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Dwight Macdonald

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Lexikon der Anarchie: Personen

Dwight Macdonald (geb. 24. März 1906 in New York; gest. 19. Dezember 1982 in New York). Der New Yorker Intellektuelle, Journalist und Herausgeber gehörte in den 1930er Jahren zu den prononcierten Repräsentanten der antistalinistischen Linken in den USA und vertrat während des zweiten Weltkrieges eine anarchistisch-pazifistische Position.

Biografie und politische Entwicklung

Einer großbürgerlichen New Yorker Familie entstammend, arbeitete Dwight Macdonald nach seinem Studium an der Elite-Universität Yale von 1929 bis 1936 zunächst für das Wirtschaftsmagazin Fortune des Medienmagnaten Henry Luce (der auch das Time-Magazin herausgab), ehe er sich unter dem Einfluss seiner Frau Nancy der antistalinistischen Linken näherte. Ausschlaggebend für seinen Entschluss war die Lektüre des vollständigen stenografischen Berichts des zweiten Moskauer Prozesses, der damals im kommunistischen Buchhandel für einen Spottpreis erhältlich war. »Es war eine faszinierende Lektüre«, schrieb er rückblickend, »und überzeugte mich, muss ich zugeben, für eine Weile, dass irgendeine Art von Verschwörung im Gange war; später begann ich Widersprüche, fehlende Motivation und die Abwesenheit stützender Beweise zu entdecken.«i 1937 trat er in die Redaktion der ehemaligen kommunistischen Kulturzeitschrift Partisan Review ein. Noch vor dem Relaunch der Zeitschrift unter dem Banner der politischen Unabhänggigkeit, entlarvte sie die Kommunistische Partei als Organ des „Trotzkismus“.

Häretiker im Lande der Trotzkisten

Obwohl in der Zeitschrift auch Beiträge Leo Trotzkis (in dessen Augen die Partisans freilich nicht über das notwendige kompromisslose Engagement verfügten) erschienen, war die Zeitschrift keineswegs ein Sprachrohr des Trotzkismus, sondern entzog sich erfolgreich den Umarmungsversuchen trotzkistischer Funktionäre, um die jüngst gewonnene Unabhängigkeit nicht aufs Spiel zu setzen. Auf Macdonald übte Trotzki jedoch eine besondere Faszination aus: Er sah in ihm »ein Zentrum des revolutionären marxistischen Bewussteins in der Welt, eine Stimme, die nicht eingeschüchtert oder zum Schweigen gebracht werden konnte«ii. Nichtsdestotrotz kritisierte er Trotzkis Rolle in der Niederwerfung des Aufstandes der Matrosen von Kronstadt im Jahre 1921 und dessen Rechtfertigung im trotzkistischen Theorieorgan New International 1938. Kritik interpretiere Trotzki lediglich, monierte Macdonald in einer Replik, als Versuch, die bolschewstische Machtposition zu schwächen und die Revolution zum Scheitern zu bringen. Doch stelle, gab er zu bedenken, ein monolithischer Parteiapparat, der nichts als Disziplin und Unterordnung fordere, eine größere Gefahr für die revolutionäre Entwicklung dar und leiste der Etablierung eines diktatorischen Regimes Vorschub, das den Bedürfnissen der Massen nicht Rechnung trage und lediglich am eigenen Fortbestand interessiert sei. Macdonald ortete in der bolschewistischen politischen Theorie »gewisse Schwächen« und betrachtete es als Aufgabe von Marxisten, diese unerbittlich bloßzulegen und die gesamte bolschewistische Linie mit wissenschaftlicher Distanz von Neuem zu betrachten.iii Diese Kritik stempelte Macdonald nicht nur in trotzkistischen Kreisen als unsicheren und unverantwortlichen Kantonisten ab, sondern ließ auch die anfängliche Sympathie Trotzkis allmählich in Aversion und Verachtung umschlagen. Dwight Macdonald ließ er kurz vor seinem Tod einen revolutionären Genossen in Amerika wissen, »ein bisschen dumm«: Es fehle ihm an Originalität und intellektuellem Standvermögen.iv Auch als Macdonald 1939 der trotzkistischen Socialist Workers Party beitrat, um seiner Opposition gegen den Krieg Ausdruck zu verleihen, blieb er im trotzkistischen Milieu suspekt: Was war von einem Neophyten zu halten, der sich selbst den Parteinamen „James Joyce“ gab und der parteiinternen Geistesdisziplin kaum den nötigen Respekt zollte? Bei der erstbesten Gelegenheit äußerte er Unbehagen gegenüber der proletarischen Organisation und verwickelte die Mitglieder in fruchtlose Debatten über das, was er die »dogmatischen und undemokratischen Elemente im Leninismus«v nannte. Immer wieder prangerte er die undemokratische Struktur, die rigide Tendenz zu Disziplin und Hierarchie, Kompromissen und Halbwahrheiten an, ehe er die Trotzkisten im Groll wieder verließ.

