Luccheni, Luigi
Lexikon der Anarchie: Personen
Luigi Luccheni (* 22. April 1873 in Paris; + 19. Oktober 1910 in Genf) war ein Anarchist, der durch das Attentat auf die österreichische Königin Sisi bekannt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Leben und Tat
Luigi Luccheni wurde als unehelich Kind einer Italienerin in Paris geboren und wurde nach 16 Monaten bereits nach Italien zurückgeschickt, wo er bei einer Pflegefamilie aufwächst. Als Erwachsener geht er zum Militär und ist dreieinhalb Jahre als Soldat tätig. Danach bewirbt er sich erfolglos als Gefängniswärter. Es folgt eine Zeit als kosmopolitischer Vagabund ohne längere, feste Arbeit. Die Erfahrung macht ihn anfällig für radikale Ideen. Er beginnt 1898 - ein paar Monate vor seinem Attentat auf Sissi - anarchistische Versammlungen zu besuchen und Zeitschriften zu lesen. Bei seiner Verhaftung hat er u.a. ein Subscriptionscoupon für die Zeitschrift "L'Agitatore" bei sich. Diese brachte nach seiner Tat auch einen, ihm wohlgesonnenen Artikel. Lucheni hat die fixe Idee, eine bekannte Persönlichkeit der Oberschicht zu töten. Sein erstes Ziel ist. Der Plan scheitert allerdings am Geldmangel. Die Polizei fand bei ihm später einen Totschläger mit den Worten "Anarchie per Umberto I.". Er wollte sich für die blutige Niederschlagung eines Streiks rächen. Auch der zweite Attentatsplan - ein Attentat auf den Prinzen Henri Philippe Marie d’Orléans ist zum Scheitern verurteilt. Er kommt nicht wie geplant nach Genf. Aus diesem Grund wählt er Elisabeth, Königin von Österreich-Ungarn, aus. Diese residierte zu jenem Zeitpunkt im Hotel Beau-Rivale, indem ein paar Jahrzehnte Uwe Barschel starb.
Am 10. September 1898 greift Lucheni Sisi mit einer modifizierten Pfeile an und verletzt sie tödlich. Sie stirbt ein paar Stunden nach der Tat. Er versucht zu fliehen, um nicht von der Menge gelyncht zu werden, wird aber von Passanten festgehalten und der Polizeiübergeben.
Bei seiner Festnahme soll er "Es lebe die Anarchie!" gerufen haben. Im Verhör bekannte er sich als Anhänger von Paul Brousse ("Propaganda der Tat") und beruft sich auf Bakunin ("Der große Bakunin hat uns den Weg gewiesen."). Er vertritt dabei einen insurrektionalistischen Anarchismus und verwirft die Organisation per se. "Ich bin individueller Anarchist. Ich lehne jede Art von Zusammenschluss ab." Die wahre anarchistische Idee duldet keinerlei Organisation." Begutachtet wurde Lucheni von keinem anderen als dem bekannten Gerichtsmediziner Cesare Lombroso. In einem Brief an diesen verwehrt er sich gegen dessen Studien und unterschreibt Lucheni mit den Worten "Luigi Lucheni, zutiefst überzeugter Anarchist". Weiterhin gibt es eine gerichtsmedizinische Studie von und Paul-Louis Ladame und Emmanuel Régis über ihn.
Im Verfahren wird er im November 1898 zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt, da die Todesstrafe in Genf zu dem Zeitpunkt bereits abgeschafft war. Er sitzt diese im Evêché-Gefängnis in Genf ab. Hier wird er von den anderen Gefangenen isoliert.
Im Gefängnis schreibt er zwischen 1907 und 1909 - mutmaßlich durch die Lektüre von Jean-Jacques Rousseaus "Bekenntnissen" inspiriert - seine Memoiren. Da ein Gefängniswärter ihm, das angefangene Manuskript entwendet, hört er auf, weiterzuschreiben. Eine Veröffentlichung seiner unvollständig gebliebenen Memoiren Erfolg erst 1998 - passend zum 100. Todestag von Sissi. Sie beinhalten überhaupt keine Bezüge mehr zum Anarchismus. Am 19. Oktober 1910 wird er erhängt in seiner Zelle aufgefunden.
In der anarchistischen Szene wurde die Tat auch umfangreich debattiert - u.a. äußerte sich Gustav Landauer in einem Artikel im Sozialisten hierzu und sprach Lucheni ab, ein Anarchist zu sein. Ebenso kritisierte der amerikanische Individualanarchist Benjamin R. Tucker in
Literarisch wurde der Mord u.a. von Mark Twain ("The memorable assassination"), Jean Cocteau ("L'Aigle à deux têtes") und Giovanni Pascoli ("Im Kerker zu Genf") verarbeitet.
In der Geschichtsschreibung des Anarchismus ist Lucheni nur eine Marginalie bzw. Fußnote. Er steht im Schatten von Attentätern wie Ravachol und Emile Henry.
Quellen
- Luccheni, Luigi: "Ich bereue nichts!". Die Aufzeichnungen des Sisi-Mörders, herausgegeben von Santo Capo, Paul Zsolnay Verlag Wien 1998.
Literatur
- Cocteau, Jean: L'Aigle à deux têtes, Gallimard Paris 1969.
- Ladame, Paul-Louis / Régis, Emmanuel: Le régicide Lucheni. Etude d'anthropologie criminelle, Malaiin Paris 1907.
- Lammel, Matthias: Der Fall Lucheni. Was hat Elisabeth, Kaiserin von Österreich, mit dem Maßregelvollzug zu tun?, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2015.
- Landauer, Gustav: Die Erdolchen der Kaiserin von Österreich (1898), in: Propaganda der Tat. Standpunkte und Debatten, hrsg. von Phillip Kellermann, Unrast Verlag Münster 016, S.149-154.
- Madras, Maria / Krüger, Anstalt: Das Attentat. Der Tod der Kaiserin Elisabeth und die Tat des Anarchisten Lucheni, Langen Müller München 1998.
- Pascoli, Giovanni: Im Kerker zu Genf, in: Brigitte Hamann (Hrsg.): Elisabeth. Bilder einer Kaiserin, Amalthea Wien u.a. 1982, S. 162.
- Schneider, Manfred: Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft, Matthes & Seitz Berlin 2010.
- Tucker, Benjamin R.: Tucker: Sind Anarchisten Mörder?, Verlag Edition AV‘88 Frankfurt a.M. 1989.
- Twain, Mark: The memorable assassination, in: Der.: What's man? and other essays, Harper and Brother New York / London 1917, S. 167-181. Online-Version
Text-Sammlung zum Fall: Ob mit Dolch, Feile oder Revolver
Dokumentationen (Film und Fernsehen)
- Sisi und der Anarchist, A 2018.
Autor: Maurice Schuhmann Zuletzt aktualisiert: 28. Januar 2021
© Alle Rechte am hier veröffentlichten Text liegen beim Autor. Sofern nicht anders angegeben, liegen die Rechte der auf dieser Seite verwendeten Illustrationen beim DadAWeb. Es kann gerne auf diese Seite ein Link gesetzt werden. Aber von den Urhebern der Texte und Illustrationen nicht autorisierte Separat- oder Teil-Veröffentlichungen sind nicht gestattet, das gilt auch für die Verlinkung und Einbindung dieser Seite oder einzelner Seiteninhalte im Frame.