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==<big>„Antisemit, das geht nicht unter Menschen“</big>==
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==<big>Albert Camus und seine libertäre Publizistik</big>==
Die von Siegbert Wolf und Michael Mümken im Verlag Edition AV herausgegebene und auf mehrere Bände angelegte Dokumentation entstand aus einer Unzufriedenheit über den geringen Stellenwert, dem eine ernsthafte und anhaltende Beschäftigung mit dem Antisemitismus heute in der anarchistischen Bewegung zukommt - von Ausnahmen einzelner Personen und wenigen Gruppen abgesehen.
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Albert Camus (1913-1960) ist zweifellos einer der bekanntesten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine literarisch-philosophischen Werke – erwähnt seien nur „Der Fremde“, „Die Pest“ sowie „Der Mythos des Sisyphos“ – sind in (fast) alle Sprachen der Welt übersetzt worden. Weit weniger bekannt sind seine politische Publizistik, seine Beschäftigung mit dem Anarchismus und sein Engagement in der libertären Bewegung Frankreichs.  Diesen anderen, in der öffentlichen Wahrnehmung bislang eher unbekannt gebliebenen, libertären Publizisten möchte Lou Marin mit seinem zu Camus‘ 100. Geburtstag im Laika Verlag herausgegebene Buch „Albert Camus – Libertäre Schriften (1948-1060)“ vorstellen und seinen Lesern näher bringen.
  
Ebenso wie die frühsozialistische und marxistische war und ist auch die libertäre Bewegung nicht frei von antijüdischen Ressentiments. Bereits die beiden ideologischen Begründer des Anarchismus, Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865)  und Michael Bakunin (1814-1876), waren durch antisemitische Entgleisungen unangenehm aufgefallen. Und auch in den Schriften des libertären russischen Schriftstellers Leo N. Tolstoi (1828-1910) finden sich offenbar Ressentiments gegenüber der jüdischen Religion sowie anderen nichtchristlichen Glaubensbekenntnissen.
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Mit dem Anarchismus hatte sich Camus schon in seiner Jugend beschäftigt, so las er als Zwanzigjähriger Proudhon und Stirner und schrieb 1935 gemeinsam mit Freunden das Theaterstück „Revolte in Asturien“, das die blutige Niederschlagung des Bergarbeiteraufstandes in Asturien im Oktober 1934 thematisiert. In Kontakt zur organisierten anarchistischen und syndikalistischen Bewegung in Frankreich ist Camus allerdings erst in den 1940er Jahren gekommen, also zu einer Zeit in der Frankreich unter der deutschen Besatzung stand. Camus hatte sich der Résistance angeschlossen und schrieb in den Jahren 1942 bis 1946 Leitartikel für die von ihm auch mit herausgegebene Zeitschrift „Combat,“ das in Paris erscheinende Organ der gleichnamigen Résistance-Gruppe. Durch seine journalistische Arbeit für das Blatt „Paris-Soir“ lernte er die anarchistische Aktivistin Rirette Maitrejean und ihren Freund, den russischen Anarchosyndikalisten Victor Serge (d.i. Wiktor Lwowitsch Kibaltschitsch), kennen. Dieser war wie so viele andere seiner anarchistischen Genossen in seiner Heimat der politischen Verfolgung durch Bolschewiki ausgesetzt gewesen und war nach Frankreich ins Exil gegangen. Gemeinsam gaben Maitrejan, Serge und Camus die Zeitschrift „L‘Anarchie“ heraus, die 1905 von dem Individualanarchisten Albert Libertad gegründet worden war und in der anarchistischen Bewegung Frankreichs ein hohes Ansehen genoss. Durch seine Freundschaft zu Victor Serge entwickelte und vertrat Camus eine unabhängige politische Position gegenüber den Vereinnahmungsversuchen der Kommunisten. Aber auch innerhalb der libertären Bewegung vertrat Camus ein durchaus eigenständiges Anarchismusverständnis, das kaum Bezug auf die großen anarchistischen Klassiker Proudhon, Bakunin und Kropotkin nahm.  
  
