatorische Herausbildung einer Arbeiterbewegung vollzog sich jedoch größtenteils in der Hauptstadt. Zwar ging es der Arbeiterschaft im Vergleich zu den Péones relativ besser, jedoch lebten auch sie unter so harten Bedingungen, dass militante Arbeitskämpfe, trotz des Gewerkschaftsverbots, immer mehr um sich griffen. Zwischen 1881 und 1911 gab es 250 Streiks, obwohl jede Art von Streik verboten war.
In diesem Milieu konnten Anfang des 20. Jahrhunderts in Mexiko auch sozialistische bzw. anarchistische Ideen Fuß fassen.
Im liberal-bürgerlichen Lager mehrten sich inzwischen die Stimmen, die auf eine Ablösung des Generals drängten: Treibende Kraft waren die Brüder Ricardo und Jesús Flores Magón , die auch Mitbegründer der Oppositionszeitung „Regeneración“ („Erneuerung“) waren und später ein Blatt namens „El Hijo del Ahuizote“ herausgaben, in der die führenden Regierungspolitiker lächerlich gemacht wurden. Im Februar 1901 fand der erste liberale Kongress statt. Die Teilnehmer forderten eine Rückkehr zur Reformpolitik der 1850er Jahre und planten, einen „echten“ Liberalen als nächsten Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Die liberalen Klubs, die sich bildeten, wurden jedoch verboten und ihre Mitglieder verhaftet.
In der Folgezeit spaltete sich ein radikaler Flügel unter Ricardo Flores Magón ab, der sich zunehmend anarchistischen Ideen öffnete.
Mit Gleichgesinnten gründete er im September 1906 die PLM („Partido Liberal de México“ – „Liberale Partei Mexikos“), in deren Programm sich Forderungen breiter Bevölkerungskreise wiederfanden. Seit ihrer Gründung kämpfte die PLM für die Beseitigung des Díaz-Regimes mit radikalen öffentlichkeitswirksamen Flugblättern, Plakaten und Schriften. Die dadurch mit ausgelösten Unruhen zogen Verhaftungswellen nach sich, auf die wiederum eine Reihe militanter Auseinanderset-zungen und Aufstände folgte.
In den blutig niedergeschlagenen Streiks in der Textil- und Bergbauindustrie im Norden Mexikos (1906-1907) spielte diese Strömung eine nicht unerhebliche Rolle. Der drängendsten Frage des Landes – dem Agrarproblem – wendete sie sich zu dieser Zeit jedoch weder programmatisch noch politisch zu. Eine Wirtschaftskrise, die ab 1907 die USA erfasst hatte, erhöhte die ökonomischen und politischen Spannungen in Mexiko. Die exportorientierte Wirtschaft des Landes geriet damit unter Druck. Vielen der Arbeiter, die auf den Haziendas und in den Industriebetrieben entlassen worden waren, blieb die Rückkehr in die Subsistenzlandwirtschaft wegen der inzwischen forcierten Landkonzentration verwehrt. Vor diesem Hintergrund wachsender sozialer Spannungen und neu entstandener sozialer Bewegungen, spitzte sich die politische Auseinandersetzung um die Wiederwahl von Porfirio Díaz schließlich zu einer revolutionären Krise zu.
Erste Phase: November 1910 bis Mai 1911
Im April 1910 fand der Gründungskongress des „Partido Nacional Anti-Reelecionista“ („Nationale Partei gegen die Wiederwahl“) statt, auf dem sich die gesamte mexikanische Opposition auf Francisco Madero als Gegenkandidaten zu Díaz einigte. Kurz vor der Präsidentschaftswahl ließ Díaz jedoch den Rivalen Madero verhaften. Darauf bestätigte am 27. September die Deputiertenkammer den 80-jährigen Diktator für die Zeit von 1910-1916 erneut die Präsidentschaft.
Madero, dem es am fünften Oktober gelungen war, in die USA zu fliehen, veröffentlichte darauf hin seinen „Plan von San Luis Potosí“, in dem er die Präsidentschaftswahl für ungültig erklärte und die Bevölkerung aufforderte, sich zu bewaffnen, um am 20. November 1910 die Regierung durch einen Aufstand zu stürzen. Aufgrund eines agrarpolitischen Minimalprogrammes (Rückgabe der enteigneten Ländereien an die früheren Besitzer) gelang es ihm, die ländlichen Widerstandsbewegungen und deren Führer auf seine Seite zu ziehen. Die Revolution brach schließlich in den Bundesstaaten Puebla und Chihuahua aus.
