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Andreas G. Graf - Gedenkseite

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Andreas G. Graf (links) und Maurice Schuhmann (rechts) auf dem Stand des A-Ladens auf dem Erich-Mühsam-Fest in Berlin 2003. (c) Ralf G. Landmesser

Andreas G. Graf ist tot

Am 5. Juli 2013 ist der Berliner Historiker und Publizist Andreas G. Graf im Alter von 61 Jahren nach langer schwerer Krankheit gestorben.

Andreas G. Graf hatte in der DDR Geschichte studiert und im Februar 1990 an der Humboldt-Universität mit einer Dissertation zur Geschichte des Anarchismus in Deutschland promoviert. Seit 2001 war Graf als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut für Politologie an der Freien Universität Berlin tätig, und er war erst Redakteur und zuletzt auch Herausgeber der renommierten historischen Fachzeitschrift IWK - Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung).

In seiner eigenen Forschungsarbeit beschäftigte sich Graf bevorzugt mit der anarchistischen und anarchosyndikalistischen Bewegung in Deutschland im Kaiserreich, der Weimarer Republik und im III. Reich. Seine Veröffentlichungen - insbesondere zur Geschichte des anarchistischen und anarchosyndikalistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus - zählen zu den fundiertesten Studien, die zum Thema vorgelegt wurden.

Wer seine Erinnerungen an Andreas G. Graf mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die eigentliche Gedenkseite.

Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.

Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de

Nachrufe und Erinnerungen

Die von Andreas G. Graf herausgegebenen historische Fachzeitschrift "IWK"

"Dass Schlimmste ist am Besten, der Osten liegt im Westen, und morgen ist gestern".

Zum Tod von Andreas G. Graf von Hartmut Rübner

Am 5. Juli ist 61-jährig Andreas G. Graf gestorben. Außer der Familie trauern Kollegen- und Freunde um einen engagierten Wissenschaftler.

Nach der Berufsausbildung und einem Studium der Geschichte forschte der junge Historiker über die Arbeiterbewegung - zeitweilig unter dem Dach des Instituts für Marxismus-Leninismus. Seine, im Februar 1990 an der Humboldt-Universität eingereichten Dissertation war einem in West und Ost undankbaren Thema gewidmet: dem Anarchismus. Es sollte ihn bis zuletzt beschäftigen. Ein für die marxistische Geschichtswissenschaft vielleicht zu "sperriges Gut", wie er damals notierte, aber dennoch ein "gesellschaftliches Phänomen, eins der Sozialgeschichte, ein wirklich oder verborgen gegenwärtiges." "Gravierend" erschien ihm dabei der Umstand, daß "der Anarchismus als Resultante aus unzähligen individuellen Aktivitäten funktioniert, wie er will, daß keine beliebige oder wünschbare Funktion ihm auf die Dauer anzuhexen ist". Hier scheint etwas von der in der wissenschaftlichen Nische entwickelten Wortästhetik auf, die sich - trotz der seinerzeit unter Wendehälsen bereits obsoleten Verweise auf Lenins Schriften - in wohltuender Weise von dem oft schematisiert wirkenden Duktus des Marxismus-Leninismus unterschied. Bekenntniseifer oder Worthülsen, die manche Jungakademiker ohne tiefere Kenntnisse der Materie absondern, boten ihm Anlass für geharnischte Kommentare. So erlebte ich ihn, als er nach der Vorabbegutachtung meiner zum Druck anstehenden Arbeit - wegen einiger darin enthaltener unbedarfter Bemerkungen sichtlich in Ärger geraten - in den Verlag stürmte. Nach ein paar Sätzen wich meine Einschüchterung einer Sympathie vor dem Menschen, der hinter der habituellen Professionalität zum Vorschein kam. Seine auf verblüffendem Detailwissen basierende, professoral wirkende Gravität war dabei durchaus nicht unangenehm. Zudem teilten wir eine Leidenschaft für die nicht mainstreamförmigen Spielarten der Rockmusik. Dass ihm hier wie dort an fachlicher Qualität gelegen war, zeigen seine nicht allzu zahlreichen, dafür umso sorgfältiger ausgefeilten wissenschaftlichen Beiträge. Auch die von ihm entweder allein oder (mit-)herausgegebenen Schriften dokumentieren eine Akuratesse, die im institutionalisierten Rattenrennen heute eher selten anzutreffen ist.

