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Lexikon der Anarchie: Organisationen/Bewegungen

Internationale Arbeiterassoziation (IAA) von 1864


Geschichte

Die Erste Internationale – die Internationale Arbeiterassoziation – wurde am 28. September 1864 in London gegründet. Ausgangspunkt waren beginnende Kontakte und gegenseitige Sympathiekundgebungen bei Streiks zwischen fortschrittlichen Londoner und Pariser ArbeiterInnen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts. Anlässlich der Londoner Weltausstellung 1862 hielt sich eine Delegation französischer Arbeiter im August 1862 in London auf und einige Teilnehmer stellten erste persönliche Kontakte zu Londoner Gewerkschaftern her (In Frankreich unter Napoleon in. waren Gewerkschaften zu dieser Zeit verboten, die Versammlungsfreiheit unterdrückt). Diese Beziehungen wurden im Jahre 1863 aus Anlas des polnischen Aufstandes gegen die Fremdherrschaft des zaristischen Rußland verstärkt. An einer Solidaritätsversammlung englischer Gewerkschaften in London im Juli 1863 zugunsten der polnischen Revolution nahmen französische Arbeitervertreter teil. Bei dieser Gelegenheit wurde der Wunsch nach einer engeren Verbindung untereinander besprochen. Nach einigen Verzögerungen kam es dann im September 1864 in der St. Martin's Hall in London zur Gründungsversammlung der IAA.

Die Idee zu internationaler, proletarischer Solidarität war von den Gleichheitsgrundsätzen der Französischen Revolution geweckt worden. Ansätze zu internationaler Organisierung hatte es bereits zuvor einige gegeben, z.B. den „Bund der Gerechten / Bund der Kommunisten“ (1836 bzw. 1847), die „Democratic Friends of all Nations“ (1845), die „International Association“ (1856) (vgl. J. Braunthal 1978, S. 62-99), sie erreichten jedoch nicht die Bedeutung der IAA.

An der Gründungsversammlung 1864 nahmen neben Engländern und Franzosen auch italienische, deutsche, polnische und schweizerische Arbeiter teil, von denen viele als Flüchtlinge in London lebten. Die Versammlung wählte ein provisorisches Zentralkomitee, den späteren Generalrat. In dieses Komitee wurde auch Karl Marx gewählt, der seit Sommer 1849 in London lebte. K. Marx verfasste im Oktober 1864 die Statuten und eine Inaugural- (Einführungs-)Adresse für die IAA und erlangte schnell einen großen Einfluss im Generalrat.


Die Londoner Konferenz vom 25.-28. September 1865

Eigentlich hätte – laut Beschluss der Gründungsversammlung 1864 – im Jahre 1865 der erste Kongress der IAA in Brüssel stattfinden sollen. „Marx befürchtete jedoch, daß das Chaos sozialer und politischer Ideen, wie er es vor allem in der französischen Arbeiterbewegung sah, die Internationale vor aller Welt ‚blamieren’ würde. Er überzeugte den Generalrat, mit dem Kongreß lieber noch ein Jahr zu warten und indessen an seiner Stelle eine geschlossene Konferenz nach London einzuberufen“ (J. Braunthal 1978, S. 136).

Die Konferenz befasste sich im wesentlichen mit organisatorischen und finanziellen Fragen. Vertreten waren Frankreich, England, Schweiz und Belgien, sowie deutsche, polnische und italienische Flüchtlingsgruppen in London (Deutscher Kommunistischer Arbeiterbildungsverein, Polnischer Nationalverein, Londoner italienische Arbeitergesellschaft).


Der Genfer Kongress vom 25.-28. September 1865

Zum ersten Kongress der IAA kam über die Hälfte der sechzig Delegierten aus der Schweiz, weitere sechzehn aus Frankreich, der Rest aus England. K. Marx, der selbst nicht anwesend war, hatte für den Kongress ein Programm geschrieben, in dem er bemüht war, konfliktreiche Punkte herauszuhalten und den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Richtungen der IAA zu stärken. Trotzdem kam es zu Konflikten mit den französischen Delegierten ( Proudhonisten), am Ende aber akzeptierte der Kongress das von K. Marx vorgeschlagene Programm weitgehend.