Der vorliegende erste Band der Edition beleuchtet das Verhältnis des neuzeitlichen Anarchismus seit der Französischen Revolution von 1789 zum Antisemitismus, Judentum, Zionismus bis hin zur Shoah. Das Buch untergliedert sich in die folgenden fünf Abschnitte:
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Engere Kontakte unterhielt Camus auch zu den französischen Anarchosyndikalisten um Pierre Monatte, und er hat für das von ihm herausgebende Blatt „Révolution Prolétarienne“ zahlreiche Artikel verfasst. Auf Initiative vom Camus wurde die "Gruppe internationale Verbindungen" (GLI) gegründet, welche sich in den Jahren 1948 bis 1940 publizistisch und auch materiell für die Verfolgten diktatorischer Regime einsetzte, vor allem republikanische Spanier, Dissidenten aus dem Ostblock sowie Opfer des Kolonialismus aus Afrika.
  
# Anarchisten und Antisemitismus,  
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Beiträge von Camus finden sich in nahezu allen libertären Zeitungen, die zu dieser Zeit in Frankreich und der französischsprachigen Schweiz erschien, so in „Le Libertaire“, „Le Monde Libertaire“, „Franc-Tireur“, „Révolution Prolétarienne“ und „Temoins“, und auch in der spanischsprachigen Zeitung „Solidaridad Obrera“, dem Organ der anarchosyndikalistischen C.N.T. im Exil, sind Artikel von ihm erschienen.  
# Anarchisten über Antisemitismus,  
 
# Anarchismus und Zionismus,
 
# Anarchismus und Judentum
 
# Anarchismus, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg.  
 
  
Jedem Abschnitt sind zeithistorische Originalbeiträge bzw. entsprechende Abhandlungen aus anarchistischer Perspektive zugeordnet.
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Die vorliegende Aufsatzsammlung gibt einen guten Einblick in das politische Denken Camus’ zu Zeiten des Kalten Krieges, und es zeigt seine Entschlossenheit, weder der einen noch der anderen Großmacht nachzugeben. Seine politische Unterstützung galt vielmehr einem dritten unabhängigen Lager, dem der Kriegsdienstverweigerer, der Anti-Kolonialisten und der revolutionären Syndikalisten.  
  
Die Herausgeber des vorliegenden Bandes sind davon überzeugt, „dass eine freiheitliche, sozial gerechte Gesellschaft nur dann erreicht werden kann, wenn zuvor auch eine der ältesten Gruppenfeindschaften der Menschheitsgeschichte, der Antisemitismus, der im letzten Jahrhundert durch den deutschen Nationalsozialismus zum schlimmsten Menschheitsverbrechen der Geschichte geführt hat, in den Köpfen und Herzen aller Menschen dauerhaft beseitigt wird.“
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Sein Selbstverständnis als politischer als Schriftsteller hat Camus wie folgt beschrieben: „Die Schriftsteller waren immer an der Seite des Lebens – gegen den Tod. Wo wäre die Würde dieses lächerlichen Berufs, wenn nicht gerade in der unablässigen Fürsprache für die Sache des Menschen und des Glücks?«
  
Gerade für eine radikale, gesellschaftsverändernde Bewegungen wie der anarchistischen ist die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich produzierten Vorurteilen wie Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Antiziganismus unbedingt erforderlich, um diese Ressentiments im eigenen Denken und Fühlen und ebenso im öffentlichen, alltäglichen Handeln grundlegend zu überwinden. Das erfordert das nachhaltige Erinnern an den Nationalsozialismus sowie den offenen Dialog gegenüber allen Menschen, deren physische und psychische Existenz durch Vorurteile und Feindschaft im Alltag bedroht ist - also auch gegenüber den heute lebenden Jüdinnen und Juden, die weltweit mit einem wieder zunehmenden Antisemitismus konfrontiert werden. Nur so besteht nach Ansicht von Mümken und Wolf die Chance, „der ‚Produktion’ der Leichenberge in der bisherigen Menschheitsgeschichte endlich ein Ende zu bereiten, um den Weg frei zu bekommen für eine Gesellschaft, in der die ökonomischen, sozialen und psychologischen Grundlagen dafür garantiert sind, dass alle Menschen schließlich ihre soziale Individualität entwickeln können und vor allem, dass sie ohne Angst unterschiedlich sein können.“
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Jochen Schmück<br>
 
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Potsdam, im März 2014
Ein wichtiges Buch und ein wichtiger Beitrag zu einer Diskussion in der libertären Bewegung, die längst überfällig ist.
 