Das von Andreas G. Graf und Dieter Nelles 1997 herausgegebene Buch des schwedischen Anarchisten Rudolf Berner: "Die unsichtbare Front"

Der ins Deutsche übersetzte, von Dieter Nelles und ihm annotierte - und mit umfangreichen Studien zu Widerstand und Exil deutscher AnarchosyndikalistInnen ergänzte - Reisebericht Rudolf Berners ins nazistische Deutschland (1937), erweiterte das Spektrum der Widerstandsforschung nicht zuletzt durch eine akribische Quellenforschung. Und der nachfolgende Sammelband "Anarchisten gegen Hitler" (2001), der auf eine Tagung der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte zurückgeht, eröffnete die Perspektive auf den europäischen Faschismus.

Seit April 2001 wissenschaftlicher Assistent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften der FU Berlin, übernahm er die Aufgabe des verantwortlichen Redakteurs der "Internationalen wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK"). Als sich die FU 2007 jedoch als Exzellenzzentrum der Wissenschaft etablierte, kam es zu einschneidenden Abwicklungsvorgängen im Fachbereich. In das elitäre Konzept passte die unpopuläre Arbeitergeschichte gar nicht. Die Redakteursstelle entfiel ebenso wie das daran verknüpften Beschäftigungsverhältnisse in der FU Berlin und der Arbeitsplatz Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Wie der "Freigesetzte" im Editorial der IWK anmerkte, befand sich die Zeitschrift nun "in einer seltsamen Zwischenphase"; eine "wie auch immer geartete Planungsperspektive" war unbestimmt (jW v. 19.02.2008). Im 42. Jahr erschien im April 2008 die seitdem letzte Ausgabe. Trotz der solidarischen Hilfestellung durch den BasisDruck Verlag und dem neuen Herausgeber, dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, gelang es nicht mehr, das im Ungewissen treibende Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Das ungeliebte Markenzeichen der IWK, die unregelmäßige Erscheinungsweise - wie er eingestand - blieb ein ungebrochenes Kontinuum. In den Redaktionsräumen des Verlags wurden Pläne geschmiedet, damit das Projekt nicht "in einer Endmoräne" auslief. Doch der angegriffene Gesundheitszustand erlaubte es Andreas G. Graf zuletzt nicht mehr, dazu das Steuer noch einmal fester in den Griff zu bekommen.

Nun hat er die Brücke verlassen. Seine Familie, Freunde und Kollegen werden ihn am 19. Juli an einem würdigen Ort Berlins verabschieden: dem Friedhof Baumschulenweg in der Kiefholzstraße, auf dem Tausende von Antifaschisten neben anderen Opfern des Nazismus ihre letzte Ruhe gefunden haben.

Hartmut Rübner, Berlin


Erinnerungen an Andreas G. Graf von Maurice Schuhmann

Der von Andreas G. Graf 2001 herausgegebene Tagungsband "Anarchisten gegen Hitler"

Die Nachricht vom Tod Andreas Grafs hat mich tief getroffen. Andreas Graf war für mich nicht nur ein Kollege und Genosse, sondern auch zeitweilig eine Art Mentor auf dem Weg in die (institutionalisierte) Wissenschaft. Er gehörte während meiner Studienzeit am Otto-Suhr-Institut zu den wenigen Dozenten, denen ich fachlich und menschlich großen Respekt zollte. In seinen Seminaren, die sich inhaltlich meistens um Anarchismus und Rätekommunismus drehten, lernte ich wissenschaftliches Arbeiten und bekam einen Zugang zur Anarchismusforschung. Später betreute er gemeinsam mit Wolf-Dieter Narr meine Diplomarbeit und holte mich 2005 als Lehrbeauftragten ans Otto-Suhr-Institut, wo wir im Wintersemester 2005/06 gemeinsam ein Seminar zum Thema „Anarchismus und Pädagogik“ veranstalteten.

Es war eines der letzten Anarchismus-Seminare, das er an der FU gab. Die Leitung des OSIs verweigerte ihm später solche Seminare. Es wurde u.a. ein Seminar zum „Spanischen Bürgerkrieg“ abgelehnt, weil dieses Thema keine Relevanz für Politikwissenschaftler hätte... Viele Studierende bedauerten das sehr, da seine Seminare alles andere als trocken waren und den Umtriebigen unter uns eine Heimat boten.