Im Bundesstaat Baja California formierte sich unter der Führung von Ricardo Flores Magón eine allgemeine Volkserhebung, die zur zeitweiligen Besetzung der Landeshauptstadt Mexicali führte. Von dort rief Magón am 30. Januar 1911 die „Sozialistische Republik Baja California“ aus, musste aber kurze Zeit später in die USA fliehen. Die Aufstandsbewegung war dennoch nicht mehr aufzuhalten. An der Spitze der Revolution standen im Süden die Landarbeiterbewegungen um Emiliano Zapata und im Norden um Pancho Villa. Innerhalb eines halben Jahres brachten die Aufständischen einen Großteil des Landes unter ihre Kontrolle. Díaz musste schließlich nach 30 Jahren uneingeschränkter Diktatur abdanken und begab sich am 31. Mai auf die Flucht nach Europa.
Am siebten Juni 1911 zog der aus den USA zurückgekehrte Madero im Triumphzug in die Hauptstadt ein und wurde zum neuen Präsidenten ausgerufen. Madero setzte zwar eine Reihe politischer Reformen durch (Wiedereinsetzung der liberalen Verfassung von 1857, Verbot der Wiederwahl des Präsidenten, Garantie demokratischer Freiheiten), aber für ihn galt mit den politisch-konstitutionellen Reformen die Revolution als abgeschlossen. Fortan suchte er den Ausgleich mit den Vertretern des alten Regimes. Auch blieben der Staatsapparat und die Position des Militärs unangetastet.
Das große Problem der elenden soziökonomischen Verhältnisse – besonders die Lösung der Agrarfrage – blieb jedoch unverändert bestehen. Die vom Großteil der Bevölkerung herbeigesehnten Reformen, wegen denen sie die Revolution überhaupt unterstützt hatte, blieben aus.
Zweite Phase: Mai 1911-Februar 1912: Die „Revolution von unten“
Die „Revolution von unten“ nahm nun ihren Anfang. Unter Emiliano Zapata wurde der Bundesstaat Morelos faktisch unabhängig von der Zentralregierung. Diese Revolution des Südens verkörperte das radikalste agrarrevolutionäre Element der Mexikanischen Revolution. In Morelos hatte sich unter dem „Porfiriat“ eine weitgehende Enteignung der Indiogemeinden vollzogen (Morelos wurde als die „perfekte Hazienda“ bezeichnet). Schon im neunzehnten Jahrhundert war es gegen die Ausbreitung der Zuckerrohrhaziendas zu vielfältigen Formen des Widerstandes gekommen (von bloßen juristischen Schritten bis hin zu gewalttätigen Aktionen).
Die herausragende Figur war Emiliano Zapata (1877-1919). Er wurde im Jahre 1910 im Dorf Anenecuilco zum Gemeindepräsidenten gewählt und stieg in kurzer Zeit zum Führer der Agrarbewegung von Morelos auf. Deren große Schlagkraft beruhte letztendlich auf einer homogenen sozialen Basis und gut organisierten bewaffneten Formationen. Bevor Zapata in die Politik ging, hatten er und seine Familie sich schon lange für die Belange und Sorgen der lokalen, zumeist indianischen Landbevölkerung, eingesetzt. Sein Ruf als Verteidiger der Entrechteten war legendär und die Bevölkerung brachte ihm fast religiöse Verehrung entgegen. Seine politischen Ideale wurden stark von den anarchistischen Ideen Ricardo Flores Magóns beeinflusst.
Emiliano Zapata erklärte am 12. August 1911, dass die Rebellenarmee des Südens so lange unter Waffen bleiben würde, bis die „Ejidos“ durch die Regierung an die Dorfgemeinschaften zurückgegeben würden. Dies war nicht zu erwarten und die Regierung Madero stieß zunehmend auf das Misstrauen ihrer früheren Bündnispartner. Nach weniger als einem Jahr seiner Präsidentschaft waren die eigentlichen Ziele der Revolution weit von ihrer Realisierung entfernt.
