Werner Portmann und Siegbert Wolf: Ja, ich kämpfte
Die DadA-Buchempfehlung
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Autor/en: | Werner Portmann und Siegbert Wolf |
Titel: | "Ja, ich kämpfte" |
Untertitel: | Von Revolutionsträumen, 'Luftmenschen' und Kindern des Schtetls. Biographien radikaler Jüdinnen |
Verlag: | UNRAST-Verlag |
Erscheinungsort: | Münster |
Erscheinungsjahr: | 2006 |
Editoriales: | Mit einem Vorwort von Emanuel Hurwitz. |
Umfang, Aufmachung: | 316 Seiten, zahlr. Abb.; |
ISBN: | 3-89771-452-3 |
Preis: | 19,00 EUR |
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In der jüdischen ArbeiterInnenbewegung engagierten sich viele junge AnarchistInnen. Sozialisiert in einem religiösen Elternhaus, gehörten sie schon bald zu den EnthusiastInnen einer revolutionären Utopie, die sich die Aufhebung von Herrschaft und gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Zugleich repräsentierten sie einen sozialrevolutionären Radikalismus, der mit seiner Verheißung einer Befreiung aller Juden und Jüdinnen wie auch der gesamten Menschheit durchaus Parallelen im jüdischen Glauben aufwies.
Nachwort von Uwe Timm
Als John Henry Mackay im Jahre 1891 sein Buch "Die Anarchisten" veröffentlichte, bestand zumindest noch eine leise Chance, dass sich die Massen nicht für den Staatssozialismus vereinnahmen lassen würden. Eine Zeit lang mag sich der Verfasser in dieser Hoffnung bestärkt gefühlt haben, denn die "Anarchisten" erreichten mit einer Auflage von 18.000 Stück – wozu noch Ausgaben in elf Fremdsprachen kamen – eine nicht unbeachtliche Verbreitung. Doch dem relativen Erfolg dieses einfühlsamen romanartigen "Zeitgemäldes" zur viktorianischen Ära in London, in das Mackay mit Geschick seine programmatischen Thesen zu einem unaggressiven individualistischen Anarchismus eingeflochten hatte, korrespondierte leider einstweilen keine nachhaltige Wirkung. Nein, gerade im zwanzigsten Jahrhundert kam der Etatismus, die "Verstaatlichung" fast allen menschlichen Zusammenwirkens, nicht nur in den staatssozialistischen und kollektivistischen Tyranneien roter und brauner Couleur zu üppigster (Sumpf-)Blüte.
Mackay wusste um die Anziehungskraft der Gewaltparolen und Paradiesverheißungen des Sozialismus, und so schrieb er schon ahnungsvoll im Vorwort der "Anarchisten": "Aber möge diese Erfahrung gemacht werden, wenn es denn nicht anders sein kann." Sein zweites großes programmatisches Buch "Der Freiheitsucher" (1920) erschien dann schon zu einer Zeit, als der Sozialismus sich zu seinem "Siegeszug" rüstete und die ersten "Diktaturen des Proletariats" entstanden, in denen Mackay – noch ohne eine Ahnung von dem, was der Hitler’sche "Nationalsozialismus" wenige Jahre später Deutschland und der Welt bringen sollte – die letzte und plumpste Form der Gewaltherrschaft sah. Aber Mackay vertraute auch darauf, dass dieses neue System staatlich-gesellschaftlichen Terrors nicht ewig währen werde.
Trotz aller Enttäuschungen: Mackay bewahrte sich die Überzeugung, dass es ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit keine Freiheit geben werde und dass jede Verstaatlichung der Wirtschaft stets in einem Fiasko ende. Rudolf Rocker vertrat nach 1945 die Auffassung, dass eine reglementierte und gelenkte Wirtschaftsordnung schon deshalb verwerflich sei, weil sie das Wirtschaftsleben ersticke. Kollektivistische Dogmen bringen uns nicht weiter, und Rocker selbst hoffte für den Anarchismus auf einen revolutionären Humanismus und Liberalismus. Ein Ansatzpunkt für neue Einsichten und Konzeptionen? Zweifellos. Aber hierfür ist es notwendig, Tabus zu brechen, an denen allzu viele in Dogmatismus befangene Intellektuelle noch immer hängen.