„Der Kongreß hatte sich zur fundamentalen Aufgabe der Gewerkschaften bekannt, das Lohnsystem zu überwinden und eine neue soziale Ordnung, beruhend auf der Macht der Arbeiterklasse, aufzubauen. Er hatte sich für die gesetzliche Einführung des Achtstundentages und für ein öffentliches System der Volksschulbildung erklärt“ (J. Braunthal 1978, S. 141/142).


Der Lausanner Kongress vom 2.-7. September 1867

Auf dem zweiten Kongress der IAA waren Frankreich, England, Schweiz, Belgien, Italien und erstmals Deutschland vertreten. Die deutschen Delegierten vertraten allerdings nur kleine Ortsgruppen.

Die Gegensätze zwischen den Anhängern von K. Marx und Proudhonisten zeigten sich auf diesem Kongress noch deutlicher. Gleichzeitig machte sich – in Gestalt des belgischen Delegierten Caesar De Paepe – eine neue Richtung bemerkbar, die in den nächsten Jahren die Proudhonisten weitgehend verdrängen sollte. Die Rede von De Paepe auf dem Kongress „... bildet die erste Stufe der Umbildung des mutualistischen zum kollektivistischen Anarchismus, einer Entwicklung, die De Paepe, der gründlichste sozialistische Denker dieser Kreise, tatsächlich zuerst begründete, der man in Belgien, im Jura, in der französischen Provinz, zum Teil auch in Paris ungezwungen folgte, von der sich aber die Gruppe Tolain (die Proudhonisten um Henri Tolain, d. Verf.) hartnäckig ausschloß, wodurch sie unvermeidlich ins Hintertreffen, dann ganz abseits geriet. (...) Die Einsicht, daß der Privatbesitz an zur Produktion notwenigen Gegenständen unter allen Umständen schädlich sei, eine den Proudhonisten fehlende Einsicht, entstand also zuerst in Bezug auf den Grundbesitz – ihre Ausdehnung auf alle Arbeitswerkzeuge und Naturschätze bildete sich dann in den Jahren 1867-1869 aus“ (M. Nettlau 1972, S. 83).


Der Brüsseler Kongress vom 6.-13. September 1868

Der Kongress vereinigte hundert Delegierte, neben den bereits erwähnten Ländern war erstmals Spanien vertreten.

Nachdem der zweite Kongress von 1867 die Frage nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln auf Drängen der Proudhonisten noch vertagt hatte, bekannte sich die IAA auf dem dritten Kongress zur Sozialisierung der Produktionsmittel, mit den Stimmen der Kollektivisten und der autoritären Sozialisten gegen die Proudhonisten.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieses Kongresses war die Resolution zur Kriegsfrage, in der zu internationaler Solidarität und zum Streik gegen den Krieg aufgerufen wurde.


Der Baseler Kongress vom 5.-12. September 1869

Auf dem vierten Kongress der IAA waren erstmals Delegierte aus Österreich und den USA anwesend. Die einen Monat vorher in Eisenach gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands war durch Wilhelm Liebknecht vertreten.

„Der Basler Kongreß ... ist bis heute die einzige große Versammlung geblieben, in der Sozialisten und Anarchisten aller Richtungen, in natürlichen Proportionen vertreten, ruhig diskutierten, sich über manches verständigten, in anderem differierten und friedlich auseinandergingen. (...) Die belgischen und die um Michail Bakunin gruppierten Kollektivisten, denen Varlins Pariser Gruppe näher trat, die Pariser Proudhonisten, die autoritären deutschen Sozialisten und Generalratsdelegierten, eine mehr demokratische als sozialistische Richtung (A. Goegg) und ein vereinzelter Positivist, auch ein amerikanischer Gewerkschafter und die Genfer Politiker trafen zusammen“ (M. Nettlau 1972, S. 125).

