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Donatien Alphonse François de Sade

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Lexikon der Anarchie: Personen


Donatien-Aldonze-François de Sade (1740-1814)

Donatien-Aldonze-François de Sade (Marquis de Sade), geb. am 2. Juni 1740 in Paris, gest.: 2. Dezember 1814 in Paris. Er ist ein umstrittener Autor fiktionaler Literatur, politischer Pamphlete und diverser Theaterstücke.

Äußere Daten

Donatien-Aldonze-François de Sade – besser bekannt als Marquis de Sade - wird in ein alt-eingesessenes, französisches Altersgeschlecht hineingeboren. Er wächst z.T. bei seinem Onkel, dem Abbé de Sade auf, bei dem er mit aufklärerischen Gedankengut von Voltaire, Jean-Jacques Rousseau und den Enzyklopädisten in Kontakt kommt. Es folgt eine vierjährige Schulausbildung am Jesuitenkolleg und eine für Adlige obligatorische Zeit beim Militär. Kurz nach der Heirat mit Renée-Pelagie, Tochter einer Familie des Geldadels, die von den Eltern arrangiert wurde, erfolgt 1763 die erste Inhaftierung de Sades aufgrund eines Skandals Blasphemie. Eine Prostituierte sagt aus, daß er sie aufgefordert habe gotteslästerische Flüche von sich zu geben und auf ein Kruzifix zu urinieren. Weitere Skandale, die sich um seine sexuellen Ausschweifungen drehen, folgen diesem in den kommenden Jahren (1768, 1773, 1775) und begründen die Mystifizierung des Marquis de Sade als „sexuelles Monster“. Insgesamt verbringt er über 30 Jahre in Gefängnissen und Nervenheilanstalten – die meiste Zeit davon ohne gerichtliche Verurteilung – und desweiteren wird er zweimal zum Tode verurteilt. Seine große Liebe gilt dem Theater, die er bereits in seiner Jugend entdeckt und die sich bis zu seinem Tod in Charenton wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Diese Leidenschaft findet auch ihren Widerhall in seinem literarischen Schreibstil. Er steht selber wiederholt auf der Bühne, schreibt eine Reihe von Theaterstücken, von denen lediglich zwei auf regulären Bühnen aufgeführt wurden, und führt Regie.

Sade-Denkmal in LaCoste

Im Zuge der französischen Revolution ist er als Sekretär und Richter in der Sektion der Piquets aktiv, jener Sektion, der auch Robespierre angehört. Allerdings weigert er sich in der Funktion als Richter Todesurteile zu verhängen, was ihn suspekt macht für die herrschenden Machthaber und zu seiner zweiten Verurteilung zum Tode führte, dessen Ausführung er durch einen glücklichen Zufall entkommt. Während der französischen Revolution schwankt er in seiner politischen Haltung und gerät somit zwischen die Fronten. Seine Auseinandersetzung mit der französischen Revolution findet sich in seinem zweibändigen Briefroman „Aline und Valcour“ (1793 / 1795) und in dem Exkurs „Franzosen, eine Anstrengung mehr, wenn ihr Republikaner sein wollt“, der in die „Philosophie im Boudoir“ (1795) integriert ist. In diesen Texten äußert er sich im erstgenannten Text in literarischer Inszenierung, im zweiten Text in Form eines politischen Aufrufs über die Möglichkeiten einer Fortführung der französischen Revolution hin zu einer absoluten Befreiung des Individuums umreißt.

1801 wird er ein letztes Mal inhaftiert und wird bis zu seinem Tod am 2. 12. 1814 in der Nervenheilanstalt Charenton inhaftiert bleiben, in der er weiterhin mit den Insassen – sogenannten Geisteskranken und einer Reihe von politisch unliebsamen Personen – Theaterstücke aufführt, die sich in der französischen Oberschicht großer Beliebtheit erfreuten.

Die schon zu Lebzeiten begonnene Mystifizierung seiner Person setzte sich auch nach seinem Tod fort. Von seinem Namen wurde der Begriff des „Sadismus“ abgeleitet und sein Werk fand eine, bis heute ungebrochen breite Rezeption in der Kunst (u.a. Surrealismus), Literatur (Bataille, Baudelaire, Zola), Sexualwissenschaft (Krafft-Ebing, Albert Eulenburg) bis hin zur Philosophie (Adorno, Foucault).

Werke

De Sades Werk umfaßt eine Reihe von Texten unterschiedlicher Couleur. Es reicht von den libertinen Romanen „Die 120 Tage von Sodom“, „Justine“, „Juliette“ und „Philosophie im Boudoir“ – über eine Reihe patriotischer Theaterstücke, Kurzgeschichten, tagespolitischen Texten, Erziehungsdialogen, Märchen bis hin zu einer eigenständigen Romantheorie. Der rote Faden, der sich durch dieses Werk zieht, läßt sich mit folgenden Begriffen fassen:

  • integraler Atheismus
  • konsequenter Materialismus
  • unbedingte Betonung der Freiheit des Individuums.

Sehr prägnante Inhaltsangaben seiner Werke bieten die Biographien von Gilbert Lely (2001) und Geoffrey Gorer (1959).