John Henry MackayMackay widmete seine beiden politischen Hauptwerke dem amerikanischen Libertären Benjamin R. Tucker (1854-1939), und das hat seinen besonderen Grund. Tucker vertrat mit seiner Zeitschrift "Liberty" die amerikanische libertäre Tradition und verfasste die bekannte Schrift "Staatssozialismus und Anarchismus". Dreh- und Angelpunkt von Tuckers Anarchismus war das Wort Pierre J. Proudhons, wonach die Freiheit nicht die Tochter, sondern die Mutter der Ordnung sei. Und dieses Anarchismusverständnis machte sich auch Mackay zu eigen.
Konkret bedeutete dies: Mackay und Tucker verstanden Anarchie als ein Konzept der zwangsfreien Kooperation. Dieses Konzept lässt allen die Möglichkeit, sich individualistisch, genossenschaftlich oder auch kommunistisch zu organisieren. Diese Offenheit des individualistischen Anarchismus wird häufig von jenen ignoriert, die nur ihre Anschauungen gelten lassen, sich jeder kritischen Auseinandersetzung und Betrachtung entziehen.
In mehr als fünfundzwanzigjähriger Arbeit verfasste John Henry Mackay die bis heute maßgebliche Biographie Max Stirners (1806-1856), des Philosophen einer konsequenten Individualität. Auf diese Weise leistete der Schriftsteller den wohl wichtigsten Beitrag dazu, dass Stirners radikale Absage an "heilige Ordnungen" und ideologische "fixe Ideen" – formuliert vor allem in seinem Hauptwerk "Der Einzige und sein Eigentum" – nicht der Vergessenheit anheim fiel.
Doch Mackay war kein bloßer Epigone von Max Stirner, vielmehr ein eigenständiger Denker, der mit seinen Werken "Die Anarchisten" und "Der Freiheitsucher" zwar auf Stirner aufbaut, aber über ihn hinausgeht und eigene Akzente setzt. Mackay entwirft ein umfassendes Konzept für eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung und beschreibt die mögliche Evolution zur Anarchie auf der Grundlage der Selbstbestimmung der Individuen.
Grundregel für das Zusammenleben und -wirken selbstbestimmter Einzelpersonen in einer zwanglos-pragmatisch "verfassten" Gesellschaft ist nach Mackay die "gleiche Freiheit aller". Jedes Individuum bestimmt die Grundsätze seiner Lebensführung frei gemäß seinen Interessen und Neigungen, hat in seiner Selbstentfaltung aber dem gleichen Streben anderer Individuen Rechnung zu tragen. Im alltäglichen Umgang miteinander schaffen und wahren die selbstbewussten Einzelnen also ihre individuellen Freiräume. Grenzenlos kann diese Freiheit somit nicht sein, denn wer für sich eine schrankenlose Freiheit beansprucht, stellt zugleich die Freiheit seiner Nebenmenschen in Frauge und unterwirft sie seiner Willkür. Aber sie gewährleistet einem jeden das mögliche Höchstmaß an Selbstbestimmung, schafft einen Zustand, in dem niemand über andere herrscht und niemand von anderen beherrscht wird und das Glück des einen sich nicht auf dem Unglück des anderen gründet.
Zudem bietet Mackay eine soziologische Gesamtschau, die bis in die letzten Konsequenzen reicht. Er definiert die Begriffe der Freiheit, der Herrschaft, der Gewalt, der Anarchie so klar und schlüssig wie kaum jemand vor ihm. An Beispielen veranschaulicht Mackay, wie sich die Emanzipation der Arbeit von Ausbeutung und die Befreiung von jeglicher Herrschaft vollziehen kann. Er betont die Notwendigkeit der Beachtung solcher Grundsätze wie: Wettbewerb und Konkurrenz auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, wozu der gegenseitige Kredit gehört, Emissionsfreiheit der Banken, konkurrierende Währungen. Dabei stellt er sich etwa gegen Silvio Gesell, der zur Überwindung des Zinses eine Geldverfassung vorschlägt, die mittels einer Umlaufsicherung, einer Geldsteuer, zu einem dienenden Geld führen soll.
Mackay kannte Gesells Vorschläge, nahm auch einmal an einer Veranstaltung mit Georg Blumenthal teil, aber er verneinte diesen freiwirtschaftlichen Vorschlag, weil nach seiner Auffassung der Zins aus dem Geldmonopol resultiert. Sobald dieses Monopol nicht mehr existiere, würden Banken, die das Tauschmittel Geld anbieten, im eigenem Interesse auch an stabilen Währungen interessiert sein.