Andreas war aber auch ein akribischer Wissenschaftler, den ich häufig über einen Stapel Bücher gebeugt in der Berliner Staatsbibliothek antraf. Er recherchierte für seine Habilitation oder überprüfte Angaben von Beiträgen für künftige Ausgaben der IWK. Unter dem bösen Blick der Bibliothekarin diskutierten wir dann manches Mal – umgeben von Stapeln vergilbten Papiers – die Situation am OSI, den Zustand der anarchistischen Szene (er verweigerte sich beim zeitgenössischen Zustand von einer Bewegung zu sprechen) oder über unsere Forschungsvorhaben.

Zweifellos war er einer der besten Kenner der Geschichte der anarcho-syndikalistischen Bewegung Deutschlands, weshalb er auch ein gerne gesehener Gast auf Veranstaltungen der FAU Berlin war. Dabei zeigte er sich aber auch als Mensch. Ich entsinne mich gut, an das eine oder andere Gespräche bei einem Bier nach einer FAU-Veranstaltung, in denen er mir enthusiastisch von seinen bevorzugten, schwedischen Heavy Metal-Bands erzählte oder seine Verständnis für meine zeitweilige Auszeit von der Uni signalisierte.

Mit Andreas ist ein Freund, Genosse und anarchistischer Historiker von uns gegangen, dessen Verlust herb ist ....

Maurice Schuhmann, Paris



Abschied von Andreas - Ein Nachruf der FAU Berlin

Der Kranz der FAU Berlin zur Trauerfeier anläßlich des Todes von Andreas G. Graf. Quelle: FAU Berlin

Am vergangenen Freitag nahmen Familie, FreundInnen und GenossInnen mit einer Trauerfeier und einer kleinen Gedenkveranstaltung in der Schankwirtschaft Rumbalotte Abschied vom kürzlich verstorbenen Historiker Dr. Andreas G. Graf. Auch für die FAU Berlin hieß es an diesem Tag, sich von einem langjährigen Wegbegleiter und Freund zu verabschieden.

Andreas stand seit den Wendejahren in Kontakt mit der FAU in Berlin und Brandenburg, zeitweise sogar Mitglied bewahrte er sich allerdings immer eine gewisse Distanz. Er sparte auch nicht an Kritik an so mancher absurden Kapriole, die eine junge, bei null ansetzende Initiative bisweilen schlug, während sie versuchte, an die historischen Vorbilder, die zeitlebens den Fokus von Andreas Forschung bildeten, anzuschließen. Er erhob ähnlich hohe Ansprüche an den Versuch, eine aktuelle libertäre ArbeiterInnenbewegung aufzubauen, wie an seine eigene wissenschaftliche Arbeit. Defätistisch wurde er dabei nicht. Im Gegenteil: seine kritische Haltung fußte auf gegenseitigem Respekt und einem gemeinsamen Projekt. Er war stets bereit, sein Wissen zu teilen, war Ansprechpartner für viele Fragen, führte über die Jahre unzählige Veranstaltungen mit der FAU durch und freute sich immer mit GenossInnen zu diskutieren. Wenn die Gelegenheiten hierzu mal zu rar gesät waren, initiierte er sie notfalls auch selbst.

Der Abschied am Freitag war ein trauriger, aber auch würdevoller. Er zeigte uns nochmal den im positiven Sinne eigenartigen und vielseitigen Menschen, der er war: den Gewichtheber, den Bierkutscher, den Historiker, den Aktivisten der Wendezeit, den Familienvater, den Pfeifenraucher, den Liebhaber guten Essens und harter, schwedischer Musik. Er wird uns fehlen.