Der fünfte Kongress der IAA sollte eigentlich am 5. September 1870 in Mainz eröffnet werden. Zwei Monate zuvor erhielt aber die Idee der internationalen Solidarität einen herben Rückschlag durch den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges am 19. Juli 1870. Erstens hatten sich (auch) breite Arbeiterkreise von der Kriegsbegeisterung und dem Nationalismus anstecken lassen und von Streik gegen den Krieg war keine Rede mehr: „Solange ein böser Geist die Soldaten Frankreichs an Napoleons Fersen heftet und unsere deutschen Marken mit Krieg und Verwüstung bedroht, werden wir mit aller Entschiedenheit die Unantastbarkeit des deutschen Bodens gegen napoleonische und jede andere Willkür verteidigen helfen“ (aus einem Manifest des Braunschweiger Zentralausschuß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei vom 24. Juli 1870; zit. nach J. Braunthal, 1978, S. 155).

Zweitens war die französische Internationale, insbesondere nach der Pariser Commune (März-Mai 1871) zerstört und verboten, ihre AnhängerInnen tot, deportiert oder im Exil.


Die Londoner Konferenz vom 17.-23. September 1871

Statt 1871 wieder einen öffentlichen Kongress abzuhalten, veranstaltete der Generalrat im September des Jahres eine geschlossene Konferenz – dreizehn der dreiundzwanzig sorgfältig ausgewählten Delegierten gehörten dem Generalrat an – die völlig unter dem Einfluss von K. Marx stand. Folglich bewilligte die Konferenz dem Generalrat erweiterte Vollmachten und Befugnisse und legte die Strategie der Arbeiterklasse auf die Gründung politischer Parteien und die parlamentarische Tätigkeit fest.

Gegen diese Vorgehensweise sprach sich zuerst die (neugegründete) Jura-Föderation der romanischen Schweiz auf ihrem Kongress am 12. November 1871 durch das sog. „Jura-Zirkular“ an alle Föderationen der IAA aus: „Bei Gründung der internationalen Arbeiterassoziation wurde ein Generalrat eingesetzt, der nach dem Wortlaut der Statuten als zentrales Korrespondenzbureau zwischen den Sektionen dienen sollte, dem aber absolut keine Autorität zugewiesen wurde, ... Da seit dem Basler Kongreß, 1869, der allgemeine Kongreß nicht zusammentrat, war der Generalrat während der zwei letzten Jahre sich selbst überlassen. Der französisch-deutsche Krieg verursachte 1870 den Ausfall des Kongresses; im Jahre 1871 wurde dieser Kongreß durch eine geheime Konferenz ersetzt, die der Generalrat einberief, ohne daß die Statuten ihn irgendwie zu diesem Vorgehen berechtigen würden. Diese geheime Konferenz, die gewiß keine vollständige Vertretung der Internationale vorstellte, da zahlreiche Sektionen, die unsrigen insbesondere, nicht dazu eingeladen worden waren, – diese Konferenz, deren Majorität im vorhinein dadurch verfälscht war, dass der Generalrat sich das Recht angemaßt hatte, sechs von ihm ernannte Delegierte mit beratender Stimme daran teilnehmen zu lassen, – diese Konferenz, die sich absolut nicht als mit Kongreßrechten ausgestattet betrachten konnte, faßte trotzdem Beschlüsse, welche die allgemeinen Statuten schwer beeinträchtigen und die dahin zielen, aus der Internationale, einer freien Föderation autonomer Sektionen, eine hierarchische und autoritäre Organisation disziplinierter Sektionen zu machen, die ganz unter die Oberhand eines Generalrats gestellt sind, der nach seinem Belieben ihre Zulassung verweigern oder sie von weiterer Tätigkeit suspendieren kann. (...) wir verlangen, daß in der Internationale das Prinzip der Autonomie der Sektionen aufrechterhalten wird, das bis jetzt die Grundlage unserer Gesellschaft bildete" (zit. nach M. Bakunin, 1975(3), S. 165-168).

Belgien, Spanien und Italien schlossen sich diesem Protest an.

Die italienische Föderation der IAA beschloss auf ihrem Kongress in Rimini im August 1872 sogar die vollständige Trennung vom Generalrat und den Boykott des nächsten Kongresses der IAA.

