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Cafiero, Carlo

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Lexikon der Anarchie: Personen


Carlo Cafiero, geb.: 1846, Barletta/Apulien; gest.: 17. Juli 1892, Nocera Inferiore (nahe Neapel). Italienischer Anarchist


Äußere Daten

Cafiero wuchs in einer reichen, aristokratischen Familie von Großgrundbesitzern auf. Er erhielt eine klerikale Erziehung, studierte Rechtswissenschaft an der Universität Neapel und begann dann eine Ausbildung zum diplomatischen Dienst.

1870 gab Cafiero seine diplomatische Laufbahn auf und ging für einige Zeit nach London. Dort wurde sein Interesse für die sozialistische Bewegung und für die [[Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) geweckt. Er machte die Bekanntschaft von Karl Marx und Friedrich Engels. Mitte 1871 kehrte Cafiero nach Neapel zurück, um für die IAA in Italien zu wirken. In Neapel schloss sich Cafiero anarchistischen Kreisen um Errico Malatesta an.

Im Mai/Juni 1872 besuchte er Michail Bakunin in Locarno und wurde Mitglied in dessen engstem Kreis. Am 4./5. August 1872 war Cafiero Teilnehmer an der Konferenz von Rimini, auf der die italienische Föderation der IAA gegründet wurde (d.h. die bereits bestehenden lokalen Sektionen schlossen sich zusammen).

Vom 2. bis 7. September 1872 war Cafiero Zuschauer des Haager Kongresses der IAA, wo sich die Internationale in einen autoritären und einen antiautoritären Flügel spaltete. (Die italienische Föderation war durch offizielle Delegierte bei diesem Kongress nicht vertreten, da sie ihn boykottierte.) Im Anschluss an diesen Kongress, am 15./16. September 1872 war Cafiero Delegierter des Kongresses von St. Imier, wo sich der freiheitliche Flügel der Internationale traf.

Beim ersten Kongress der italienischen Föderation in Bologna wurden Cafiero, E. Malatesta, Andrea Costa u.a. am 16. März 1873 verhaftet, Cafiero wurde am 11. Mai desselben Jahres wieder freigelassen.

Im Laufe der Jahre 1873/74 reiste Cafiero mehrmals in seine Heimatstadt Barletta, um seinen dortigen Besitz zu veräußern. Das Geld aus dem Verkauf diente ab August 1873 zum Kauf und zur Renovierung eines Hauses (der sog. „Baronata") bei Locarno/Tessin, das als anarchistisches Zentrum und Wohnraum für M. Bakunin, E. Malatesta, Cafiero u.a. geplant war. „Cafiero, ein italienischer Revolutionär aus reichem Hause, hatte eine Erbschaft gemacht in der Zeit, da Bakunin im Tessin im Elend lebte. Man beschloß aus dem Erlös der Erbschaft in Minusio bei Locarno ein Landgut zu kaufen, um einerseits für den alternden Bakunin eine Ruhestätte zu errichten, andererseits einen in Italien naheliegenden Stützpunkt für die italienischen Revolutionäre zu schaffen“ ( F. Brupbacher, Zürich 1935; zit. nach Monte Verita 1980, S. 24).

In Locarno lernte Cafiero in dieser Zeit seine Lebensgefährtin Olympia Kutusova kennen.

Zwischen Cafiero und M. Bakunin kam es im Juli 1874 zu einem vorübergehenden Bruch. M. Bakunin übersiedelte nach Lugano, Cafiero lebte weiterhin auf der „Baronata“.

Im Oktober 1875 kehrte Cafiero nach Italien zurück, lebte einige Zeit in Mailand, ab Mitte 1876 wieder in Neapel.

Am 26. bis 30. Oktober 1876 war Cafiero Delegierte beim 8. Kongress der IAA in Bern. Anschließend traf er in Neuchâtel erstmals Peter Kropotkin.

Nach einem Aufstandsversuch in der Nähe von Neapel wurde Cafiero im April 1877 verhaftet und war bis August 1878 im Gefängnis. Dort schrieb er eine Einführung zum Buch „Das Kapital“ von K. Marx, die 1879 veröffentlicht wurde.

Danach lebte er einige Zeit in Paris, wurde dort (zusammen mit E. Malatesta) Anfang 1880 ausgewiesen und ging anschließend nach Genf.