Nun sammelten sich im Süden erneut die bewaffneten Revolutionäre um Zapata, der am 28. November im „Plan von Ayala“ Madero zum „Verräter des Vaterlandes“ erklärte.
Im „Plan von Ayala“, der programmatischen Grundlage der Revolution des Südens, waren im Wesentlichen folgende Forderungen formuliert:
- Rückgabe der Gemeindeländereien
- Vergabe von einem Drittel des Großgrundbesitzes an die Bauern
- Enteignung der Revolutionsgegner
Dieses Programm verdeutlicht die doppelte Beschränkung der Revolution des Südens: Zum einen in seiner Begrenzung auf eine soziale Gruppe, also auf unmittelbar bäuerliche Forderungen und zum anderen in seiner regionalen Begrenztheit auf den Bundesstaat Morelos.
Aber immerhin bildete der „Plan“ die Handlungsgrundlage, durch die die revolutionäre Bauernbewegung unter der Losung „Tierra y Libertad“ („Land und Freiheit“) auf Jahre mobilisiert werden konnte. Obwohl Madero sofort Truppen in Marsch setzen ließ, gelang es der Regierung nicht, die Zapatabewegung unter Kontrolle zu bekommen. Dagegen gelang es den Aufständischen im Februar 1912 die Stadt Juarez zu besetzen und weitere militärische Erfolge zu erringen.
Inzwischen wurden alle sozialrevolutionären Bewegungen seitens der „revolutionären“ Regierung aktiv militärisch bekämpft. Zugleich sah sich das neue Regime auch noch zunehmend von konterrevolutionären Truppen bedroht.
Auch im Norden des Landes braute sich Unheil gegen die Regierung zusammen. Dort hatten sich die Revolutionäre um den späteren Überläufer zur Konterrevolution Pascual Orozco gescharrt. Orozco hatte sich am 25. März 1912 in seinem „Plan von Chihuahua“ von Madero losgesagt und in Chihuahua einen Aufstand angezettelt, der zur vorübergehenden militärischen Niederlage der Regierungstruppen führte. Einige Monate später war Madero jedoch wieder Herr der Lage: Am dritten Juli 1912 gelang es seinen Truppen unter dem Befehl Huertas – gemeinsam mit den Truppen Pancho Villas – den Aufstand von Chihuahua niederzuschlagen.
Nach nur 15 Monaten der Regierung Maderos entlud sich das politisch aufgeheizte Klima in einem Aufstand in der Hauptstadt. Die Regierung stand zwischen den bewaffneten Kräften, die auf eine Radikalisierung der Revolution drängten und denen, die Alles rückgängig machen wollten. In den folgenden „Decena Tragica“ („Die zehn blutigen Tage“), die am neunten Februar 1913 begannen, lieferten sich Regierungstruppen unter der Führung von General Victoriano Huerta mit reaktionären Putschisten erbitterte Gefechte.
Eine Woche später jedoch intrigierte Huerta gegen seinen Präsidenten und schloss sich am 18. Februar 1913 den Putschisten an. Madero und sein Vizepräsident wurden verhaftet. Schon einen Tag darauf ernannte die Deputiertenkammer mit us-amerikanischer Rückendeckung Victoriano Huerta offiziell zum neuen Präsidenten. Seine erste Amtshandlung bestand in der Veranlassung der Ermordung Maderos und des Vizepräsidenten Pino Suárez, denen zuvor freies Geleit aus Mexiko zugesichert worden war.
Dritte Phase: Februar 1912-Juli 1914: Der Kampf gegen Huerta
Huertas Machtergreifung und insbesondere die Morde an Madero und Suárez hatten im ganzen Land große Empörung hervorgerufen. Als er versuchte, sich per Staatsstreich diktatorische Vollmachten zu verschaffen, formierte sich ein breites und heterogenes Bündnis gegen ihn. Darin übernahm der bürgerlich-liberale Großgrundbesitzer Venustiano Carranza die Führung. Im „Plan von Guadelupe“ wurde das Programm dieses Bündnisses formuliert, das jedoch den Forderungen nach einer Agrarreform nur vage entgegen kam.
