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Gustav Landauer: Antipolitik (2)

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Version vom 23. September 2010, 17:08 Uhr von WikiSysop (Diskussion | Beiträge) (Bibliophiler Nachtrag: „Ein schönen Rücken, kann auch entzücken!“)
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Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: 978-3868410365 Landauer-Ausgewaehlte Schriften 3-2.gif
Autor/en: Gustav Landauer
Titel: Antipolitik
Editoriales: (= Ausgewählte Schriften - Band 3.2). Hrsg., kommentiert, mit einer Einleitung und einem Personenregister versehen von Siegbert Wolf. Illustriert von Uwe Rausch
Verlag: Verlag Edition AV
Erscheinungsort: Lich/Hessen
Erscheinungsjahr: 2010
Umfang, Aufmachung: Originalausgabe. Broschur. 277 Seiten.
ISBN: (ISBN-13:) 978-3868410365
Preis: 18,00 EUR
Direktkauf: bei aLibro, der Autorenbuchhandlung des DadAWeb

Besprechung

Um alle bedeutsamen Aspekte in Landauers (anti-)politischem Denken und Handeln umfassend zu berücksichtigen, hat Siegbert Wolf, der Herausgeber, sich im Rahmen der Gesamtedition der "Ausgewählten Schriften" Gustav Landauers zur Herausgabe eines Doppelbandes zum Thema „Antipolitik“ entschieden. Inhaltlich und thematisch knüpft der nun erschienene Band 3.2 unmittelbar an den vorherigen Band 3.1. an und legt den Schwerpunkt auf Landauers Projektanarchismus, insbesondere auf die Geschichte und Programmatik des "Sozialistischen Bundes" (1908-1915).

Die im ersten Band „Antipolitik“ veröffentlichten programmatischen Stellungnahmen Landauers werden im zweiten Band um den Diskurs mit dem libertären Psychoanalytiker Otto Gross (1877-1920) ergänzt. Die Debatte zwischen Gross und Landauer macht deutlich, welch hohen Stellenwert Landauer der innerpsychischen Befreiung des Einzelnen beimaß. Denn unter der von ihm angestrebten fundamentalen Restrukturierung der Gesellschaft verstand er nicht nur die Transformation der äußeren politischen und ökonomischen Strukturen. Zur Freiheit innerlich fähig zu werden, stellte für ihn eine wesentliche Vorarbeit und Voraussetzung zur Revolution dar. Das war eine Sicht, die Otto Gross mit ihm teilte.

Landauer hat sich jedoch beharrlich geweigert, sich näher mit der Psychoanalyse zu beschäftigen. So blieben dann auch seine Kenntnisse der von Sigmund Freud begründeten psychologischen Theorie oberflächlich und marginal. Wenn er sich dennoch mit psychologischen Themen befasste, so lag dies eher in seinem Interesse für Charakterstudien begründet, die er seit den 1890er Jahren betrieb. Für Landauer war die "Sozialpsychologie (…) selbst nichts anderes als die Revolution". Nachdrücklich verwehrte er sich jedoch gegen die Verquickung von Charakter und Seele mit Wissenschaft. Für ihn war die Revolution kein einmaliger Vorgang, sondern eine permanente Tat, also ein Prozess, der sich über Jahrhunderte hinziehen kann. Deshalb erschien es ihm notwendig, "die Erscheinung der Revolution vom Standort der sozialen Psychologie aus" zu betrachten, denn: "Revolution und Sozialpsychologie sind verschiedene Benennungen, und darum gewiss auch verschiedene Schattierungen derselben und nämlichen Sache". Ebenso wie Otto Gross war Landauer bewusst, dass innerlich gesunde Menschen neue, vielfältige und kommunitäre Arrangements des Zusammenlebens benötigen. Während sich Gross die radikale Befreiung der Frauen und das Ausleben der Sexualität als Quelle der Bewusstseinserweiterung allein in einer matriarchalen Gesellschaft vorstellen konnte, wollte jedoch Landauer nicht auf Traditionen wie Ehe und Familie verzichten.

Uneinig waren sich Landauer und Gross auch in der Frage, wie die Verwirklichung des sozialen Individuums erreicht werden könne. Gross setzte auf die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Psychoanalyse und deren Anwendung auf die Psyche des Menschen, um so die Gesellschaft dauerhaft und radikal zu verändern. Landauer hingegen erwartete eine Freisetzung der kreativen sozialen Potentiale mittels der Kunst und der Literatur. Ungeachtet der unterschiedlichen Bewertungen waren sich jedoch beide darüber einig, welche wichtige Rolle dem Individuum im Prozess revolutionärer Befreiung zukommt. Und sie waren sich auch einig in der Betonung der herausgehobenen Stellung des Individuums innerhalb der Gesellschaft, die sie bewahren und ausbauen wollten.

Im zweiten thematischen Schwerpunkt des Buches, der unter dem Titel „Am Werk“ zusammengefasst ist, werden durch programmatischen Aufrufe, Flugblätter und Leitsätze des "Sozialistischen Bundes" Landauers beständige Bemühungen dokumentiert, anarchistische Siedlungen und Gemeinden zu gründen, um aus Kapitalismus, Staat und (Groß-)Industrialismus auszutreten. Auch wenn Landauer sein Hauptaugenmerk auf die kommunitäre föderalistische Restrukturierung der Gesellschaft von unten legte, so hat er dabei niemals die kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten seiner Zeit vernachlässigt. Dies wird im dritten thematischen Schwerpunkt des Buches deutlich.