Im Herbst 1881 kam Cafiero nach London, wo er wieder mit E. Malatesta zusammentraf. Eine von beiden geplante Zeitung („La Insurrezione“) konnte nicht erscheinen. In diese Zeit fällt eine teilweise Abkehr von anarchistischen Idealen (Cafiero befürwortete nun die Teilnahme an Wahlen und griff auf marxistische Vorstellungen zurück), sowie ein beginnender „geistiger Verfall“ (Verfolgungswahn).

Im März 1882 kehrte Cafiero nach Italien zurück. Nach einem Selbstmordversuch folgte eine kurze Erholungsphase, dann verschlechterte sich sein psychischer zustand erneut. Am 13. Februar 1883 wurde er in Florenz in ein Irrenhaus eingewiesen.

Im Frühjahr 1888 kam es zu einer kurzen Entlassung, bald jedoch wurde Cafiero erneut ins Irrenhaus eingewiesen. Dort starb er.

Politischer Werdegang

Der Eintritt Cafieros in die sozialistische Bewegung erfolgte 1870/71 in London durch sein dort gewecktes Interesse für die IAA und seine Bekanntschaft mit K. Marx, F. Engels u.a. Mitgliedern der Internationale.

Mitte 1871 ging Cafiero nach Italien zurück, um dort für die IAA tätig zu werden. Er korrespondierte in dieser Zeit mit F. Engels, der seit 1871 zuständiger Sekretär der IAA für Italien war (vgl. K. Marx/F. Engels, S. 655-671).

In Neapel schloss sich Cafiero der dortigen, bereits seit 1869 bestehenden, Sektion der IAA an und kam dadurch mit den anarchistischen Kreisen um M. Bakunin und E. Malatesta in Berührung. Cafiero stand dadurch in der heißen Phase der Auseinandersetzung zwischen der autoritären Tendenz in der IAA (u.a. große Teile des Generalrates um K. Marx) und der antiautoritären Richtung (u.a. den Kreisen um M. Bakunin) für kurze Zeit zwischen beiden Lagern. Seine Position entwickelte sich dabei von Mitte 1871 bis Mitte 1872 immer weiter zur antiautoritären Richtung, bis er bei einem ersten, einmonatigen Besuch bei M. Bakunin in Locamo (20. Mai bis 18. Juni 1872) ganz von dieser Richtung überzeugt wurde.

„Während der vier Wochen, die Cafiero in Locamo verbringt, vernimmt er von kompetentester Seite (von Bakunin) die Rechtfertigung des föderalistischen, antizentralistischen und antidogmatischen Sozialismus, und die Argumente gegen die ‚autoritären Ansprüche’ des Generalrates. Hier kann er sich über die Vorgeschichte des langen Streites orientieren, sich aus der Korrespondenz des vergangenen Jahres, welche Bakunin ihm zur Verfügung stellt, informieren und sich eine Meinung bilden. Zum ersten Mal verlässt er das neapolitanische Milieu, betritt den großen Kreis der internationalen Beziehungen Bakunins, der ihm sofort Vertrauen schenkt, ihm die Mitarbeit anträgt und ihn mit Schweizern, Franzosen, Spaniern, Belgiern und Russen in Kontakt bringt" (P. C. Masini 1975; zit. nach Monte Verita 1980, S. 22).

Die italienische Föderation der IAA stand nahezu geschlossen im antiautoritären Lager. Sie beschloss auf ihrer ersten nationalen Konferenz in Rimini im August 1872 die Trennung vom autoritären Generalrat und die Konzentration auf die antiautoritären Kräfte.

Während der folgenden Jahre war Cafiero eines der aktivsten Mitglieder der Internationale in Italien und der anarchistischen Bewegung, bis er sich Ende 1881 teilweise von anarchistischen Prinzipien abwandte und für die Teilnahme an Wahlen plädierte.