Stellenwert innerhalb des libertären Spektrums

Titelblatt einer Beilage der Zeitschrift L'Unique

Die Einordnung des Marquis de Sade in ein libertäres Spektrum ist sicherlich vor dem Hintergrund seiner Biographie und einzelner Aspekte seiner Philosophie sehr problematisch. Er benutzt in seinem Werk - vor allem während der Revolutionsepoche - zwar wiederholt den Begriff "Anarchie", aber dies passiert im damals üblichen, nicht spezifizierten Sinne. Eine direkte Rezeption zu Beginn und Mitte des 19. Jahrhundert ist allerdings bei Charles Fourier, der sich bei seinen Überlegungen zur freien Lieben auf Sade berief, und bei Pierre-Joseph Proudhon finden. Letzterer erwähnt ihn - ohne direkt seinen Namen zu erwähnen - in seinen Tagebüchern. Es gibt eine Reihe von vergleichenden Studien, die Übereinstimmungen zwischen seinem Denken und dem von William Godwin, Pierre-Joseph Proudhon (Drach), Michael A. Bakunin (Carter) und Max Stirner (vgl.: u.a.: Schuhmann 2007) nachgewiesen haben. Die Übereinstimmungen beruhen u.a. auf einer Kritik der Verteilung des Privateigentums und der daraus resultierenden Ungerechtigkeit, einer Betonung des Individuums bei gleichzeitiger Anerkennung des Ideals der Gleichheit sowie der Gewichtung des Konzepts der Revolte.

Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird in der Wissenschaft vor allem eine Verbindung zwischen Sade und Max Stirner gezogen - bis hin zu der Überlegung, dass Stirner mutmaßlich Sade gelesen habe. Beispielhaft hierfür steht u.a. der Sexualwissenschaftler Albert Eulenburg. Diese Verbindungslinie wurde auch später bei Roel van Duyn, dem Spiritus rector der Provo-Bewegung, wieder aufgegriffen.

Unabhängig davon gab es eine breite Rezeption Sade im französischsprachigen Individualanarchismus. Federführend war hierfür die von E. Armand herausgebende Zeitschrift L'Unique, in de reine Reihe von Beiträgen über Sade sowie eine eigene Beilage für ihn erschienen. Ebenso findet sich eine breite Rezeption im z.T. libertäre-geprägten Kreis des französischen Surrealismus eine Rezeption seines Werkes, was sich an Namen wie André Breton, Luis Buñuel und dem frühen Leo Malet zeigt. Ebenso wird im existenzialistischen Spektrum Sade diskutiert. Albert Camus widmete ihm in Der Mensch in der Revolte ein eigenes Kapitel.

Im französischen Sprachraum finden sich auch heute noch seine Werke in libertären Buchhandlungen und Bibliotheken. Vereinzelt werden seine Texte auch in libertären Verlagen nachgedruckt.

Im deutschsprachigen Raum konnte bislang nur bei Horst Stowasser und Maurice Schuhmann eine direkte Bezugnahme auf Sade nachgewiesen werden.


Anknüpfungspunkte für den Anarchismus im Werke de Sade sind u.a.:

  • der Atheismus / Antitheismus und die Religionskritik (in diversen Texten)
  • die Befreiung der Frau und der Sexualität (in: "Juliette")
  • seine Kritik des Adels und partiell auch des Staates (in: "Die 120 Tage von Sodom" und "Philosophie im Boudoir")
  • die Betonung der Individualität und der Rechte des Individuums (in: "Juliette")
  • seine Diskussion von frühsozialistischen Utopien (in: "Aline et Valcour")
  • seine Kritik des Eigentums (in: "Justine")

Autor: Maurice Schuhmann

Werke

  • de Sade, Marquis: Œuvres Complètes du Marquis de Sade, herausgegeben von Annie Le Brun und Jean-Jacques Pauvert, 16 Bände, Paris 1986-1991.
  • de Sade, Marquis: Ausgewählte Werke, Merlin Verlag Gifkendorf 1993ff.

Literatur und Quellen

  • Buñuel, Luis: Mein letzter Seufzer. Erinnerungen, Athenäum Königstein / T. 1983.
  • Camus, Albert: Der Mensch in der Revolte, Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg.
  • Carter, Angela: Sexualität ist Macht: Die Frau bei de Sade, Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 1981.
  • Drach, Albert: In Sachen de Sade. Nach dessen urschriftlichen Texten und denen seiner Kontaktpersonen, Claasen Verlag Düsseldorf 1974.
  • Duyn, Roel van: De Sade und Max Stirner, in: Der Einzige, 6. Jg., Nr. 4, Leipzig 2004, S. 10-15.
  • Gorer, Geoffrey: Marquis de Sade. Schicksal und Gedanke, Limes Verlag Wiesbaden 1959.
  • Lely, Gilbert: Leben und Werk des Marquis de Sade, Albatros Verlag Düsseldorf 2001.
  • Schuhmann, Maurice: Die Lust und die Freiheit. Marquis de Sade und Max Stirner – Ihr Freiheitsbegriff im Vergleich, Karin Kramer Verlag Berlin 2007.
  • Ders.: Radikale Individualität, Transkript Verlag Bielefeld 2010.
  • Stowasser, Horst: Freiheit pur. Die Idee der Anarchie. Geschichte und Zukunft. Eichborn Verlag Frankfurt am Main 1995.


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