New Yorker Verwerfungen

Unterdessen schwelte in der Redaktion der Partisan Review ein Konflikt über die politische Linie der Zeitschrift. Während die Gründungsredakteure Philip Rahv und William Phillips sich eher als Lobbyisten einer vagen intellektuellen Avantgarde betrachteten und die Zeitschrift nicht durch politisches Engagement im sich verschärfenden Klima nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges gefährden wollten, war Macdonald bestrebt, die Partisan Review zu „repolitisieren“ und als Organ der intellektuellen Opposition gegen den Krieg neu orientieren, obgleich realiter sich diese im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg auf wenige Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer beschränkte. Im Machtkampf gegen Rahv und Phillips unterlag er schließlich und verließ die Partisan Review, um seine eigene Zeitschrift Politics herauszugeben, deren Autoren sich zum einen aus europäischen Linksintellektuellen wie Nicola Chiaromonte, Lewis Coser, Victor Serge und Niccoló Tucci, die Zuflucht in den USA gefunden hatten und sich in New York durchschlugen, zum anderen aus amerikanischen Nachwuchsintellektuellen wie Daniel Bell, Paul Goodman und C. Wright Mills, die dem „demokratischen Kapitalismus“ und der „permanenten Kriegsökonomie“ kritisch gegenüberstanden.

Krieg und Entmenschlichung

Anfangs bewegte sich Politics noch im linkstraditionalistischen Fahrwasser, ehe sie mit ihrer radikalen Kritik des Krieges zunehmend libertäre und pazifistische Positionen einnahm, auch wenn sie in ihrem moralischen Rigorismus zuweilen über das Ziel hinaus schoss. In seiner Kritik der Militärmaschine und der fortschreitenden Entmenschlichung und Atomisierung der Individuen lief Macdonald Gefahr, die Verantwortlichkeit der Menschen, insbesondere der Deutschen, zu bagatellisieren, als wären sie lediglich ohnmächtige Opfer der Maschinerien und Organisationen, ohne in der Lage zu sein, Verantwortung zu übernehmen. In seiner Drang, der gängigen „Teutonophobie“ zu widersprechen, unterlag er oft der Verführung, die Deutschen – beispielsweise auch gegen deutsche Emigranten wie Siegfried Kracauer (der in seinem Werk Von Caligari zu Hitler die These von der faschistisch infizierten, kranken deutschen „Kollektivseele“ vertrat) – zu verteidigen und vom Vorwurf der Kollektivschuld freizusprechen. Die Entrüstung über den Krieg zog sein Vermögen, die Ereignisse differenziert zu beurteilen, in Mitleidenschaft. Bedenkenlos stellte er die industrielle Vernichtung der europäischen Juden in eine Reihe mit der Bombardierung deutscher Großstädte. Mit seinen Landsleuten ging er hart ins Gericht und warf ihnen Indifferenz und mitleidloses Profitstreben vor, während er bei den Deutschen seinen moralischen Yardstick tiefer anlegte und sie vornehmlich als Opfer der alliierten „Eroberer” wahrnahm. Zum anderen war Politics von einem antirussischen Ressentiment geprägt: Die Deutschen wollte Macdonald vor dem Verdikt der Kollektivschuld bewahrt wissen, doch die Russen wurden allesamt als unmenschliche, gesichtslose Kreaturen aus der Bestienproduktion der sowjetischen staatseigenen Horrorfabrik subsumiert. Die Furcht vor der totalitären “roten” Gefahr als Bedrohung der westlichen Zivilisation begann, die Basis der kritischen Fakultäten anzufressen. Obwohl Politics später für die kritische Analyse der Prozesse, „in denen Individuen ihre Menschlichkeit verloren“vi (wie Daniel Bell schrieb) gerühmt wurde, war sie in ihrer ideologischen Fixierung stark ihrer Zeit verhaftet und konnte Menschen – sofern es sich um Exemplare aus russischer “Fabrikation” handelte – nicht als Individuen, sondern lediglich als Abziehbilder der westlichen Propaganda, als Untermenschen ohne Gefühl und Bildung wahrnehmen.