Dem Bündnis der Truppen, dem außer der Bewegung um Zapata, alle übrigen revolutionären Fraktionen angehörten, gelang es innerhalb weniger Monate, den Großteil des Landes unter seine Kontrolle zu bringen. Huerta musste am 15. Juli 1914 abdanken und floh ins Ausland.
In der Zeit der folgenden Übergangsregierung intervenierten die USA in das Geschehen. US-Präsident Woodrow Wilson bezeichnete sich als einen Gegner Huertas. Deshalb hob er schon im Februar 1914 das Waffenembargo gegenüber Mexiko auf und begünstigte damit die Rebellen. Im April 1914 griff er sogar direkt in die innermexikanischen Kämpfe ein, indem er Marinetruppen den Hafen von Veracruz besetzen ließ und dadurch die Lieferung deutscher Waffen an das Huerta-Regime verhinderte.
Die Finanzierung der Waffen für die Revolutionäre durch Geldgeber in den USA weist auf einen allgemein wichtigen Faktor in der Mexikanischen Revolution hin: Die Einflussnahme fremder Mächte. Ob nun die Verwicklung in den konterrevolutionären Staatsstreich von General Huerta, die Landung von US-Marineeinheiten in Veracruz, die Finanzierung der Revolutionsarmeen des Nordens oder die spätere Strafexpedition amerikanischer Truppen – die USA und europäische Mächte intervenierten auf vielfältige Weise in den mexikanischen Revolutionsprozess. Und schon vorher aber besonders während der Revolution, konnten die USA ihre ökonomische Vormachtstellung in Mexiko auf Kosten Großbritanniens ausbauen.
Exkurs: Die Arbeiterbewegung in der Mexikanischen Revolution
Die ersten mexikanischen Gewerkschaftsformierungen entstanden unter anarcho-syndikalistischem Einfluss. Als Vorbild galt die us-amerikanische Gewerkschaft „Industrial Workers of the World“ (IWW).
In den ersten Jahren der Revolution stand die organisierte Arbeiterschaft der Hauptstadt abseits. Am 15. Juli 1912 wurde die Gewerkschaftsvereinigung „Casa del Obrero Mundial“ („Haus der Arbeiter der Welt“) gegründet. Die Gruppe gab eine Zeitung namens „Luz“ („Licht“) heraus, die die Revolutionslosung „Tierra y Libertad“ in ihr Programm aufnahm.
Die „Casa del Obrero Mundial“ fühlte sich zur Neutralität im revolutionären Konflikt verpflichtet. Damit glaubte sie der anarchistischen Tradition zu entsprechen, Distanz zu politischen Auseinandersetzungen zu halten.
In den nördlichen Industriezentren nahmen jedoch Arbeiter an den zahlreichen revolutionären Erhebungen teil.
Revolution in der Revolution
In den Jahren 1914 / 15 radikalisierte sich die Bewegung im Bundesstaat Morelos weiter. Es kam zu einer „Revolution in der Revolution“. Die Radikalisierung war einerseits der polarisierenden Dynamik des Revolutionsverlaufs geschuldet (Auseinanderbrechen des Bündnisses mit bürgerlich-liberalen Kräften), andererseits machte sich der ideologische Einfluss radikaler städtischer Intellektueller (z.B. Ricardo Flores Magón und Zapatas Sekretär Manuel Palafox) bemerkbar.
Die revolutionären Maßnahmen gingen inzwischen weit über eine reine Restauration der Landverhältnisse vor dem „Porfiriat“ hinaus. Für Enteignungen wurden keine Entschädigungen mehr geleistet und von den Gemeinden getragene Agrarkommissionen führten eine radikale Landverteilung durch. Die Gründung einer Landkreditbank sollte den Wiederaufbau einer kleinbäuerlichen Wirtschaft unterstützen. Darüber hinaus kam es zur Vergesellschaftung der Zuckerrohrmühlen.
Pancho Villa und die Revolution des Nordens
Der Norden Mexikos wies im Vergleich zu Morelos eine besonders heterogene Sozialstruktur auf: Ein Teil der Landbevölkerung lebte als Peónes auf den Haziendas. Ihre Mobilisierung verlief äußerst unterschiedlich. Teils schlossen sie sich den entstehenden Bauernarmeen an, teils verharrten sie passiv im sozialen Mikrokosmos ihrer Hazienda.
