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Lutz Roemheld - Gedenkseite

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Lutz Roemheld (23. März 1937 – 12. März 2021). Von Gerhard Senft

Lutz Roemheld (1937-2021); © Familie Roemheld, Dresden

Das unerwartete Ableben von Lutz Roemheld hat auf vielen Seiten Betroffenheit hervorgerufen. Ge­prägt durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und die unmittelbare Nachkriegszeit war er zum konsequenten Befürworter eines föderativ gegliederten Europa ohne Hegemonialmacht geworden.

Roemheld schloss sein Doktoratsstudium 1964 an der altehrwürdigen Ruperto Carola in Heidelberg ab. Als junger Professor für Politologie an der Universität Dortmund engagierte er sich in der Europäischen Föderalistischen Partei (EFP), die über Ableger in verschiedenen Ländern verfügte. (Die österreichische Zweigstelle wurde von Otto Molden geleitet, einem der prominenten Widerständler gegen das NS-Regime.) Während seiner Zeit als Vorsitzender der EFP in Deutschland engagierte sich Roemheld besonders für die Einführung von Esperanto als gemeinsame Sprache in Europa. Zwar blieben der Partei größere politische Erfolge versagt, doch gelang es Roemheld in der Zeit ihres Bestehens sich international bestens zu vernetzen. Er publizierte gemeinsam mit namhaften Wissenschaftlern, etwa mit Guy Maurice Héraud, einem französischen Juristen und Minderheiten-Forscher.

In der Folge konzentrierte sich Roemheld auf seine Tätigkeit als Übersetzer und Herausgeber. So brachte er etwa das Werk des Schweizers Orio Giarini über Wohlstand und Wohlfahrt (1986) auf Deutsch heraus. Als besonders verdienstvoll ist zu erwähnen, dass Roemheld die Studie des US-Amerikaners Dudley D. Dillard (1997) über Pierre-Joseph Proudhon, Silvio Gesell und John M. Keynes einem größeren Leserschaftskreis zugänglich machte. In diesem Buch wurde das Gemeinsame der drei Denker herausgearbeitet, insbesondere deren Überzeugung, dass der Kapitalismus erst nach Beseitigung bestehender Knappheiten und einem damit verbundenen Machtverlust des Rentenkapitals überwunden werden könne.

Die innovativen Elemente in Proudhons Ansätzen erkennend, verlegte sich Roemheld fortan auf die Übersetzung jener seiner Werke, die auf Deutsch noch nicht erschienen waren. Als Resultate seiner Bemühungen sind hervorzuheben: Von der Befähigung arbeitender Menschen zur Politik (1865/2008); Theorie des Eigentums (1866/2010); Theorie der Steuer (1860/2012); Die literarischen Majorate (1867/2014); Was ist das Eigentum? Zweite Denkschrift (1841/2020). Die Kommentierung der Werke überließ Roemheld stets ausgewiesenen Fachleuten. Thematisch ging es in den (Neu-)Veröffentlichungen um die Verfassung einer dezentralen Arbeiterdemokratie, um die Prinzipien des Mutualismus (Stichwort: gegenseitige Hilfe), um die gerechte Verteilung von Lasten und Pflichten innerhalb einer Sozialordnung und um Fragen des Urheberrechts, wobei die differenzierende Sichtweise Proudhons im Hinblick auf das Wesen des Eigentums naheliegender Weise im Zentrum stand. (Der Unterschied zwischen dem rentierenden Eigentum als Machtmittel und dem Kleineigentum, das einer Person auch eine gewisse Unabhängigkeit zu garantieren imstande ist, kann ja nicht oft genug betont werden.)

So beeindruckend Roemhelds Übersetzungswerk ist, seine eigenen Hervorbringungen sollten darüber nicht in Vergessenheit geraten. Das zweibändige Werk Integraler Föderalismus – Modell für Europa (1977/1978) erfuhr seine Verbreitung auch in englischer Sprache. Wesentliches Anliegen blieb ihm aber immer die Vermittlung der Lehre Proudhons. Er verfasste über den französischen Autor nicht nur einen Beitrag für das Lexikon der Anarchie (online), auch der mitteleuropäischen Sozialdemokratie versuchte er in der Phase ihrer Neuorientierung entsprechende Anregungen zu liefern, indem er 2004 einen Sammelband über Proudhons Denken und verschiedene friedenspolitische Ansätze veröffentlichte.

Bei Roemheld verbanden sich Sachverstand, Weitblick und schöpferische Phantasie mit herausragenden menschlichen Qualitäten. Als der Karin Kramer-Verlag Proudhons Mammutwerk System der ökonomischen Widersprüche 2003 runderneuert auf den Weg brachte, war es Roemheld, der bei der Endredaktion dabei war und der auf eine Entschärfung des (bei letzten Arbeitsschritten unvermeidlichen) spannungsgeladenen Klimas achtete. Im vollgefüllten Festsaal des französischen Kulturinstituts in Wien, wo das Buch anschließend vorgestellt wurde, beeindruckte er mit einem fesselnden Vortrag, der eine Fülle von Detailwissen beinhaltete. Wenn Roemheld von einer Sache überzeugt war, blieb er unbeirrbar: Als im Zuge der Herausgabe von Proudhons zweiter Denkschrift zum Eigentum eine Textpassage im Verlag Diskussionen hinsichtlich der „richtigen“ Interpretation hervorrief, bestand Roemheld darauf, das umstrittene Zitat in der Übersetzung schlicht „eins zu eins“ wiederzugeben, ohne Erläuterung, ohne Fragezeichen, ohne Korrekturvorschlag.

Lutz Roemheld hinterlässt große Fußstapfen, die niemand rasch ausfüllen wird können. Was bleibt, sind erfreuliche Erinnerungen, die Verbundenheit mit einer gemeinsamen Sache und vor allem Dankbarkeit.