David R. Graeber: Schulden - Die ersten 5000 Jahre
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autor/en: | David R. Graeber |
Titel: | Schulden - Die ersten 5000 Jahre |
Untertitel: | |
Editoriales: | Deutsche Erstübersetzung. |
Verlag: | Klett-Cotta |
Erscheinungsort: | Stuttgart |
Erscheinungsjahr: | 2012 |
Umfang, Aufmachung: | Gebunden, 536 Seiten. |
ISBN: | (ISBN-13:) 978-3608947670 |
Preis: | 26,95 EUR |
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BESPRECHUNG
Der amerikanische Anthropologe David R. Graeber hat mit seinem im Frühjahr 2012 in deutscher Übersetzung erschienenen Werk "Schulden - Die ersten 5000 Jahre" eine grundsätzliche Studie über das Wesen von Geld, Kredit und Macht vorgelegt. Der bis dahin hierzulande fast nur in anthropologischen und ethnologischen Fachkreisen bekannte Autor hat mit seinem systemkritischen Buch den Nerv der Zeit getroffen. Vor dem Hintergrund der nicht enden wollenden globalen Finanzkrise wurde der bekennende Anarchist Graeber zu einem gefragten Interviewpartner der großen deutschen Tageszeitungen und Fernsehanstalten, und sein Buch schaffte es in die Spiegel-Bestsellerliste.
Die Geschichte der Menschheit kann Graeber zufolge als eine Geschichte von Schulden betrachtet werden. Wie der Autor in seiner Studie anhand zahlreicher Beispiele belegt, wird der Kampf zwischen Armen und Reichen seit vielen tausend Jahren überwiegend als Konflikt zwischen Gläubigern und Schuldnern ausgetragen. Praktisch alle Aufstände, Umstürze und sozialen Revolutionen der Geschichte sind aus einer Situation der Überschuldung entstanden. Dass dies auch heute noch gilt, zeigt das Beispiel der tunesischen Revolution, die durch die Selbstverbrennung eines jungen, hoch verschuldeten tunesischen Gemüsehändlers namens Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 ausgelöst und zum Fanal des Arabischen Frühlings wurde.
Dieser historische Konflikt zwischen Gläubigern und Schuldnern ist zugleich ein Kampf zwischen Herrschern und Beherrschten. Graebers Studie macht deutlich, dass Schulden immer ein Instrument der Macht in der Hand der Herrschenden gewesen sind:
„Wenn die Geschichte etwas zeigt, dann dies, dass es keine bessere Methode gibt, auf Gewalt gegründete Beziehungen zu verteidigen und moralisch zu rechtfertigen, als sie in die Sprache von Schuld zu kleiden.“
Graeber taucht in seiner Studie tief in die Geschichte dieser moralischen Dimension von Schulden ein. Schon die ältesten Dokumente der Menschheit, seien es religiöse Schriften oder Listen von Außenständen, zeigen, dass Menschen von Anfang an „schuldig“ waren. So kennt man in allen Kulturen die eher abstrakte Schuld des Menschen gegenüber den Eltern, die uns das Leben gaben und auch die gegenüber den Vorfahren, denen wir unsere Sprache und Kultur verdanken. Gleichzeitig wurden aber auch immer schon, vor allem beim Handel, konkrete Schulden gemacht, welche sich in Zahlen fassen lassen und die schließlich zur Entstehung des Geldes führten.
Für die von den Wirtschaftswissenschaften seit Adam Smith vertretene Theorie, nach der das Geld aus praktischen Gründen den primitiven Tauschhandel ablöste, lassen sich allerdings Graeber zufolge in der Geschichte der Menschheit keine Belege finden. Vielmehr war das Geldsystem von Beginn an ein Kreditsystem, das ursprünglich auf Geschenken und Verpflichtungen basierte. In diesem System fungierten Schulden noch als sozialer Kit, der die Gesellschaft zusammenhielt. Über lange Zeiten hinweg herrschte zumindest unter den Angehörigen einer Gruppe, ob sie nun dem Adel angehörten oder Dorfbewohner waren, ein Verhältnis, das Graeber als „alltäglichen Kommunismus“ bezeichnet. Dieser Alltagskommunismus war nach dem Prinzip: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ organisiert. Graeber beschreibt die nach diesen kommunistischen Prinzip organisierten Gesellschaften als „humane Ökonomien“, deren Mitgliedern noch der Gedanke fremd war, dass eine Schuld exakt auf Heller und Pfennig zurückgezahlt werden muss. Dies wurde erst in den „kommerziellen“ Ökonomien üblich, in denen durch Einführung des Münzgeldes Schuld und Schulden exakt messbar gemacht wurden. Und es war der Staat, der nicht nur das Geld schuf, sondern mit seinem Gewaltmonopol auch für die Rückzahlung der in Geld bemessenen Schulden sorgte.