Eine andere Gruppe im Norden bildeten die Nachkommen von „Militärkolonisten“. Diese waren bereits in der Kolonialzeit als freie Kleinbauern unter der Auflage angesiedelt worden, gegen die Indianerstämme zu kämpfen. Diese freien Kleinbauern („Rancheros“) hatten im „Porfiriat“ ihr Land zunehmend an Großgrundbesitzer verloren. Darüber hinaus war im Norden durch Bergbau und Textilindustrie ein Proletariat entstanden.
Die herausragende Figur im Norden war Francisco „Pancho“ Villa (1877-1923). Er war einer der wenigen Führerfiguren der Revolution des Nordens, der kein Vertreter der lokalen Elite war und der Schicht der Peónes entstammte. Villa organisierte nach der Ermordung Maderos die Revolutionstruppen des Nordens („División del Norte“) im Staat Chihuahua mit einer bäuerlichen Basis und war militärisch für eine lange Zeit sehr erfolgreich.
Pancho Villa (Pseudonym für Doroteo Arango) war ein verwegener Guerillakämpfer, in dessen Mythos sich soziales Banditentum und Robin Hood-Legende vermischten. In seinen Aktionen ließ er militärische Genialität erkennen. Es mangelte ihm jedoch, verglichen mit dem Kampf Zapatas, an politischer Weitsicht und Konsequenz. Dies wird deutlich beim Vergleich der unterschiedlichen Durchführung und sozialen Folgen der Landreform, wie sie von der „División del Norte“ von Pancho Villa auf der einen und von der Zapata-Bewegung auf der anderen Seite in die Wege geleitet wurde: Die Zapata-Bewegung enteignete den Grund und Boden der Latifundien und Haziendas und verteilte ihn unverzüglich an die Landbevölkerung. In Morelos waren die „freien Dörfer“ noch so intakt, dass diese selbständigen und selbstbewussten Gemeinden die Landreform in die eigene Hände nehmen konnten. Diese Bedingungen für eine konsequente Bodenreform fand Villa in Nordmexiko nicht vor. Die Inhomogenität der Bevölkerung bot keinen guten Ansatzpunkt für gemeinschaftliche Bewirtschaftungsformen. Pancho Villa enteignete zwar die großen Landgüter, doch er verteilte sie nicht an die Bauern, sondern er „verstaatlichte“ sie und exportierte fast die gesamte Produktion in die USA, um Waffen und Munition zu kaufen. Jedoch beabsichtigte er für die Zukunft, den Ertrag dieses Landes „Witwen und Waisen“ zukommen zu lassen. Ohne es zu wollen, hatte er sich so eine Schicht von Militärs herangezüchtet, die in ihre eigenen Taschen wirtschafteten.
Die Mobilisierung der übrigen revolutionären Formationen und der unterschiedlichen sozialen Gruppen vollzog sich unter der Führung von Großgrundbesitzern (Francisco Madero, Venustiano Carranza, Pascual Orozco) und städtischen Intellektuellen. Sie konnten professionelle Bauernarmeen organisieren, ohne dafür eine Agrarreform durchführen zu müssen, denn sie bezahlten die Soldaten nicht mit Land, sondern in bar (Geldgeber in den USA). Die Offiziere und Generäle dieser Armeen sollten später zur neuen Land besitzenden Bourgeoisie im postrevolutionären Mexiko werden.
Vierte Phase: Juli 1914 -Februar 1917: Bruderkampf der Revolutionäre
Als am 15. Juli 1914 Huerta abdankte und das Land verließ, hatte die Revolution ihren zweiten großen Sieg über die Konterrevolution errungen. Der Zeitpunkt schien gekommen, die revolutionären Errungenschaften zu konsolidieren. Da es an einer von allen revolutionären Fraktionen akzeptierten und breit sozial verankerten politischen Ideologie mangelte, schien es für Viele auf eine neue, wenn auch „revolutionäre Diktatur“ hinauszulaufen. Wer würde von den drei großen Revolutionsführern die Macht im Staate an sich reißen: Zapata, Villa oder Carranza?