Die von K. Marx verfasste Antwort auf das Jura-Zirkular war ein (ab Mai 1872 verbreitetes) Zirkular des Generalrats („Die angeblichen Spaltungen in der Internationale“). „Hier ließ Marx derart seinem Haß und seinem Wunsch, zu verletzen und zu beleidigen, die Zügel schießen, daß eine Versöhnung oder auch nur eine ruhige Entwicklung des Zwiespalts ausgeschlossen war“ (M. Nettlau 1972, S. 195).


Der Haager Kongreß vom 2.-7. September 1872

Der fünfte Kongress der IAA bedeutete das Ende der Internationale in ihrer bisherigen Zusammensetzung. Eine von K. Marx und seinen Anhängern künstlich geschaffene Delegiertenmehrheit beschloss die Verlegung des Generalrats von London nach New York und schloss M. Bakunin und James Guillaume aus der IAA aus, die Minderheit (Belgien, Holland, Spanien, Jura) protestierte vergeblich.

Damit war die IAA in zwei Richtungen auseinandergebrochen. Die autoritäre Richtung um K. Marx veranstaltete 1873 noch einen kleinen Kongress in Genf (sechsundzwanzig der achtundzwanzig Delegierten waren Schweizer, kein Mitglied des Generalrats war anwesend) und löste sich später auf.


Der internationale Kongress in St. Imier vom 15.-16. September 1872

Die italienische Föderation, die den Haager Kongress boykottierte, hatte einen Gegenkongress nach St. Imier (Schweiz) einberufen, zu dem die spanischen und jurassischen Delegierten aus Haag reisten. Außerdem nahmen französische Delegierte teil. Dieser Kongress verwarf die Beschlüsse des Haager Kongresses und erklärte sich als legitime Vertretung der IAA, was dann auch von der belgischen, holländischen und englischen Föderation anerkannt wurde.


Der Genfer Kongress vom l.-6. September 1873

Dieser Kongress vereinigte Engländer, Spanier, Franzosen, Belgier, Holländer, Italiener und Schweizer. Er hatte keineswegs nur anarchistische / anti-autoritäre Teilnehmer, vielmehr waren auch autoritäre Sozialisten vertreten. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein solidarisierte sich mit dieser Richtung. Der Kongress beschloss neue, freiheitliche Statuten und ersetzte den Generalrat durch ein internationales Korrespondenz-Büro ohne jegliche Autorität.


Der Brüsseler Kongress vom 7.-13. September 1874

Nach dem Verbot der französischen Internationale wurde ab Januar 1874 die Internationale auch in Spanien verboten, in Italien setzten ab August 1874 ebenfalls scharfe Verfolgungen ein. Diese Krise führte dazu, dass der Brüsseler Kongress nur schwach besucht war und dass 1875 kein Kongress stattfinden konnte.


Der Berner Kongress vom 26.-30. Oktober 1876

Mit August Reinsdorf nahm an diesem Kongress erstmals ein deutscher Anarchist teil. Die (1875 vereinte) deutsche Sozialdemokratie war durch Julius Vahlteich vertreten.

Innerhalb der Internationale zeigte sich in zunehmendem Maße Unzufriedenheit mit der Entwicklung der IAA, was z.B. zur Lösung der belgischen Föderation vom Anarchismus führte, die 1876 einsetzte. Caesar De Paepe forderte auf dem Berner Kongress die Einberufung eines Sozialistischen Weltkongresses, um wieder breitere Kreise an der Internationale zu beteiligen und setzte sich damit durch.


Der Kongress in Verviers vom 6.-8. September 1877

Dies war der letzte internationale Kongress der IAA, bald danach löste sich das internationale Korrespondenten-Büro auf.

Sektionen und Föderationen der IAA bestanden in verschiedenen Ländern aber noch jahrelang weiter. Der internationale Kongress in London im Juli 1881 verstand sich als in der Tradition der IAA stehend.

Im Anschluss an den Kongress in Verviers fand der 1876 beschlossene Sozialistische Weltkongress in Gent (vom 9.-15. September 1877) statt, der aber nicht die Erwartungen erfüllte, die in ihn gesetzt worden waren, sondern an den Widersprüchen zwischen den Anarchisten und den Sozialdemokraten scheiterte.