FAU Berlin / Allgemeines Syndikat, 24.07.2013


Erinnerungen an Adreas Graf von Knut

kennengelernt habe ich andreas - anfang / mitte der 90er Jahre - im zusammenhang eines kreises von leuten, die sich mit anarchistischer geschichte befassten und interesse an einem austausch darüber hatten. Und es fand wirklich ein austausch statt. kein wunder oder vielleicht doch, denn irgendwie waren und sind wir bei unseren themen ja auch etwas autistisch. andreas hatte zu dieser zeit schon viele kontakte zu den noch wenigen überlebenden oder dessen familien geknüpft. ich denke da an annemarie dagerman und helmut kirschey. außerdem war es ziemlich wahrscheinlich, dass, wenn man eine einschlägige akte aufschlug, andreas name schon im vorsatz zu finden war. Leider hat er es nicht geschafft dieses ganze Material in seiner Habilitation zusammenzufassen, es bleiben aber immerhin die materialreichen zusammenfassungen im Bernerbuch (mit Dieter) und die herausgabe von "Anarchisten gegen Hitler". er war wirklich einer profunder Kenner dieser Bewegungen und einiges was er wußte (und nicht aus akten rekonstruierbar ist) wird mit seinem Tod verloren sein.

zwischen den zeiten gab es auch immer phasen wo der kontakt zwischen uns dünner wurde. das letzte mal haben wir uns vor 4 jahre gesehen, als Andreas, innerhalb einer tagung der "hellen Panke" über den den arbeiterwiderstand im "roten berlin", einen workshop zu Anarchisten, Trotzkisten und oppositionellen Sozialisten im widerstand leitete. möge die erde ihm leicht sein

knut


Würdigung von Gerhard Senft

Es tut mir sehr leid, dass Andreas G. Graf so früh gehen musste! Sein Wirken war in jeder Hinsicht verdienstvoll und es hat volle Scheunen erbracht. Die libertäre Bewegung und die HistorikerInnenzunft werden davon noch lange Zeit zehren können.

Bedrückt

Gerhard Senft, Wien


Würdigung von Rolf Raasch

Auch wenn ich ihn persönlich nicht gut kannte, so hat mich doch der Tod des (beinahe) Altersgenossen Andreas Graf sehr getroffen. Ich erinnere mich noch an die Zeit des Kennenlernens, es muss wohl so ab 1989/1990 gewesen sein, wo ich ihn in Ostberlin und etwas später auf Veranstaltungen des (noch) Westberliner Libertären Forums erlebt hatte: Als überaus fundierten Kenner des Deutschen Anarchosyndikalismus, der noch dazu die Gabe hatte, äußerst lebendig über Gegebenheiten und Protagonisten seines Interessengebietes zu berichten. Es machte großen Spaß ihm einfach nur zuzuhören. So einen Historiker kann man nur loben und vermissen.

Rolf Raasch, Berlin


. . . philosophisch lebten wir in verschiedenen Etagen

Andreas Graf war mir ein lieber Freund. Vor zwanzig Jahren trafen wir uns in Montreal, Kanada, befreundeten uns, und da ich beinahe jedes Jahr zu Vorträgen nach Berlin kam, sahen wir uns eine lange Zeit lang ganz regelmässig. Er fuhr mich in seinem Auto zu den Orten der Mark Brandenburg, an denen es schöne backsteingotische Kirchen und Klöster gab, die ich sehr liebe und die mich immer wieder beeindruckten. Andreas war ein brillianter Kritiker der Zeit, hochintelligent und gut informiert, mit bissiger Schnauze. Sozial hatten wir viel gemeinsam, dagegen philosophisch lebten wir in verschiedenen Etagen: ich linkskatholischer Theologe, er glaubensloser Dissident. Und doch glaubte Andreas an Etwas: er glaubte, dass alle Menschen berufen sind solidarisch zu handeln and sich für Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen. Wenn sie das nicht taten, nahm er es ihnen übel. Ein Tod macht Deutschland und die Welt ärmer.

Gregory Baum, Montreal/Kanada



Vorträge von Andreas G. Graf (Audiodateien)

Durch Anklicken des Play-Buttons (di.i. die rechte Pfeiltaste) des integrierten Audio-Players Flashmp3 button.gif kann die Aufnahme des Vortrags direkt über den PC abgespielt werden. Zuvor muss natürlich der Lautsprecher am PC angeschaltet werden. Bitte etwas Geduld: Bei einer langsamen Internetverbindung kann es u.U. ein paar Sekunden dauern, bis die Wiedergabe der Aufnahme startet.

  • Rudolf Rocker - Portrait eines Anarchosyndikalisten
  • Die Freie Arbeiter-Union Deutschland (FAUD)
  • Anarchisten gegen Hitler
  • Opposition und Widerstand in der SBZ / DDR

Quelle: Libertäre Reihe im Internet Archive


Weblinks



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