Einen Monat nach dem Sturz Huertas wurde diese Frage zugunsten Carranzas entschieden. Venustiano Carranza war ein echter Machtpolitiker, der auf die Unterstützung großer Kreise im bürgerlichen Lager rechnen konnte.Mit ganz geringen Abweichungen vertrat er die bürgerlich-liberale und demokratische Ideologie seines Vorgängers Madero. In seinem politischen Programm waren vor allem die Interessen des neuen Großbürgertums vertreten. Zugeständnisse an die Reformvorstellungen der armen Landbevölkerung und des Proletariats der Städte erfolgten von ihm stets aus rein taktischen Überlegungen oder auf direkten Druck von unten.
Bald war klar, dass die Kräfte um Carranza („Constitucionalistas“) die Revolution als beendet ansahen. Das fragile Bündnis fiel nun auseinander und ein Bürgerkrieg innerhalb des revolutionären Lagers begann:
Als im August 1914 die konstitutionalistischen Truppen – insbesondere durch die Erfolge von Villas „División del Norte“ – bis vor die Hauptstadt gelangt waren, kam es zu einem ersten Zerwürfnis zwischen den drei Revolutionsführern. Die vordergründige Streitfrage war, welche der drei Truppenteile zuerst in die Stadt einziehen dürfe. Es gelang Carranza, sich durchzusetzen, indem er seinen Kontrahenten den Nachschub abschnitt und ein Bündnis mit dem ehemaligen Polizeichef Huertas einging und am 20. August schließlich auch die Exekutivgewalt ergriff. Daraufhin kündigte Pancho Villa Carranza die Gefolgschaft und veröffentlichte in Chihuahua ein Manifest, in dem er zur Fortsetzung des Kampfes aufrief. Die revolutionären Gruppen, die sich in der kurzen Pause nach dem Sturz Huertas demobilisiert hatten, bewaffneten sich erneut, um sich entweder den Truppen Vil-las und Zapatas oder Carranzas anzuschließen. Obwohl die Widersprüche und Differenzen im so genannten „konventionalistischen“ Lager zwischen Zapatisten und Villa-Anhängern nicht ausgetragen waren, sah sich Carranza am 24. November 1914 gezwungen, die Hauptstadt zu räumen. Am sechsten Dezember zogen dann die Revolutionstruppen Zapatas und Villas sowie die Konventsregierung unter der Führung des Präsidenten Eulalio Gutierrez in einer achtstündigen Prunkparade in die Hauptstadt ein. Aus der Perspektive der sozialen Bewegungen ist dies der eigentliche Höhepunkt der Mexikanischen Revolution. Damit eröffnete sich eine kurze Phase der Doppelherrschaft. Die Agrarrevolutionäre verfügten jedoch über kein gemeinsames systematisches Programm und auch über keine langfristige Strategie durch die es ihnen gelungen wäre, ein Bündnis mit der Arbeiterbewegung zu organisieren. Das Gesetz des Handelns fiel an Carranza zurück. Von Veracruz aus, das er zur neuen Hauptstadt erklärt hatte, erließ Carranza aus taktischen Gründen eine Vielzahl von Reformen zur Agrarfrage und Linderung der sozialen Not des Städteproletariats.
General Álvaro Obregón vollzog im Auftrage Carranzas nach 1914 eine Annäherung an die „Casa del Obrero Mundial“ und es kam zu einem Bündnis zwischen großen Teilen der städtischen Arbeiterschaft und den bürgerlich-liberalen Konstitutionalisten. In den „Roten Bataillonen“ bekämpften die Arbeiter sogar die Zapatisten und Pancho Villa. Im Januar 1915 ging Carranza mit seiner konstitutionalistischen Armee schließlich auch zur militärischen Offensive über. In den ersten sechs Monaten des Jahres kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen, bei denen die Hauptstadt heiß umkämpft und mehrmals abwechselnd von beiden Seiten eingenommen wurde.
In den Monaten zwischen April und Juli 1915 gelang es der Armee Carranzas, Villas Truppen aus Zentralmexiko zurückzuschlagen und damit die Verbindung zur Zapata-Bewegung abzuschneiden. Von diesem Zeitpunkt an befand sich Pancho Villa in der Defensive und die Bewegung Zapatas beschränkte sich nur noch auf den Staat Morelos.