Normal ist der Tod

Das Neue an diesem Zeitalter sei, stellte Macdonald in seinem Essay „The Responsibility of Peoples” fest, dass die ungeheuerlichen Verbrechen nicht länger von einzelnen psychopathischen Mördern begangen würden, sondern von den Herrschern und Dienern eines großen modernen Staates. Selbst die scheinbar Mächtigsten waren lediglich Objekte, wie die beliebig verform- und einsetzbaren Soldaten an den jeweiligen Fronten Instrumente des Apparates. Alle waren bloßes Rohmaterial im Produktionsprozess des Todes. Der Versuch, die Barbarei mit kriegerischen Mitteln auszulöschen, gebar nur neue Barbarei. Für Macdonald und viele Politics-Autoren war eine der gravierendsten Konsequenzen dieses Krieges die Mutation des Individuums zur willenlosen, roboterähnlichen Killermaschine, die ebenso wertlos war wie das Gegenüber, das mit Hilfe der perfektionierten Waffentechnologie vom Erdboden getilgt werden sollte. Der Krieg schien zu einer Institution zu werden, die ebenso Akzeptanz fand wie das Blutbad, das täglich auf den Schlachthöfen in Chicago angerichtet wurde.

       Die Atombombe, die am 6. August 1945 über Hiroshima abgeworfen wurde, sprengte diese »verrückte und mörderische« Gesellschaft an die Endstation der menschlichen Existenz und katapultierte die amerikanischen Verteidiger der Zivilisation auf ein moralisches Niveau mit den deutschen „Bestien von Majdanek“, schrieb Macdonald in einer ersten Schockreaktion auf dem Titelblatt der Politics-Ausgabe vom August 1945. Die Bombe war in seinen Augen die dramatischste und erschütterndste Illustration des Irrtums der kollektiven Verantwortung, die er in „The Responsibility of Peoples“ analysiert hatte. Die Atombomben seien, argumentierte er in einem längeren Essay einen Monat später, das natürliche Produkt der funktionalen, entmenschlichten Massengesellschaft: Der perfekte Automatismus und das Fehlen jeglichen menschlichen Bewusstseins hätten die reibungslose Herstellung und „Verwertung” der Bombe ermöglicht. J. Robert Oppenheimer und dessen Kollegen betrachtete er nicht als Schöpfer dieser fürchterlichen Waffe, sondern als bloßes Rohmaterial, das wie Uranerz gefördert und ausgebeutet worden sei. Die Piloten, die die Bomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten, seien nur gefügige Werkzeuge in den Händen der politischen und militärischen Führung gewesen. Ähnliches galt für die an der Produktion beteiligten Arbeiter (die Armee dankte den Gewerkschaftsorganisationen AFL und CIO herzlich für die gute Kooperation) und die Angestellten der Großkonzerne DuPont, Eastman, Union Carbon & Carbide und der Harvard University. Sie alle fungierten als Techniker und Spezialisten, die einzig und allein „ihren Job machten”. Zur persönlichen Verantwortung könnten sie nicht gezogen werden, denn sie waren bloße Rädchen im Getriebe einer immensen Maschinerie, wo keiner der am Produktionsprozess Beteiligten den Überblick besaß, welche Höllenwaffe sie herstellten. 
      Die Bombe stellte für Macdonald und den Politics-Zirkel die Fortexistenz der menschlichen Gattung an sich in Frage. Zum ersten Mal in der Geschichte sei sie mit der realen Möglichkeit konfrontiert, durch eigene Aktivität sich selbst auszulöschen und die Erde für alle Zeiten unbewohnbar zu machen. Das Marx’sche Wort, wonach die Menschheit sich keine Probleme schaffe, zu deren Lösung sie nicht fähig sei, musste bezweifelt werden, und revolutionäre Gewalt lief nicht allein Gefahr, die Humanität in ihren Anwendern zu zerstören, sondern in einer selbstmörderischen Spirale den Planeten und die Menschen auszulöschen, die Zivilisation auf einige wenige Wolken im Sternennebel zu reduzieren. Die blinde Fortschrittsgläubigkeit habe sie auf der scheinbar endlos in die Höhe sich ziehenden Wendeltreppe in die rote Wolke des Atompilzes geführt, erklärte Macdonald und befürwortete einen ebenso raschen wie radikalen Bruch mit den Fortschrittsideologien der westlichen Kultur. Auch der Marxismus teile mit dem überkommenen Liberalismus das ungebrochene Vertrauen in Wissenschaft und Fortschritt und stelle eher ein Hindernis auf dem Weg in eine bessere Zukunft (sofern diese überhaupt noch realisierbar war) dar, als dass er zur Überwindung der deprimierenden Verhältnisse beitrüge.