Der dritte Teil steht unter der Überschrift „Zeitgenossenschaft“ und vervollständigt die bereits in Band 3.1. unter dem Titel "Seiner Zeit voraus" begonnene Serie kulturkritischer Gesellschaftsbilder. Diese verdeutlichen Landauers grundlegende Skepsis und kritische Grundhaltung gegenüber den ihn umgebenden, herrschenden Kräften in Politik und Wirtschaft. Eingehend hat sich Landauer mit dem bürgerlichen Parteiwesen beschäftigt, allen voran mit dem der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands unter August Bebel. Im Ergebnis seiner Analyse des Vertretungsparlamentarismus und der das deutsche Kaiserreich stützenden Institutionen (Militär, Adel, Politische Polizei, Justiz, Schule usw.), wird verständlich, warum Landauer einen radikalen, libertären Wandel und einen Neuanfang der Menschen jenseits der staatlichen Herrschaftssysteme und instrumenteller Vernunft als notwendig erachtete. Seine diagnostischen Zeitbilder eröffnen einen umfassenden Blick auf die Gesellschaft als Ganzes, als ein soziales Verhältnis, als das Verhalten der Menschen zueinander und untereinander.

Wie schon bei den vorherigen Bänden der "Ausgewählten Schriften" Gustav Landauers hat sich der Herausgeber auch bei der Auswahl der für diesen Band berücksichtigen Texte um die thematische Geschlossenheit und inhaltliche Vollständigkeit bemüht und dabei zugleich auch Wert auf Lesbarkeit und Verständlichkeit gelegt. Ein ausführlicher Anmerkungs- und bibliographischer Apparat dient der zusätzlichen Erläuterung der veröffentlichten Schriften u.a. Dokumente. Ein Personenregister ist bei der inhaltlichen Erschließung des Buches nützlich. So müssen Bücher gestaltet sein! In freudiger Erwartung sehe ich deshalb der Veröffentlichung der weiteren geplanten Bände dieser mit viel Herz und Sachverstand entwickelten Landauer-Edition entgegen.

Jochen Schmück,
Potsdam im September 2010

Bibliophiler Nachtrag: „Ein schönen Rücken, kann auch entzücken!“

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch einmal Uwe Rausch, dem Illustrator der Buchedition, mein Kompliment aussprechen. Man mag über das marmorierte Buchcover-Design der Bände sicher geteilter Meinung sein, denn es erleichtert nicht gerade die Lesbarkeit der Titelschrift. Aber die Bücher sind, wenn sie als Bände nebeneinander im Regal stehen, zweifellos ein echter „Hingucker“, das in meiner Bibliothek bislang jeden Besucher magisch angezogen hat. Möge also dieses „magische Cover-Design“ mit dazu beitragen, dass in den Buchhandlungen viele Leser nach den Landauer-Büchern dieser Edition greifen, sie auch erstehen und mit Muße lesen!


INHALT

Einleitung von Siegbert Wolf

  • "Der Sozialismus ist die Rückkehr zur […] natürlichen, abwechslungsvollen Verbindung aller Tätigkeiten" - Der "Sozialistische Bund" (II)
  • Anmerkungen

LANDAUER GEGEN GROSS

  • Ein Wörtchen an die Frauen
  • Brief Gustav Landauers an Erich Mühsam vom 12. Juli 1909
  • Tarnowska
  • Vorläufiges vom Neumalthusianismus
  • Von der Ehe
  • Anmerkung Gustav Landauers zu Ludwig Berndl. Einige Bemerkungen über die Psycho-Analyse
  • Brief Gustav Landauers an Erich Mühsam vom 10. Juli 1911
  • Brief Gustav Landauers an Martin Buber vom 01. September 1911
  • Brief Gustav Landauers an Martin Buber vom 18. September 1911
  • Anmerkungen

AM WERK

  • Gruppe "Grund und Boden" (Oranienburg), Sozialistischer Bund. Siedlungsfonds
  • Gruppe "Grund und Boden", Aufruf zur Beteiligung an einer Siedlung
  • Gruppe "Arbeit" des Sozialistischen Bundes, Berlin: An die deutschen Arbeiter!
  • Freier Arbeitertag
  • An die Menschen, zu denen unsere Stimme dringt
  • Organisationsstatut der Siedlungs-Vereinigung "Gemeinschaft "
  • Zur Vorbereitung der ersten Siedlung
  • Anmerkungen

ZEITGENOSSENSCHAFT

  • Eine ungehaltene Rede
  • Offener Brief an Herrn August Bebel
  • Die direkte Gesetzgebung durch das Volk
  • Die Kriegsfeier
  • Erinnerung ans Ausnahmegesetz
  • Zum 18. Januar
  • Vom Duell
  • Der Reichstagsabgeordnete Bebel als Denunziant
  • Herr Bebel, der Denunziant
  • Bismarck. Ein Zwiegespräch
  • Zirkular an die Mitglieder des Reichstages, die Presse und die Staatsanwaltschaft betr. den Prozess Ziethen
  • Der Fall Ziethen. Ein Appell an die öffentliche Meinung
  • In Sachen Ziethen
  • Parlamentskritik
  • Was für Zustände!
  • Verwirklichung heißt die Losung!
  • Die Partei
  • Bilder aus der Krise
  • Die Gefahren des Bergbaues
  • Gespenster
  • Ein Beispiel
  • Die Politische Polizei
  • Wohin?
  • Wer soll anfangen?
  • Die Kläglichkeit des deutschen Reichstags
  • Von der Dummheit und von der Wahl
  • Die Botschaft der "Titanic"
  • Adel
  • August Bebel
  • Zwangslogik und Arbeitszwang
  • Anmerkungen

ANHANG

  • Zeittafel
  • Primär- und Sekundärbibliographie
  • Siglen und Abkürzungen
  • Anarchistische Zeitungen und Zeitschriften
  • Namenregister



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