Spätestens ab Juli 1915 hatte Carranza endgültig die militärische Oberhand zurückgewonnen. Seine Truppen besetzten mehrere wichtige Städte und am 26. August fiel auch Mexiko-Stadt in ihre Hände. Am 11. Oktober 1915, als ein Großteil des Landes unter seiner Kontrolle war, kehrten Carranza und sein Kabinett wieder nach Mexiko-Stadt zurück und erklärten es wieder zur Regierungshauptstadt. Am 19. desselben Monats erkannte die USA und in der Folge auch die Mehrheit der südamerikanischen Staaten, die Regierung Carranzas als rechtmäßig an. Darüber hinaus verhängten die USA, um der Revolution ein Ende zu bereiten, gegen Mexiko ein Waffenembargo, mit Ausnahme der Waffen, die für die Regierung Carranzas bestimmt waren.
Unter diesen Umständen verschlechterte sich die militärische Lage Pancho Villas dramatisch. So in die Defensive gedrängt und in eine verzweifelte Lage gebracht, verübte er einen Überfall auf einen Zug im Bahnhof von Santa Isabel (Chihuahua), bei dem 15 nordamerikanische Reisende getötet wurden. Doch damit nicht genug; am neunten März überschritt er die Grenze zur USA und griff die Grenzstadt Columbus in New Mexiko an. Dabei wurden vierzehn US-Amerikaner getötet und zwei Häuserblocks gingen bei dem Angriff in Flammen auf.
Wie nicht anders zu erwarten, riefen diese Aktionen Pancho Villas eine äußerst harte Reaktion der USA hervor. Im Verlauf der folgenden, über ein Jahr dauernden Strafaktion, kam es zu mehreren blutigen Zwischenfällen auf mexikanischem Territorium. Militärisch beschränkte sich die Strafaktion jedoch darauf, die Person Villa aufzuspüren. Sie wurde schließlich am fünften Februar 1917 eingestellt, da es nicht gelungen war, ihn aufzustöbern.
Nachdem die Gefahr durch die Agrarbewegungen größtenteils militärisch gebannt war, vollzog Carranza eine Kehrtwendung, die sich gegen den Einfluss der städtischen Arbeiterbewegung richtete. Ihren Ansprüchen wurde nun mit offener Repression begegnet (1916 Verhängung der Todesstrafe für Streiks). Ende 1916 versammelte sich die „Konstituante von Querétaro“ – eine Versammlung der besitzenden Klassen. Die aus ihr hervorgehende Verfassung bedeutete eine Festlegung auf ein bürgerlich-kapitalistisches Mexiko. Allerdings hatte die Energie der Volksbewegung in der Mexikanischen Revolution und der soziale Druck während der Verfassungsdiskussion die bis dahin fortschrittlichste Verfassung der Welt entstehen lassen. Besonders drei Artikel spiegeln dies wider:
- Artikel 3: Völlige Trennung von Staat und Kirche; staatliche Grundschulausbildung
- Artikel 27: Nationalisierung der Bodenschätze; Verfassungsgrundlage für eine Agrarreform
- Artikel 123: Umfangreiche Agrar- und Sozialgesetzgebung
Am 10. April 1919 gelang es den Regierungstruppen, Emiliano Zapata durch Verrat in Chinameca in einen Hinterhalt zu locken und heimtückisch zu ermorden. Seine geschockten Anhänger ließen sich durch Versprechungen und Zugeständnis-se Carranzas hinsichtlich der Bodenreform dazu bewegen, fortan nur noch friedlich mit der nachrevolutionären Regierung zu kooperieren.
Obwohl überall im Lande noch bewaffnete Splittergruppen von Pancho Villa und Anderen existierten und in der Bevölkerung eine von Hass und Unzufriedenheit geprägte Stimmung herrschte, ging die Revolution ihrem endgültigen Ende entgegen. Die sozial-revolutionären Ansätze, die sich in ihr manifestiert hatten, verkümmerten, und der Kampf konzentrierte sich von nun an nur noch auf Personen und politische Programme.