Hinwendung zum Anarchismus

        Obwohl Politics ursprünglich als demokratisch-sozialistische Zeitschrift gegründet worden war, deren kritisches Analyseinstrument der Marxismus hatte sein sollen, orientierte sie sich zunehmend am Anarchismus und Pazifismus und unterzog in einer Essayserie unter dem Titel „New Roads in Politics” den Marxismus einer ähnlichen harschen Kritik, wie es bereits Simone Weil nach dem Triumph des Nazismus und dem Versagen der Linken in Deutschland getan hatte: Kritisiert wurde vor allem die angeblich schematische Konstruktion des historischen Prozesses, das Fehlen einer moralischen Ethik, die Eliminierung des subjektiven Faktors und die „Verwissenschaftlichung” des Sozialismus, dessen Bewegung schließlich abwärts in den Totalitarismus geführt habe. Treibende Kraft in diesem Prozess der kritischen Bestandsaufnahme und Neuorientierung war der italienische Anarchist Nicola Chiaromonte, der im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik gekämpft hatte und nach der Kapitulation Frankreichs über Casablanca nach New York geflohen war. Vor allem auf Macdonald übte er entscheidenden Einfluss aus und regte ihn zu seinem Essay „The Responsibility of Peoples” an. In der Folgezeit bestärkte Chiaromonte seinen Freund in seinen Zweifeln an der Tauglichkeit des Marxismus, eine vernünftige Einrichtung der Gesellschaft in der gegenwärtigen Situation bewerkstelligen zu können, und überzeugte ihn, dass ein moralisch und ethisch begründeter Anarchismus die bessere Alternative darstelle. Aus seiner Zeit in Nordafrika kannte er Albert Camus und vermittelte nun den Kontakt zwischen den „New Yorkern” und den „Parisern”, um Europa-Amerika-Gruppen zu gründen: Ihr Projekt war ein internationales Netzwerk linker Intellektueller, die jenseits der sich formierenden Blöcke eine neue radikale, basisorientierte Politik in kleinen libertären Kommunen entwickeln sollten. 