Doch auch der Staat selbst machte Schulden, insbesondere Kriegsschulden, für deren Begleichung das Papiergeld eingeführt wurde. Die erste Zentralbank der Welt, die 1694 gegründete Bank of England, diente vorrangig dem Zweck mithilfe des von ihr ausgegebenen Papiergeldes die Kriegsschulden des Königs zu begleichen. Dieses Papiergeld waren faktisch Schuldscheine, die der Monarch bei den Eignern der Bank hatte, die seine Kriege finanzierten und gut daran verdienten. Mit Gründung von Zentralbanken verschmolzen nicht nur die Interessen von Kriegsherren und deren Finanziers, sondern durch sie wurde auch die Grundlage für die Entfaltung des Finanzkapitalismus gelegt. Die Verschuldung der Gesellschaft, die einst eine Ausnahme in Kriegs- und Krisenzeiten gewesen ist, wurde so zum systemischen Prinzip. Dieses System der Verschuldung hat regelmäßig zum Zusammenbruch der verschuldeten Gesellschaften geführt, und offensichtlich befindet sich unsere Gesellschaft zurzeit an einem solch kritischen Punkt.
Buchvorstellung von "Schulden - Die ersten 5000 Jahre" in "ttt - titel, thesen, temperamente" (20.05.2012) |
Nach Graeber ist es eine Illusion, von den „freien Kräften des Marktes“ eine Lösung der Schuldenkrise zu erhoffen. In seiner Studie zeigt der Anthropologe auf, dass es zwischen Markt und Staat niemals eine Trennung gegeben hat. Die Geschichte hindurch waren Herrscher und Regierungen stets eng mit Händlern und Produzenten verbunden. Völker ohne Staat kennen keinen Markt, und kein Markt kann unabhängig vom Staat existieren. Markt und Macht, das sind die zwei Seiten des vorherrschenden Wirtschaftssystems.
Graeber kann und will mit seiner Studie zur Geschichte der Schulden keine einfachen politischen Rezepte zur Lösung der gegenwärtigen globalen Finanzkrise geben. Ihm geht es vor allem darum, die grundsätzlichen Schwächen dieses Systems in seinem historischen Kontext deutlich zu machen. Aber wenn es etwas gibt, was wir aus der Geschichte der Schulden lernen können, dann ist es nach Auffassung von Graeber, dass eine Gesundung des Systems nur durch einen Schuldenerlass erfolgen kann:
"Ich weise auf historische Lösungen für das Problem von Schuldenkrisen hin. Schon vor Tausenden vor Jahren hat es in Mesopotamien immer wieder periodische Schuldenerlässe gegeben, ebenso wie in biblischen Zeiten das sogenannte Ablassjahr alle 7 bis 49 Jahre. Die Schulden wurden gemacht, angehäuft, führten zu Krisen und wurden schließlich erlassen. Und dann fing wieder alles von vorne an. Das war die ursprüngliche Idee. Das haben wir jahrtausendelang falsch verstanden."
Der Anarchist Graeber ist überzeugt, dass nur eine Gesellschaft ohne Schulden die erforderliche soziale Stabilität bieten kann, auf der sich die Gesellschaft auch politisch weiter entwickelt – und zwar hin zu mehr persönlicher Freiheit, eine Freiheit also, die nicht nur ein Freisein von Schuld und Schulden ist.
Jochen Schmück,
Potsdam, im Dezember 2012
INHALT
- Über die Erfahrung der moralischen Verwirrung [7]
- Der Mythos vom Tauschhandel [27]
- Ursprüngliche Schulden [49]
- Gewalt und Wiedergutmachung [79]
- Kurze Abhandlung über die moralischen Grundlagen ökonomischer Beziehungen [95]
- Spiele mit Sex und Tod [135]
- Ehre und Entwürdigung [173]
- Kredit oder Edelmetall [223]
- Die Achsenzeit [235]
- Das Mittelalter [265]
- Das Zeitalter der kapitalistischen Imperien [323]
- 1971 – Der Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann [379 ]
ANHANG:
- Anmerkungen [411]
- Bibliografie [477]
- Personenregister [521]
- Sachregister [525]