Organisation

Die Statuten der IAA und eine einführende „Adresse an die Arbeiterklasse“ (die sog. Inaugural-Adresse), wurden im Oktober 1864 von K. Marx verfasst, der in einen Unterausschuss, der zu diesem Zweck von der konstituierenden Sitzung des Generalrats am 5. Oktober 1864 eingerichtet wurde, gewählt worden war. Beide Dokumente wurden in der Sitzung des Generalrats vom 1. November 1864 einstimmig angenommen.

In den Statuten wurden in zehn Artikeln die Ziele und die Organisationsform der Internationale bestimmt. „Ihr Name: Internationale Arbeiterassoziation. Ihr Zweck: Als Mittelpunkt der Verbindung und des Zusammenwirkens der Arbeiterorganisationen der verschiedenen Ländern zu dienen. Die höchste Autorität der Internationale ist der Kongreß, der einmal im Jahr zusammentritt und auf dem alle Zweigorganisationen der Internationale durch Delegierte vertreten sind, und zwar jede Lokalgruppe unbeschadet ihrer Stärke bis zu 500 Mitglieder durch einen Delegierten, und für jede weitere 500 Mitglieder durch je einen weiteren Delegierten. (...) Der Kongreß wählt den Generalrat und bestimmt den Ort seines Sitzes.“ (J. Braunthal 1978, S. 120).

Der Generalrat war von der englischen Gewerkschaftsbewegung dominiert, etwa die Hälfte seiner Mitglieder waren englische Gewerkschaftsführer. Zur Kommunikation mit den einzelnen Ländern wurden vom Generalrat „korrespondierende Sekretäre“ eingesetzt. So war z.B. K. Marx für Deutschland zuständig, Friedrich Engels für Italien.

Die (bis dahin provisorischen) Statuten wurden auf dem ersten Kongress der IAA 1866 in Genf endgültig angenommen. Auf der Londoner Konferenz 1871 kam es dann zur (bereits dargestellten) Veränderung der Entscheidungsbefugnisse zugunsten des Generalrats und zur Einschränkung und Festlegung der politischen Strategie, wodurch die Spaltung der IAA eingeleitet wurde.

Genaue Zahlen über den Mitgliederbestand der IAA liegen nicht vor. Die Zahl der Einzelmitglieder war wohl niedrig (Schätzungen sprechen von ca. 300 in England 1870, einigen Tausend in Frankreich und der Schweiz, unter Tausend in Deutschland, 2.000-10.000 in Italien 1871, 20.000 in Spanien 1869, 5.000 in den USA 1871), viel bedeutender waren die in Gewerkschaften und politischen Vereinen organisierten kollektiven Mitglieder, z.B. 95.000 in England 1869 (vgl. J. Braunthal, 1978, S. 121-134).

„... durch den Einfluß ihrer individuellen Mitglieder in den Gewerkschaften, Genossenschaften und anderen Arbeiterorganisationen und politischen Klubs und begünstigt durch die revolutionäre Stimmung in der Arbeiterklasse wurde die Internationale in Frankreich, wie auch in Belgien und Italien, Ende der sechziger Jahre eine Massenbewegung.“ (J. Braunthal 1978, S. 133).


Programm und Politik

Die praktische Politik der Internationale wurde anfangs hauptsächlich durch ihre Interventionen bei zahllosen Streiks geprägt. „Nahezu in jeder Sitzung des Generalrats standen Gewerkschaftskämpfe zur Beratung.“ (J. Braunthal 1978, S. 128). Die Verhinderung von Streikbrüchen durch importierte ausländische Arbeiter, sowie die Organisation von Solidaritätsaktionen bei Streiks war eine der wesentlichen Aufgaben, die die englischen Gewerkschaftsführer bei Gründung der IAA im Sinn gehabt hatten. Bei einer Reihe ihrer Interventionen war die Internationale erfolgreich, was ihr Ansehen beträchtlich steigerte und ihr neue Mitglieder zuführte.