  
Jochen Schmück<br>
 
Potsdam, im Februar 2014
 
 
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==Inhalt==
 
==Inhalt==
Jürgen Mümken / Siegbert Wolf: Einleitung [9]
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I.
 
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* Mit Louis Lecoin, Andre Prudhommeaux und Louis Louvet [79]
 
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* Albert Carnus: Dialog um des Dialogs willen [81]
'''1. Anarchisten und Antisemitismus''' [37]
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* André Prunier: Breton oder Camus? Die Grenzen der Revolte [85]
* Werner Portman: Proudhon und das Judentum, ein kompliziertes Verhältnis [39]
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* Komitee der Schirmherren zur Unterstützung unserer Aktion: Alles Menschliche steht auf unserer Seite. Vom Verbrechen, Kriegsdienstverweigerer zu sein [95]
* Michael Bakunin: Persönliche Beziehungen zu Marx (Ende 1871 - Auszüge) [80]
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* Hilfskomitee für Kriegsdienstverweigerer: Vorschlag eines Statuts für Kriegsdienstverweigerer [97]
 
+
* Hilfskomitee für Kriegsdienstverweigerer: Projekt einer Verordnung zur Überstellung von Pazifisten an den Service civil international oder den Zivilschutz [103]
 
+
* Albert Carnus: Betrifft Caligula [107]
'''2. Anarchisten über Antisemitismus''' [85]
+
* Abbé Pierre, der Maler Buffet, Carnus, Giono, Cocteau schreiben an Präsident Charles de Gaulle [111]
* Hans Kohn: Bernard Lazare und die Dreyfus-Affaire (1924) [87]
+
* Gustav Landauer: Der Dichter als Ankläger (1898) [94]
+
II.
* Rudolf Rocker: Dreyfus (1898) [103]
+
* Mit Maurice Joyeux, Gaston Leval und Georges Fontenis [115]
* Peter Kropotkin: Ein Brief (1903)  [108]
+
* Gaston Leval: Bakunin und Der Mensch in der Revolte von Albert Camus, Teil I-IV [117]
* Gustav Landauer: Kiew (1913)  [112]
+
* Albert Carnus: Antwort auf Gaston Leval [149]
* Erich Mühsam: Ritualmord (1913)  [123]
+
* Jean Charlin: Evolution (Auszug) [155]
* Erich Mühsam: Zur Judenfrage (1920) [125]
+
* Nationale Kommission der Fédération anarchiste: Erklärung der Nationalen Kommission der Federation anarchiste [157]
* Rudolf Rocker: Antisemitismus und Judenpogrome (1923) [132]
+
* Maurice Joyeux: Repression der Regierung gegen die Freien Kräfte des Friedens. Maurice Laisant ist verurteilt worden [159]
* Rudolf de Jong: Gedanken zum Antisemitismus in der anarchistischen Diskussion (2008) [139]
+
* Albert Camus: Spanien und der Donquijotismus [163]
 
+
* Albert Camus und der revolutionäre Syndikalismus [167]
'''3. Anarchismus und Zionismus''' [157]
+
* Mina Graur: Anarchismus und Zionismus. Die Debatte über den jüdischen Nationalismus (2008) [159]
+
III.
* Alexander Shapiro: Internationale Probleme. Palästina, England und die jüdische Frage (1930)  [177]
+
* Mit Jean-Paul Samson, Robert Proix und Rirette Maltrejean [171]
* Hans Popper: Die freie organisierte Gemeinschaft des jüdischen Yishuv (Einwohnerschaft) in Palästina (1949) [191]
+
* Jean-Paul Samson: Lektüren: Albert Camus, Actuelles II [173]
* Siegbert Wolf: Martin Bubers Konzeption der Binationalität (2012) [208]
+
* Gaston Leval/Jean-Paul Samson: Korrespondenz. [177]
* Martin Buber: Zwei Völker in Palästina (1947) [226]
+
* Albert Camus: Kalender der Freiheit [181]
* Josef Luden: Israel: Zionismus & Anarchismus (1985) [233]
+
* Die Verweigerung des Hasses [193]
 
+
* Antwort an Domenach [199]
 