Abschied von gestern

      Die politische Situation gab wenig Anlass zu Hoffnungen auf bessere Zeiten und größere Veränderungen. In dieser Welt war Politik, schrieb Macdonald in einem Kommentar zur Truman-Doktrin im Frühsommer 1947, „eine Wüste ohne Hoffnung“. Als der Kalte Krieg an Schärfe zunahm, schwand allmählich Macdonalds Glauben an eine positive Veränderbarkeit der Welt durch einen anarchistischen Pazifismus oder an eine dritte Alternative zu den existierenden Gesellschaftssystemen überhaupt. In seinen Augen war die Sowjetunion „die chauvinistischste und militaristischste Regierung auf der Welt“ und stellte eine noch größere Bedrohung dessen dar, woran er glaube, als es der Nazismus gewesen sei. Die Berlin-Blockade und die Ermordung Gandhis bedeuteten für ihn, dass auch der Pazifismus kein geeignetes Mittel war, um mit den hässlichen Realitäten fertig zu werden. Die blutigen Unruhen zwischen Hindus und Moslems in Indien galten ihm als Indiz dafür, dass es Gandhi nicht gelungen sei, das Konzept der Gewaltlosigkeit in den Massen zu verwurzeln (womit Macdonald gleichfalls sein Verharren im autoritär-leninistischen Konzept von „Führern” und „Massen” dokumentierte). Zudem hingen die Erfolgschancen eines gewaltlosen Widerstandes auch vom Moralkodex des Gegners ab, betonte er. Die Briten hätten nicht den Schritt zur äußersten Brutalität vollzogen, doch traute er dies den Sowjets zu, die vor keiner Gewalttat und Verletzung der Menschenwürde zurückschreckten, sodass sich der Pazifismus in einem solchen Fall als unbrauchbar erweise. 
       Obwohl die Situation für den politischen Radikalismus immer hoffnungsloser zu werden schien und Macdonald nach Anfällen von Depression daran dachte, Politics einzustellen, rafften sich die New Yorker Intellektuellen im Frühjahr 1948 doch noch einmal zu einer gemeinsamen politischen Aktion auf und gründeten die Europa-Amerika-Gruppen. War es nach ausgiebigen Diskussionen endlich gelungen, dem Projekt eine Organisationsform zu geben, konnten sich die konkurrierenden Fraktionen auf kein einheitliches Programm einigen. Schließlich bildeten diese Gruppen die Basis für das antikommunistische Netzwerk Congress for Cultural Freedom, das im kulturellen Kalten Krieg eine entscheidende Rolle spielte.
      Eine neue Zeit war angebrochen, in der für ein kritisches Magazin wie Politics (trotz seines Antikommunismus) kein Platz mehr war. 1949 ging die Zeitschrift ein – vor allem aus Mangel an Geld und Motivation. Die Grundlage von Politics, der herrschenden Ordnung eine radikale Alternative entgegenzusetzen, war verschwunden. Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen oder auf die Herausbildung einer libertär-sozialistischen Opposition hatte Macdonald am Ende der vierziger Jahre nicht mehr: Die Welt war unter die beiden Imperialismen USA und UdSSR aufgeteilt worden. Äußerer Anlass für die resignative Aufgabe der Zeitschrift war eine finanzielle Krise: Die Produktionskosten waren derart in die Höhe gestiegen, dass Politics ein jährliches Defizit von sechstausend Dollar erwirtschaftete. Auch die Rücklagen aus seiner Fortune-Zeit waren aufgebraucht. Hinzu kamen persönliche Probleme: Noch immer litt er unter psychischen Depressionen, und seine Ehe ging in die Brüche. Schließlich fühlte er sich »sehr matt und müde« und wollte die Herausgabe seiner Zeitschrift nur für einige Zeit aussetzen, doch sollte es ein Abschied für immer werden.
       Das Ende von Politics bedeutete für Macdonald auch den Abschied von der politischen Kritik und das Ende seines dreizehnjährigen Forschungsurlaubs, nachdem er 1936 bei Luce gekündigt hatte. Seine lange Odyssee durch die zerklüfteten Landschaften (oder Wüsteneien) der “antistalinistischen” und später der “antikommunistischen” Linken, die mit den revolutionären Hoffnungen des Spanischen Bürgerkriegs und dem moralischen Kollaps des sowjetischen Experiments in den Moskauer Prozessen begann und mit der Blockpolarisation im Kalten Krieg endete, führte ihn schließlich dazu, das – in seinen Augen – kleinere Übel zu wählen. Er unterstütze „kritisch“ den politischen, ökonomischen und militärischen Kampf des Westens (der USA und ihrer Verbündeten) gegen den Osten (die Sowjetunion, ihre Satellitenstaaten und China), erklärte er 1952 öffentlich. Das Bekenntnis zur „kritischen” Unterstützung des Westens ging einher mit einem symbolischen Widerruf seiner kritischen linken oder radikalen Vergangenheit: Ausgerechnet beim New Yorker, den er in seinem ersten Beitrag für die Partisan Review 1937 in beißendem Spott verhöhnt hatte, heuerte er nun als Auftragsschreiber an und musste sich dem Niveau des liberalen Stadtpublikums anpassen, das kaum über jene sophistication, Belesenheit und Aufmerksamkeit verfügte, welche die Politics-Leser ausgezeichnet hatten. 