In den Texten der Statuten und der Inaugural-Adresse vermied es K. Marx radikale Formulierungen zu verwenden, um keine der verschiedenen Strömungen innerhalb der IAA zu brüskieren. So fehlt beispielsweise die Forderung nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die die französischen Proudhonisten nicht mitgetragen hätten. „So sehr deshalb auch das Programm in der Sache, im Kern revolutionär war, so sehr mußte es in den Einzelforderungen reformerisch und durchaus ohne Dogmen belastet sein, galt es doch, einen Boden für die internationale Aktion der Arbeiterklasse zu finden, auf dem deutsche Lassalleaner, französische Proudhonisten und englische Gewerkschaftler einmütig zusammen wirken konnten.“ ( F. Brupbacher 1913, S. 17).

Ab 1866 wurden die theoretischen Streitfragen auf den jährlichen Kongressen diskutiert. „Die Internationale vereinigte in den Jahren 1864-1867 so verschiedene, vielfach wenig entwickelte Elemente, daß ihr Gesamtfortschritt auf dem Gebiet der Idee, wie er in den Kongreßbeschlüssen zum Ausdruck kam, ein unendlich langsamer war. Diese Feststellung ist nicht als Kritik zu betrachten, denn ihr Hauptzweck war das Bewußtwerden der Solidarität zwischen den Arbeitern als Arbeiter dem Kapital gegenüber und als Menschen den sie trennenden Staatsorganismen... gegenüber“ (M. Nettlau 1972, S. 88).

Das Erstarken des kollektivistischen Anarchismus durchkreuzte die Pläne von K. Marx in der IAA. Obwohl er selbst auf keinem der Kongresse persönlich anwesend war (außer in Haag 1872), hatte er durch seine Arbeit im Generalrat und durch präzise Anweisungen an seine Anhänger einen starken Einfluss auf die Kongresse ausgeübt. Die Stellung von K. Marx beruhte jedoch eigentlich nur auf der Unterstützung der englischen Gewerkschaftsführer und der deutschen politischen Flüchtlingsgruppen in London. Es war deshalb 1869 abzusehen, dass der kollektivistische Anarchismus binnen kurzem in der IAA dominieren würde, wie es in Belgien, Spanien und dem Schweizer Jura bereits der Fall war.

K. Marx betrachtete M. Bakunin als Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung. Im April 1848 war es zu einem Bruch zwischen den beiden, die sich seit Sommer 1844 in Paris kannten, gekommen. Seitdem hatte es mehrmals Verleumdungen M. Bakunins (als angeblicher russischer Agent) durch Anhänger von K. Marx in der deutschen und englischen Presse gegeben. Anfang November 1864 (also kurz nach der Gründung der IAA) kam es in London zur letzten persönlichen Begegnung zwischen M. Bakunin und K. Marx, während der K. Marx von der IAA berichtete. M. Bakunin – der K. Marx zwar als Theoretiker schätzte, seinen autoritären Sozialismus, sowie seine persönliche Art jedoch ablehnte – hatte sich (erst) im Juli 1868 (der Genfer Sektion) der IAA angeschlossen. K. Marx, der seinen Einfluss in der IAA weiter schwinden sah, erkor sich bereits Ende 1868 / Anfang 1869 M. Bakunin zum Hauptgegner („Bakunin gibt sich also noch dem angenehmen Wahne hin, daß man ihn ruhig gewähren lassen werde“ (K. Marx an F. Engels im Januar 1869, zit. nach M. Nettlau, 1972, S. 117).) und verschärfte seinen Kampf gegen ihn in den folgenden Monaten ständig („Dieser Russe will offenbar Diktator der europäischen Arbeiterbewegung werden. Er soll sich in Acht nehmen. Sonst wird er offiziell exkommuniziert werden" (K. Marx an F. Engels am 27. 7. 1869, zit. nach M. Nettlau, 1972, S. 123)).

Die beiden Führer der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel und Wilhelm Liebknecht, verbreiteten zu dieser Zeit erneut das Gerücht, M. Bakunin sei ein Agent der russischen Regierung.