+
* Simone Weil: Brief an Georges Bernanos [209]
'''4. Anarchismus und Judentum''' [237]
+
* Jean-Paul Samson, Claude Le Maguet, Pierre Monatte, Bernard von Brentano, Gaston Leval, Louis Mercier, Albert Camus: Zum Brief von Simone Weil an Bernanos [217]
* Jürgen Mümken: Anarchismus, Utopie und jüdischer Messianismus (2013) [239]
+
* Albert Camus: Préface/Vorwort [225]
* Rudolf Rocker: Nationalsozialismus und Judentum [247]
+
* Antwort auf einen Appell ungarischer Intellektueller [229]
* Siegbert Wolf: Gustav Landauer und sein Judentum (2013) [262]
+
* Aktuelles (Auszüge) [233]
 
+
* Miklós Molnár: Offener Brief an Albert Camus [239]
 
+
* Albert Camus: Für Dostojewski [247]
'''5. Anarchismus, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg''' [273]
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* Nochmals Ungarn [249]
* Siegbert Wolf: Milly Witkop und Rudolf Rocker, der Nationalsozialismus und die Zeit des Zweiten Weltkriegs (2013) [275]
+
* Aufruf des Hilfskomitees für spanische Flüchtlinge [255]
 
+
* Robert Proix, Rirette Maîtrejean, Georges Roy, Maurice Lemaitre, Lemoine: Camus im Druckereibereich [257]
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* Albert Camus: Seiten aus dem Tagebuch (1939) [267]
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* Jean-Paul Samson/Rene Char: Der unverzeihliche Camus [275]
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IV.
 +
* Mit Pierre Monatte, Louis Mercier, Yves Dechezelles und Messali Hadj [283]
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* Albert Camus: Das Europa der Treue [285]
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* Franco - der Verteidiger der Kultur! [293]
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* Den Wert der Freiheit wiederherstellen [297]
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* Jene, die sich der Entehrung und dem Überläufertum verweigerten [307]
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* Ehrung eines verbannten Journalisten [309]
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* Post-scriptum [317]
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* Red. La Révolution prolétarienne: Albert Camus bei den Drucksetzern [319]
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* Albert Camus: Die proletarische Literatur [327]
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* Yves Dechezelles: Zu einem Buch über Algerien. Offener Brief an Francis und Colette Jeanson [333]
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* Red. La Révolution prolétarienne: Messali Hadj spricht zu uns über Afrika [341]
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* Albert Sadik: Ein Freispruch, der Geschichte macht [345]
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V.
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* Epilog [347]
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* Freddy Gómez: Brüderlichkeit im Kampfe, Treue in der Einsamkeit: Camus und die Solidaridad Obrera [349]
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* Die letzte Nachricht von Albert Camus [363]
  
Namenregister [289]
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Namensindex [365]
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'''[[DadA-Buchempfehlung|Die DadA-Buchempfehlung]]'''
 
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Version vom 20. März 2014, 11:42 Uhr

Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: 9783868410884 Antisemit das geht nicht unter Menschen.jpg
Autor/en:
Titel: „Antisemit, das geht nicht unter Menschen“
Untertitel: Anarchistische Positionen zu Antisemitismus, Zionismus und Israel. Band 1: Von Proudhon bis zur Staatsgründung
Editoriales: Herausgegeben und eingeleitet von Jürgen Mümken und Siegbert Wolf.
Verlag: Verlag Edition AV
Erscheinungsort: Lich
Erscheinungsjahr: 2013
Umfang, Aufmachung: Paperback, 301 Seiten.
ISBN: (ISBN-13:) 978-3868410884
Preis: 18,00 EUR
Direktkauf: bei aLibro, der Autorenbuchhandlung des DadAWeb

Albert Camus und seine libertäre Publizistik

Albert Camus (1913-1960) ist zweifellos einer der bekanntesten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine literarisch-philosophischen Werke – erwähnt seien nur „Der Fremde“, „Die Pest“ sowie „Der Mythos des Sisyphos“ – sind in (fast) alle Sprachen der Welt übersetzt worden. Weit weniger bekannt sind seine politische Publizistik, seine Beschäftigung mit dem Anarchismus und sein Engagement in der libertären Bewegung Frankreichs. Diesen anderen, in der öffentlichen Wahrnehmung bislang eher unbekannt gebliebenen, libertären Publizisten möchte Lou Marin mit seinem zu Camus‘ 100. Geburtstag im Laika Verlag herausgegebene Buch „Albert Camus – Libertäre Schriften (1948-1060)“ vorstellen und seinen Lesern näher bringen.