In den 1960er Jahren arbeitete er als Filmkritiker für das Magazin Esquire und kehrte während des Vietnamkrieges und der Studentenbewegung für einige Jahre auf die Bühne der radikalen Politik zurück, ohne dass dies einen solch nachhaltigen Niederschlag wie zu seinen Politics-Zeiten gehabt hätte.

Stellenwert Macdonalds im libertären Spektrum

Macdonald pflegte sich als konservativen Anarchisten zu bezeichnen. Schon in seiner „marxistischen“ Periode prägten ihn individualanarchistische Züge, die ihn gegen die Apparate und Bürokratie der jeweiligen Organisationen, in denen er tätig war, aufbegehren ließen. Vor allem in seiner Politics-Zeit versuchte er ein libertär-sozialistisches Konzept zu entwickeln, dem allerdings die Konsistenz und Stimmigkeit fehlte, da in seinem Denken libertäre Ideen mit autoritären Vorstellungen sich vermischten. Vor allem in seinem manifestartigen Essay „The Root is Man“ (1946), in dem er – im Vorgriff auf die Neue Linke – postulierte, das Persönliche sei das Politische, wollte er eine konkrete Utopie einer freien Gesellschaft entwerfen, wobei jedoch vieles undurchdacht blieb. Alle Ideologien, die das Opfer der Gegenwart zugunsten einer glücklicheren Zukunft forderten, erschienen ihm höchst verdächtig: Die Menschen sollten hier und jetzt glücklich sein und ihre spontanen Bedürfnisse befriedigen können. Wenn sie nicht genießen könnten, was sie taten, sollten sie es nicht tun. Endgültig müsse man sich vom marxistischen Fetischismus der Massen verabschieden, forderte er, denn die Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins könne nur von einer radikalen, intellektuellen Minderheit ausgehen, nicht von jederzeit manipulierbaren Massen. Exemplarische Akte des Ungehorsams, der Respektlosigkeit und des Spotts gegenüber den herrschenden Autoritäten könnten eher einen Flächenbrand des Widerstands entzünden, meinte Macdonald, als die zermürbende und fruchtlose Plackerei in den „revolutionären Parteien”, welche die hierarchischen Strukturen des Staates im Kleinen reproduzierten. Ihre „subversiven” Ideen sollten die radikalen Intellektuellen abseits der herrschenden „Massenkommunikation” und der liberalen Medien verbreiten und eine radikale „Gegenöffentlichkeit” herstellen, die sich an kleine Gruppen, nicht an eine amorphe Masse wenden sollte. Der Bruch mit dem marxistisch-leninistischen Autoritarismus beschränkte sich nicht allein auf die Organisationsform, sondern umfasste auch die Kommunikationsformen: Anstatt grandiose Leerformeln auf eine atomisierte Masse mehr oder minder indifferenter Meinungskonsumenten niederprasseln zu lassen, sollten sich „bescheidene bedeutungsvolle Wahrheiten an ein kleines Publikum“ richten. Obwohl Macdonald versuchte, ein zeitgemäßes anarchistisches Kozept zu etwickeln, das zweifelsohne nicht frei von eskapistischen Tendenzen frei war, erfuhr von anarchistischer Seite heftige Kritik. Holley Cantine, Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift Retort, meinte abschätzig, Macdonald verfüge ungefähr über so viel philosophische Konsistenz wie ein Kaninchen. Für den „macdonaldistischen” Anarchismus konnte er sich nicht erwärmen, schon gar nicht, wenn Macdonald das unmittelbare Vergnügen an der Aktion zum entscheidenden Kriterium machte: Hierbei bestehe die Gefahr, dass die Verantwortungslosigkeit zum revolutionären Prinzip erhoben werde, wandte Cantine ein. Das menschliche Überleben hänge aber auch von Aktivitäten ab, die unangenehm seien und nicht lediglich Spaß bereiteten. Vieles erschien ihm an Macdonalds neuer politischer Philosophie noch unverdaut: Sie bedürfe einer mühevollen Bearbeitung, um die Ambiguitäten und inneren Widersprüche zu beseitigen. Während andere Macdonald seine politische Hakenschlagerei vorwarfen, bemängelte Cantine, dass sein Bruch mit dem Autoritarismus des Marxismus nicht radikal genug sei. Seine journalistischen Aktivitäten verhinderten, dass er genügend Zeit und Energie philosophischen Fragen widmen könne, wie es eine fundamentale Reorientierung erfordere.vii In den frühen 1940ern entwickelte er parallel zu den Emigranten der „Frankfurter Schule“ eine Kritik der Massengesellschaft mit ihren verschiedenen Ausprägungen wie der Dehumanisierung im technologisch geführten Krieg und der daraus resultierenden Verantwortungslosigkeit. Massenkultur war hier lediglich ein Aspekt innerhalb einer entmenschlichten, funktionalen Massengesellschaft. In den 1950er Jahren koppelte sich jedoch die Kulturkritik in Folge der bipolaren Konfrontation zwischen dem westlichen und dem sowjetischen System von der Sozialkritik ab und schob die Schuld für die herrschenden Verhältnisse und die umgreifende „Unkultur“ der Halbbildung auf die „Massen“ ab. Die Kritik der Massenkultur reduzierte sich schließlich auf eine Topologie des unübersichtlichen Terrains, die Phänomene unter die Kategorien „the Good“, „the Bad“ und „the Ugly“ rubrizierte. Die Erniedrigung der Kunst erregte Macdonald mehr als die Erniedrigung der Menschen.