Auf dem Baseler Kongress 1869 trafen M. Bakunin und W. Liebknecht zusammen, ein Ehrengericht sprach sich in dieser Sache gegen W. Liebknecht aus, dieser reichte M. Bakunin die Hand zur Entschuldigung, publizierte jedoch bald darauf die Verleumdung erneut in der deutschen Presse.

K. Marx selbst begann im Januar 1870 seine Kampagne gegen M. Bakunin, als er diesen in Briefen an die Romanische Föderation (Schweiz) und die belgische Internationale verleumdete. Im März 1870 folgte die „konfidentielle Mitteilung“ an die Spitzen der deutschen Sozialdemokratie. Gleichzeitig agierte F. Engels in Italien gegen M. Bakunin.

Diese Eskalierung der Differenzen innerhalb der IAA von K. Marx zu einem persönlichen Feldzug gegen die anarchistische Richtung im allgemeinen und M. Bakunin im besonderen verhinderte, dass die verschiedenen Strömungen nochmals friedlich (wie bei dem Kongress in Basel) zusammentreten konnten und führte zur Spaltung auf dem Haager Kongress.


Charakterisierung

„Die Erste Internationale ist eine der denkwürdigsten Episoden in der Geschichte des Sozialismus. (...) Millionen Arbeitern erschien sie als eine legendäre Gestalt, in die sie überschwengliche Hoffnungen setzten. (...) Die Kabinette Europas beschäftigten sich mit Plänen ihrer Ausrottung. In Frankreich und Spanien wurde sie durch Sondergesetze verfolgt, in der österreichisch-ungarischen Monarchie und im Deutschen Kaiserreich als staatsgefährlich verfemt, vom Papst als ‚Feind Gottes und der Menschheit’ verdammt. Mit der Ersten Internationale, viel bewundert und geschmäht, betrat der Sozialismus als eine Weltbewegung die Bühne der Geschichte.“ (J. Braunthal 1978, S. 101).


Michael Bovenschen


Literatur und Quellen

  • M. Bakunin: Gesammelte Werke l, Berlin (West) 1975(1)
  • Den.: Gesammelte Werke 2, Berlin (West) 1975 (2)
  • Den.: Gesammelte Werke 3, Berlin (West) 1975(3)
  • Den.: Sozial-politischer Briefwechsel, Berlin (West) 1977
  • den.: Eckhardt, Wolfgang (Hg. und Einleitung): Konflikt mit Marx. Teil 1: Texte und Briefe bis 1870. Berlin 2004
  • J. Braunthal: Geschichte der Internationale, Bd. l, Berlin/Bonn 1978 (3. Aufl.)
  • F. Brupbacher: Marx und Bakunin. Ein Beitrag zur Geschichte der Internationalen Arbeiterassoziation, München 1913
  • Den.: Michael Bakunin. Der Satan der Revolte, Frankfurt/M. 1979
  • E. Malatesta: Die erste Internationale, in: Gesammelte Schriften Bd. 2, Berlin (West) 1980
  • M. Nettlau: Bakunin und die Internationale in Italien bis zum Herbst 1872, in: C. Grünberg: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. II, Leipzig 1912
  • Den.: Bakunin und die Internationale in Spanien 1868-1873, in: C. Grünberg: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. IV, Leipzig 1914
  • Den.: Der Anarchismus von Proudhon zu Kropotkin, Glashütten 1972
  • Den.: Zur Geschichte der spanischen Internationale und Landesföderation (1868-1889), in: C. Grünberg: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. XIV, Leipzig 1929
  • P. Ramus: Nach vierzig Jahren – Ein historisches Gedenkblatt zur vierzigjährigen Gründung der Internationalen Arbeiter Association (London 1905), in: anarchistische texte 17: Die erste Internationale 1864, Berlin (West) 1979
  • R. Rocker: Parlamentarismus und Arbeiterbewegung. Zur Geschichte der parlamentarischen Tätigkeit in der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 1978
  • A. Souchy: 120 Jahre IAA, in: Schwarzer Faden 13 (1/1984), S. 50
  • H. Zoccoli: Die erste Internationale (1864-1872), in: anarchistische texte 17, Berlin (West) 1979


Lexikon der Anarchie: Organisationen/Bewegungen