Mit dem Anarchismus hatte sich Camus schon in seiner Jugend beschäftigt, so las er als Zwanzigjähriger Proudhon und Stirner und schrieb 1935 gemeinsam mit Freunden das Theaterstück „Revolte in Asturien“, das die blutige Niederschlagung des Bergarbeiteraufstandes in Asturien im Oktober 1934 thematisiert. In Kontakt zur organisierten anarchistischen und syndikalistischen Bewegung in Frankreich ist Camus allerdings erst in den 1940er Jahren gekommen, also zu einer Zeit in der Frankreich unter der deutschen Besatzung stand. Camus hatte sich der Résistance angeschlossen und schrieb in den Jahren 1942 bis 1946 Leitartikel für die von ihm auch mit herausgegebene Zeitschrift „Combat,“ das in Paris erscheinende Organ der gleichnamigen Résistance-Gruppe. Durch seine journalistische Arbeit für das Blatt „Paris-Soir“ lernte er die anarchistische Aktivistin Rirette Maitrejean und ihren Freund, den russischen Anarchosyndikalisten Victor Serge (d.i. Wiktor Lwowitsch Kibaltschitsch), kennen. Dieser war wie so viele andere seiner anarchistischen Genossen in seiner Heimat der politischen Verfolgung durch Bolschewiki ausgesetzt gewesen und war nach Frankreich ins Exil gegangen. Gemeinsam gaben Maitrejan, Serge und Camus die Zeitschrift „L‘Anarchie“ heraus, die 1905 von dem Individualanarchisten Albert Libertad gegründet worden war und in der anarchistischen Bewegung Frankreichs ein hohes Ansehen genoss. Durch seine Freundschaft zu Victor Serge entwickelte und vertrat Camus eine unabhängige politische Position gegenüber den Vereinnahmungsversuchen der Kommunisten. Aber auch innerhalb der libertären Bewegung vertrat Camus ein durchaus eigenständiges Anarchismusverständnis, das kaum Bezug auf die großen anarchistischen Klassiker Proudhon, Bakunin und Kropotkin nahm.

Engere Kontakte unterhielt Camus auch zu den französischen Anarchosyndikalisten um Pierre Monatte, und er hat für das von ihm herausgebende Blatt „Révolution Prolétarienne“ zahlreiche Artikel verfasst. Auf Initiative vom Camus wurde die "Gruppe internationale Verbindungen" (GLI) gegründet, welche sich in den Jahren 1948 bis 1940 publizistisch und auch materiell für die Verfolgten diktatorischer Regime einsetzte, vor allem republikanische Spanier, Dissidenten aus dem Ostblock sowie Opfer des Kolonialismus aus Afrika.

Beiträge von Camus finden sich in nahezu allen libertären Zeitungen, die zu dieser Zeit in Frankreich und der französischsprachigen Schweiz erschien, so in „Le Libertaire“, „Le Monde Libertaire“, „Franc-Tireur“, „Révolution Prolétarienne“ und „Temoins“, und auch in der spanischsprachigen Zeitung „Solidaridad Obrera“, dem Organ der anarchosyndikalistischen C.N.T. im Exil, sind Artikel von ihm erschienen.

Die vorliegende Aufsatzsammlung gibt einen guten Einblick in das politische Denken Camus’ zu Zeiten des Kalten Krieges, und es zeigt seine Entschlossenheit, weder der einen noch der anderen Großmacht nachzugeben. Seine politische Unterstützung galt vielmehr einem dritten unabhängigen Lager, dem der Kriegsdienstverweigerer, der Anti-Kolonialisten und der revolutionären Syndikalisten.

Sein Selbstverständnis als politischer als Schriftsteller hat Camus wie folgt beschrieben: „Die Schriftsteller waren immer an der Seite des Lebens – gegen den Tod. Wo wäre die Würde dieses lächerlichen Berufs, wenn nicht gerade in der unablässigen Fürsprache für die Sache des Menschen und des Glücks?«

Jochen Schmück
Potsdam, im März 2014


Inhalt

I.