Quellen und Literatur

Bücher

  • Against the American Grain, New York 1962.
  • A Moral Temper: The Letters of Dwight Macdonald, hg. Michael Wreszin, Chicago 2001
  • Discriminations : Essays & Afterthoughts, 1938-1974, New York 1974
  • Interviews with Dwight Macdonald, hg. Michael Wreszin, Jackson 2003
  • Memoirs of a Revolutionist: Essays in Political Criticism, New York 1957 (nachgedruckt als Politics Past, New York 1970)
  • On Movies, Englewood-Cliffs 1969
  • The Responsibility of Peoples and Other Essays in Political Criticism, London 1957

Artikel

  • “A Theory of ‘Popular Culture’”, Politics, 1:1 (Februar 1944), S. 20-23
  • “A Theory of Mass Culture”, in: Mass Culture: The Popular Arts in America, hg. Bernard Rosenberg und David Manning White, Glencoe 1957, S. 59-73
  • “Atrocities of the Mind”, Politics, 2:8 (August 1945), S. 225-227
  • “Eisenstein, Pudovkin and Others”, The Miscellany, Nr. 6 (März 1931), S. 18-46
  • “Fascism - A New Social Order”, New International, 7:4 (Mai 1941), S. 82-85
  • “Kulturbolschewismus Is Here”, Partisan Review, 8:6 (November-Dezember 1941), S. 442-451
  • “Masscult and Midcult”, Partisan Review, 27:2 (Frühjahr 1960), S. 203-233, und Partisan Review, 27:4 (Herbst 1960), S. 589-631
  • “National Defense: The Case for Socialism”, Partisan Review, 7:4 (Juli-August 1940), S. 250-266
  • “Notes on a Strange War”, Partisan Review, 7:3 (Mai-Juni 1940), S. 170-175
  • “Notes on the Psychology of Killing”, Politics, 1:8 (September 1944), S. 239-243
  • “Pacifism and the USSR, A Discussion”, Politics, 5:3 (Sommer 1948), S. 146-149
  • "Popular Culture: Field Notes”, Politics, 2:4 (April 1945), S. 112-116
  • Soviet Society and Its Cinema”, Partisan Review, 6:2 (Winter 1939), S. 80-95
  • “The German Catastrophe”, Politics, 4:1 (Januar 1947), S. 2-6
  • “The Responsibility of Peoples”, Politics, 2:3 (März 1945), S. 82-93
  • “The Root is Man”, Politics, 3:4 (April 1946), S. 97-115, und Politics, 3:6 (Juli 1946), S. 194-214
  • “The Soviet Cinema: 1930-1938”, Partisan Review, 5:2 (Juli 1938), S. 37-50; und Partisan Review, 5:3 *(August-September 1938), S. 35-62
  • “The Two Horrors”, Politics, 2:5 (Mai 1945), S. 130-131
  • “Through the Lens Darkly”, Partisan Review, 14:5 (September-Oktober 1947), S. 526-528
  • “Trotsky Is Dead: An Attempt at an Appreciation”, Partisan Review, 7:5 (September-Oktober 1940), S. 339-353
  • “USA v. USSR”, Politics, 5:2 (Frühjahr 1948), S. 75-77
  • “War and the Intellectuals: Act Two”, Partisan Review, 6:3 (Frühjahr 1939), S. 3-20