Anfang 1920 wurden die Widersprüche im konstitutionalistischen Lager immer größer. Sowohl die ländlichen als auch die städtischen Massen fühlten sich um die Früchte der Revolution, die lang ersehnten sozialen Reformen, betrogen.
Alvaro Obregón, der langjährige Vertraute Carranzas, sah seine Stunde gekommen und kündigte dem Präsidenten seine Gefolgschaft auf. Unter dem Oberkommando von Plutarco Elias Calles initiierte er einen Militärputsch, der sich rasch verbreitete und zur Besetzung der Bundesstaaten Sinaloa, Guerrero, Michocán, Zacatecas und Tabasco führte. Am siebten Mai 1920 sahen sich Carranza und sein Kabinett gezwungen, die Hauptstadt zu verlassen, die dann zwei Tage später von Obregón und seinen Truppen besetzt wurde.
Am 21. Mai 1920 gelang es den Truppen Obregóns, Carranza und seine Begleiter in einen Hinterhalt zu locken und Carranza selbst zu ermorden. Schließlich wurde am fünften September Álvaro Obregón offiziell auf die Präsidentschaft für die Zeit von 1920 bis 1924 vereidigt.
Der letzte Überlebende der drei großen Revolutionsführer, Pancho Villa, wurde am 20. Juli 1923 ermordet, obwohl er sich bereits drei Jahre zuvor aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte.
Fazit
Zusammenfassend lassen sich für die Mexikanische Revolution folgende Charakteristika feststellen:
- Die Volksbewegung und Massenmobilisierung bestimmten Rhythmus und Reichweite der Revolution.
- Es gelang, dieses agrarrevolutionäre Moment abzufangen und zu kanalisieren.
- Der Druck der Intervention von unten prägte die weitere Entwicklung des politischen Systems.
- Die sozialrevolutionären Ansprüche der Volksbewegung blieben jedoch bis heute uneingelöst.
Aus der Sicht der sozialen Bewegungen, welche die Auseinandersetzungen im Wesentlichen getragen hatten und ihre eigentlichen Ziele nicht erreichen konnten (die landlosen Bauern und das Industrieproletariat), kann mit dem mexikanischen Historiker Adolfo Gilly die Mexikanische Revolution als „unterbrochene Revolution“ bezeichnet werden.
Ihre Anliegen konnten zwar in der noch heute gültigen Sozialgesetzgebung verankert werden. Trotz allen „Fortschritts“ sollten aber viele der die Mexikanische Revolution auslösenden Probleme und sozialen Konflikte bis heute ungelöst bleiben.
Literatur
Baumgarten, Charlotte: Vorwort zu John Reed: Mexiko in Aufruhr. Dietz Verlag, Berlin (DDR) 1977
Beck, Barbara; Kurnitzky, Horst: Zapata. Bilder aus der Mexikanischen Revolution. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin (West) 1975
Beck, Johannes; Bergmann, Klaus; Boehncke, Heiner (Hrsg.): Das B. Traven-Buch. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1976
Bock, Gisela; Lewis, Austin: Die Wobblies, Bd.1 / Bd. 2, Karlsruher Stadtzeitung, Karlsruhe, o. J.
Flores Magón, Ricardo; Poole, David; Schmück, Jochen: Die Mexikanische Revolution 1910-1920, anarchistische texte Nr. 20. Libertad Verlag, Berlin (West) 1980
Flores Magón, Ricardo: Tierra y Libertad. Klassiker der Sozialrevolte 11, Unrast-Verlag, Münster 2005
Gilly, Adolfo: La Revolución interrumpida. Guía de estudio de la historia universal II, CCH Naucalpan, UNAM, Mexico D.F. 1991
Hart, John Mason: Revolutionary Mexico. The Coming and Process of the Mexican Revolution. University of California Press , Berkeley and Los Angeles 1989
Reed, John: Eine Revolutionsballade. Mexico 1914. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005
Ross, John: Mexiko. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. Das politische Reisebuch. Unrast-Verlag, Münster 2004
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Dieser Artikel ist - leicht verändert - folgendem Buch entnommen: Rolf Raasch: B. Traven und Mexiko. Ein Anarchist im Land des Frühlings - Eine politisch-literarische Reise. Oppo-Verlag, Berlin 2006
Autor: Rolf Raasch
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