„Es bleibt kaum etwas übrig als anzunehmen, daß in Cafiero eine Rückkehr zu seinem Marxismus von 1871 sich vollzog, eingeleitet durch die Beschäftigung mit Marx' Kapital, 1878, vielleicht gefördert durch seinen größeren Kontakt, von Lugano aus, mit den Mailändern und anderen Sozialisten in Italien, ausgelöst durch die Wahlrechterweiterung von 1882. Es war kein streberhafter Übergang zum professionellen Politikantentum wie bei Costa; es war wohl zugleich eine bereits geistesschwache Hingabe an eine Illusion und ein kapriziöses Ergreifen eines Mittels, mit dem man sich dadurch noch nicht mit Leib und Seele identifizierte. Cafiero hätte die Wahl benutzt und wäre zur Insurrektion zurückgekehrt, er meinte, daß ihm dies möglich sein würde“ (M. Nettlau 1972 (2), S. 265).

Stellenwert innerhalb des libertären Spektrums

Zwischen 1872 und 1882 war Cafiero einer der führenden Köpfe der anarchistischen Bewegung in Italien (neben E. Malatesta und A. Costa). Daneben war er auch in internationalen Zusammenhängen aktiv.

Zusammen mit E. Malatesta und Emilio Covelli war Cafiero im Jahre 1876 einer der Begründer des kommunistischen Anarchismus.

„Während der nächsten drei Monate (Juli bis Oktober 1876) kamen Malatesta, Cafiero und Emilio Covelli in Neapel beständig zusammen; ... jedenfalls erzählte mir Malatesta, daß diese drei damals bei ihren Spaziergängen am Meeresufer zur Idee des kommunistischen Anarchismus gelangten" (M. Nettlau 1922, S. 64).

Daneben beschäftigte sich diese Gruppe auch mit praktischen Fragen und entwickelte zur selben Zeit erste Überlegungen zur „Propaganda der Tat“.

„Wir müssen also handeln, handeln und immer wieder handeln. Dadurch, daß wir handeln, arbeiten wir für die Theorie und für die Praxis zugleich, denn die Aktion bringt die Ideen hervor und verbreitet sie in der Welt. (... ) Unsere Aktion muß die permanente Revolte sein, mündlich, schriftlich, mit der Faust, mit dem Gewehr, mit Sprengkörpern ..." (C. Cafiero 1880; zit. nach: Dokumente der Weltrevolution 1972, S. 230/31).


Autor: Michael Bovenschen

Literatur u. Quellen: Schriften (dt. Übersetzungen)

  • C. Cafiero: Anarchie und Kommunismus (Oktober 1880), in: Freiheit, 5. 4. 1890
  • C. Cafiero: Die Aktion (Dezember 1880), in: Dokumente der Weltrevolution, Bd. 4, S. 229 ff.


Quellen

  • M. Bakunin: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1975
  • F. Brupbacher: 60 Jahre Ketzer, Zürich 1935
  • Dokumente der Weltrevolution, Bd. 4: Der Anarchismus, hg. u. eingel, v. E. Oberländer, Olten 1972
  • A. Lehning (Hg.): Unterhaltungen mit Bakunin, Leipzig 1991
  • K. Marx / F. Engels: Werke, Bd. 33 (MEW), Berlin (DDR) 1984
  • P. C. Manini / G. Bosio: Bibliografiagenerale di Carlo Cafiero, in: Movimento Operaio Jg. III (1951), Nr. 17-18 (Juni-September), S. 701-710
  • P.C. Masini: Storia degli anarchici da Bakunin a Malatesta, Mailand 1969
  • P. C. Masini: Cafiero, Mailand 1975
  • Monte Verita. Berg der Wahrheit. Locarno / Mailand 1980
  • M. Nettlau: Bakunin und die Internationale in Italien bis zum Herbst 1872, in: C. Grünberg: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. II, Leipzig 1912
  • M. Nettlau: Errico Malatesta, Berlin 1922
  • M. Nettlau: Der Anarchismus von Proudhon zu Kropotkin, Glashütten 1972, (l)
  • M. Nettlau: Anarchisten und Sozialrevolutionäre, Glashütten 1972 (2)


Quelle: Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie: Encyclopaedia of Anarchy. Lexique de l'anarchie. - Hrsg. von Hans Jürgen Degen. - Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993-1996 (5 Lieferungen). - Loseblattsammlung in 2 Ringbuchordnern (alph. sortiert, jeder Beitrag mit separater Paginierung). Für die vorliegende Ausgabe wurde er überarbeitet.

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