  • “What is the Fascist State?”, New International, 7:2 (Februar 1941), S. 22-27
  • “Why Politics?”, Politics, 1:1 (Februar 1944), S. 6-7
  • [Mit Clement Greenberg] “10 Propositions on the War”, Partisan Review, 8:4 (Juli-August 1941), S. 271-278

Ausgewählte Sekundärliteratur

  • Jörg Auberg, “Déjà vu in Permanenz: Dwight Macdonalds Reisen durch die Landschaften des Grauens”, Schwarzer Faden, Nr. 77 (2004), S. 26-32
  • Jörg Auberg, “Untergrundlinge und Loftmenschen: Intellektuelle in der Welt der Rackets”, Wespennest, Nr. 139 (Juni 2005), S. 93-98
  • Holley Cantine, “Reviews: Politics”, Retort, 3:4 (Frühjahr 1947), S. 40-46
  • Terry A. Cooney, The Rise of the New York Intellectuals: Partisan Review and Its Circle, 1934-1945, Madison 1986.
  • Robert Cummings, “Resistance and Victimization: Dwight Macdonald in the 1940s”, New Politics (N. F.), 1:1 (Sommer 1986), S. 213-232
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  • Russell Jacoby, The End of Utopia Politics and Culture in an Age of Apathy, New York 1999
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  • Neil Jumonville, The New York Intellectuals Reader, New Yok 2007
  • Neil Jumonville, “The New York Intellectuals and Mass Culture Criticism”, Journal of American Culture, 12:1 (Frühjahr 1989), S. 87-95
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  • S. A. Longstaff, “Partisan Review and the Second World War”, Salmagundi, Nr. 43 (Winter 1979), S. 108-129
  • S. A. Longstaff, “The New York Family”, Queen's Quarterly, 83:4 (Winter 1976), S. 556-573
  • S. A. Longstaff, “The New York Intellectuals and the Cultural Cold War: 1945-1950”, New Politics (N. F.), 2:2 (Winter 1989), S. 156-170
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  • Robert Westbrook, “The Responsibility of Peoples: Dwight Macdonald and the Holocaust”, in: America and the Holocaust: Holocaust Studies Annual, Bd. 1, hg. Jack Fischel und Sanford Pinsker. Greenwood 1984, S. 35-68
  • Stephen J. Whitfield, A Critical American: The Politics of Dwight Macdonald, Hamden 1984
  • Hugh Wilford, The New York Intellectuals: From Vanguard to Institution, Manchester 1995
  • Hugh Wilford, “An Oasis: The New York Intellectuals in the Late 1940s”, Journal of American Studies, 28:2 (August 1994), S. 209-223
  • Michael Wreszin, A Rebel in Defense of Tradition: The Life and Politics of Dwight Macdonald, New York 1994

Autor: Jörg Auberg

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