  • Mit Louis Lecoin, Andre Prudhommeaux und Louis Louvet [79]
  • Albert Carnus: Dialog um des Dialogs willen [81]
  • André Prunier: Breton oder Camus? Die Grenzen der Revolte [85]
  • Komitee der Schirmherren zur Unterstützung unserer Aktion: Alles Menschliche steht auf unserer Seite. Vom Verbrechen, Kriegsdienstverweigerer zu sein [95]
  • Hilfskomitee für Kriegsdienstverweigerer: Vorschlag eines Statuts für Kriegsdienstverweigerer [97]
  • Hilfskomitee für Kriegsdienstverweigerer: Projekt einer Verordnung zur Überstellung von Pazifisten an den Service civil international oder den Zivilschutz [103]
  • Albert Carnus: Betrifft Caligula [107]
  • Abbé Pierre, der Maler Buffet, Carnus, Giono, Cocteau schreiben an Präsident Charles de Gaulle [111]

II.

  • Mit Maurice Joyeux, Gaston Leval und Georges Fontenis [115]
  • Gaston Leval: Bakunin und Der Mensch in der Revolte von Albert Camus, Teil I-IV [117]
  • Albert Carnus: Antwort auf Gaston Leval [149]
  • Jean Charlin: Evolution (Auszug) [155]
  • Nationale Kommission der Fédération anarchiste: Erklärung der Nationalen Kommission der Federation anarchiste [157]
  • Maurice Joyeux: Repression der Regierung gegen die Freien Kräfte des Friedens. Maurice Laisant ist verurteilt worden [159]
  • Albert Camus: Spanien und der Donquijotismus [163]
  • Albert Camus und der revolutionäre Syndikalismus [167]

III.

  • Mit Jean-Paul Samson, Robert Proix und Rirette Maltrejean [171]
  • Jean-Paul Samson: Lektüren: Albert Camus, Actuelles II [173]
  • Gaston Leval/Jean-Paul Samson: Korrespondenz. [177]
  • Albert Camus: Kalender der Freiheit [181]
  • Die Verweigerung des Hasses [193]
  • Antwort an Domenach [199]
  • Simone Weil: Brief an Georges Bernanos [209]
  • Jean-Paul Samson, Claude Le Maguet, Pierre Monatte, Bernard von Brentano, Gaston Leval, Louis Mercier, Albert Camus: Zum Brief von Simone Weil an Bernanos [217]
  • Albert Camus: Préface/Vorwort [225]
  • Antwort auf einen Appell ungarischer Intellektueller [229]
  • Aktuelles (Auszüge) [233]
  • Miklós Molnár: Offener Brief an Albert Camus [239]
  • Albert Camus: Für Dostojewski [247]
  • Nochmals Ungarn [249]
  • Aufruf des Hilfskomitees für spanische Flüchtlinge [255]
  • Robert Proix, Rirette Maîtrejean, Georges Roy, Maurice Lemaitre, Lemoine: Camus im Druckereibereich [257]
  • Albert Camus: Seiten aus dem Tagebuch (1939) [267]
  • Jean-Paul Samson/Rene Char: Der unverzeihliche Camus [275]

IV.

  • Mit Pierre Monatte, Louis Mercier, Yves Dechezelles und Messali Hadj [283]
  • Albert Camus: Das Europa der Treue [285]
  • Franco - der Verteidiger der Kultur! [293]
  • Den Wert der Freiheit wiederherstellen [297]
  • Jene, die sich der Entehrung und dem Überläufertum verweigerten [307]
  • Ehrung eines verbannten Journalisten [309]
  • Post-scriptum [317]
  • Red. La Révolution prolétarienne: Albert Camus bei den Drucksetzern [319]
  • Albert Camus: Die proletarische Literatur [327]
  • Yves Dechezelles: Zu einem Buch über Algerien. Offener Brief an Francis und Colette Jeanson [333]
  • Red. La Révolution prolétarienne: Messali Hadj spricht zu uns über Afrika [341]
  • Albert Sadik: Ein Freispruch, der Geschichte macht [345]

V.

  • Epilog [347]
  • Freddy Gómez: Brüderlichkeit im Kampfe, Treue in der Einsamkeit: Camus und die Solidaridad Obrera [349]
  • Die letzte Nachricht von Albert Camus [363]

Namensindex [365]



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