Dass die soziale Frage eine wirtschaftliche ist, keine politische, diese Überzeugung vertrat auch Gesell in seinem 1927 (sieben Jahre nach Mackays "Freiheitsucher") erschienenen letzten Buch "Der abgebaute Staat", dessen Grundgedanken einige Übereinstimmungen mit denen Mackays aufweisen.
Für Mackay ist die Anarchie eine reale Perspektive für die Zukunft – die Anarchie wohlgemerkt, und nicht nur die bekannten liberalistischen Bestrebungen, die staatliche Gewalt mehr oder minder weitgehend zu begrenzen, zu minimalisieren. Wird sich die Einsicht durchsetzen, dass eine herrschaftslose Gesellschaftsordnung der beste Garant für Freiheit, Frieden und Wohlstand der Völker ist? Immerhin: Es waren und sind nicht wenige, die konstruktive Vorschläge für eine anarchische Ordnung anbieten und dabei keineswegs neue "Wolkenkuckucksheime" entwerfen, sondern auf Vertrautes zurückgreifen. Wie schon Mackay und auch Gesell eine Marktwirtschaft ohne Privilegien und ohne Monopole befürworteten, so ist zum Beispiel auch für den amerikanischen libertären Ökonomen David D. Friedman (Jahrgang 1945) der Markt der Schlüssel zur Anarchie.
Das "Ja" Mackays und anderer libertärer Denker zum Markt schließt, wie schon angesprochen, die Geldverfassung ein. Denn ohne Geld- und Steuermonopole gibt es keine Zentralisation staatlicher Macht, und somit muss die Aufhebung dieser Monopole das wichtigste Ziel aller Freiheitsfreunde sein. Von der "Geldfrage" ausgehend formulieren Mackay und Gesell als weiteres Grundanliegen die Lösung der "Zinsfrage", also der Belastung aller möglichen Dienste und Waren (angefangen bei der Geldemission selbst) mit Zusatzentgelten, für die eine sachliche Berechtigung oft nicht oder allenfalls sehr bedingt besteht.
Eine nicht minder wesentliche Bedeutung kommt dem Recht aller Menschen auf Grund und Boden zu. Hier bestehen insoweit besondere Verhältnisse, als Boden ja – im Gegensatz zu anderen Gütern – nicht beliebig "produziert" werden kann und Mackay gegen ein Eigentum an dem naturgegebenen Gut "Boden" berechtigte Bedenken äußert, so dass sich die marktwirtschaftlichen Axiome Nachfrage und Angebot nicht ohne weiteres anwenden lassen. Doch unterbreitet Mackay auch hier konstruktive und praktikable Vorschläge – ebenso wie Silvio Gesell und später, in Fortführung all’ dessen, Kurt Zube.
Nach Mackay gehört jeder Mensch sich selbst, bedeutet es eine Aggression, wenn jemand daran gehindert wird, sein eigenes Leben zu leben. Jeder Staat verhält sich aggressiv, verhindert, dass sich Individuen der Herrschaftsgewalt des Staates entziehen. Was aber aggressiv und was nicht aggressiv ist, warum mit einer heuchlerischen Parole wie "Allgemeinwohl" der Fortschritt zur Freiheit blockiert wird, versteht Mackay eindringlich und überzeugend darzulegen.
Mackay lebte sein Leben konsequent als Anarchist, ebenso sein Freund B. R. Tucker – in einer Zeit, in der der Kollektivismus triumphierte, Massen ihr Leben für die Wahnideen irgendwelcher "Führer" verloren oder schlicht verhungerten.
Im "Freiheitsucher", wie schon in seinem Buch "Die Anarchisten", beklagt Mackay, dass alle dynastischen und absoluten Formen erst dahinschwinden, republikanische und demokratische auf der sozialistischen Basis erst ihre Unmöglichkeit erweisen müssen, das ganze wirtschaftliche und geistige Elend etatistischer "Gemeinwohl"-Despotie und sozialistischer Gleichheitsbestrebungen bis auf den letzten Tropfen durchkostet werden muss, ehe wir die Anarchie als einzig mögliche und noch verbleibende Form der Gesellschaft begrüßen können. Von B. R. Tucker stammt die Bemerkung: "Der Staat bewegt sich immer vom Guten zum Schlechten und vom Schlechten zum noch Schlimmeren."
Nachdem sich die Richtigkeit dieses Wortes im Laufe der Geschichte eins ums andere Mal erwiesen hat, sollte es an der Zeit sein, es einmal mit der Freiheit zu versuchen. In diesem Sinne besitzt Mackay´s Buch "Der Freiheitsucher" in unserer Zeit eine besondere Aktualität.