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Das Wohnen war weniger kollektiv organisiert. Es gab einige kleinere Wohn- und Hausgemeinschaften, manche wohnten aber auch alleine oder ganz traditionell als Kleinfamilie. Im Projekt gab es große Vermögensunterschiede, teilweise gab es Mietverhältnisse mit Hauseigentümern aus dem Projekt. Der Versuch, ein ehemaliges Kasernengelände am Stadtrand zu erwerben, um dort Wohn- und Arbeitsräume für Viele zu schaffen, scheiterte an menschlichen Zerwürfnissen. Ab Mitte der 90er Jahre verließen immer mehr Leute das Projekt.
 
Das Wohnen war weniger kollektiv organisiert. Es gab einige kleinere Wohn- und Hausgemeinschaften, manche wohnten aber auch alleine oder ganz traditionell als Kleinfamilie. Im Projekt gab es große Vermögensunterschiede, teilweise gab es Mietverhältnisse mit Hauseigentümern aus dem Projekt. Der Versuch, ein ehemaliges Kasernengelände am Stadtrand zu erwerben, um dort Wohn- und Arbeitsräume für Viele zu schaffen, scheiterte an menschlichen Zerwürfnissen. Ab Mitte der 90er Jahre verließen immer mehr Leute das Projekt.
 
Später gab es einen erneuten Versuch gemeinschaftlichen Wohnens einer Gruppe um Horst Stowasser. Diese organisierte sich unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats und erwarb im Frühjahr 2008 den Eilhardshof. Während des Ausbaus geriet das Vorhaben 2010 in die Insolvenz. Neben gestiegenen Baukosten lag dies auch an Problemen innerhalb der Gruppe. Ein lehrreiches Resumee hat Michel Boltz im November 2010 in CONTRASTE veröffentlicht.
 
Später gab es einen erneuten Versuch gemeinschaftlichen Wohnens einer Gruppe um Horst Stowasser. Diese organisierte sich unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats und erwarb im Frühjahr 2008 den Eilhardshof. Während des Ausbaus geriet das Vorhaben 2010 in die Insolvenz. Neben gestiegenen Baukosten lag dies auch an Problemen innerhalb der Gruppe. Ein lehrreiches Resumee hat Michel Boltz im November 2010 in CONTRASTE veröffentlicht.
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== Politik und Projekte: ==
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Die Mediengruppe Publik brachte monatlich die WESPE-Zeitung Stichpunkte heraus, in der alle wichtigen Projekt-Infos für Mitglieder und ihr Umfeld veröffentlicht wurden. Das interne Blättchen xyz diente mit Protokollen der verschiedenen Gremien in WESPE und Diskussionsbeiträgen der internen Transparenz. Dort wurden auch immer wieder Streitereien ausgetragen. Die Kulturgruppe Wespennest organisierte als Verein Musik und Literaturveranstaltungen.
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Es gab viele politische Initiativen, zum Beispiel gegen den Golfkrieg oder das Atomkraftwerk Philippsburg, praktische Solidarität mit Flüchtlingen, verschiedene Antifa-Aktionen und eine projektinterne Struktur zur finanziellen Hilfe für Frauen, die von der Verschärfung des Abtreibungsparagrafen 218 betroffen waren.
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Auf dem Gelände des Ökohof wurde ein kleineres Gebäude reisenden Handwerker*innen überlassen, die es sich als Herberge ausbauten.
  
 
== Nachgedanken: ==
 
== Nachgedanken: ==

Version vom 31. Mai 2021, 11:11 Uhr

Wespe - Werk selbstverwalteter Projekte und Einrichtungen


Die Idee:

1985 erschien „Das Projekt A“ von Horst Stowasser (1951-2009) als DIN-A4-Broschüre in kleiner Auflage. Es war nicht im Buchhandel zu bekommen, sondern wurde in nummerierten Exemplaren persönlich weitergegeben. Darin entfaltete der Autor Ideen eines Projekts zur umfassenden gesellschaftlichen Veränderung, die seit einigen Jahren in bundesweiten Zusammenhängen diskutiert worden waren. Im Projekt A soll die Trennung zwischen Privatleben, Erwerbsarbeit und politischen Aktivitäten aufgehoben werden. Alle Lebensbereiche werden kollektiv organisiert. Kernstück sind die „Doppelprojekte“: Eine Gruppe, deren Mitglieder auch zusammen wohnen, betreibt gemeinsam sowohl ein wirtschaftliches Unternehmen, als auch ein kulturelles, soziales oder politisches Projekt, das aus den Gewinnen des Unternehmens finanziert wird. Mehrere solcher Doppelprojekte vernetzen sich und wirtschaften gemeinsam. Ausgangspunkt dieses Projektanarchismus sollte eine verschlafene, westdeutsche Kleinstadt sein. „In meinem Projekt geht es unter anderem darum, ein lustvolles Leben zu leben, ohne sich dessen zu schämen, ohne dass es auf Kosten anderer Menschen, der politischen Aktivitäten oder arroganter Ausbeutung anderer geschieht.“ An immer mehr Orten sollten solche Projekte entstehen, einen gemeinsamen Rat bilden, und Schritt für Schritt soll sich dieses neue, attraktive Lebensmodell ausweiten. Nach Horst Stowassers Vorstellung wird aus dem Projekt A „ein dynamisches Konzept, eine Idee, die sich über das ganze Land – ja (bitte nicht lachen) über die ganze Welt ausbreiten kann. Soll!“

Geschichte:

Nach jahrelangen Diskussionen im bundesweiten "Projekt A"-Zusammenhang (der sich 1994 auflöste) wurden drei Orte ausgewählt: Leer in Ostfriesland, Alsfeld in der Nähe von Frankfurt am Main, und das pfälzische Neustadt an der Weinstraße. Leer kam nicht richtig ins Laufen. Der erste Versuch in Alsfeld scheiterte an den Menschen und ihrem problematischen Miteinander. So kam die „Bewerbung“ der Neustädter*innen zum Zuge und es entstand das Projekt A in Neustadt an der Weinstraße unter dem Namen "Werk selbstverwalteter Projekte und Einrichtungen" (WESPE). Dort gab es eine lokale Szene und ein paar selbstverwaltete Betriebe. Im Laufe der Jahre zogen immer mehr Leute dorthin, und nach dem Scheitern von Alsfeld kam auch Horst Stowasser 1990 nach Neustadt. Ende 1989 wurde eine ehemalige Fabrik erworben und zum Projektzentrum "Ökohof" umgebaut, weitere Betriebe entstanden, das Projekt wuchs auf mehr als 100 Menschen an. Es ging nicht darum, die Ideen aus dem Projekt-A-Buch eins zu eins umzusetzen, das hatte auch Horst Stowasser nicht erwartet. Die WESPE hat sich nie als Gruppe mit einer bestimmten politischen Ideologie verstanden. Der anarchistische Anspruch bestand ausdrücklich in einer Offenheit für jede*n, wer sich dazugehörig fühlte. Von den Zugezogenen kamen einige wegen dem Projekt A mit einer politischen Perspektive. Andere wollten in einem bestimmten Kollektiv arbeiten. Es kamen auch Leute, die mit Politik nicht viel am Hut hatten, aber das soziale Miteinander schätzten. Gemeinsam war allen, dass sie – wenn auch auf unterschiedliche Weise – für sich und ihr Leben mehr suchten, als die bürgerliche Gesellschaft zu bieten hat.


Kollektivbetriebe:

Im Zuge des Ökohof-Ausbaus gründeten sich eine Bauschreinerei und ein Betrieb für ökologische Haustechnik, und es entstanden weitere Kollektivbetriebe. Zu guten Zeiten waren es 12 bis 13 Unternehmen, am erfolgreichsten entwickelten sich der Bioladen und das Umweltlabor. Hatte Horst Stowasser noch die Idee gehabt, dass die Betriebe ganz „normale“ Firmen sein sollten, wie Supermärkte oder Tankstellen, waren die Neustädter Kollektive – ebenso wie in anderen Städten – sehr anspruchsvoll. Ihre Produkte und Dienstleistungen waren hochwertig und ökologisch. Für die Zugehörigkeit zur WESPE gab es keine festen Kriterien. Jeder Betrieb wirtschaftete autonom, aber es gab gemeinsame informelle Zielvorstellungen hinsichtlich gemeinschaftlichem Eigentum, kollektiven Entscheidungsstrukturen und Einheitslöhnen. Die Produkte sollten ökologischen und ethischen Anforderungen genügen. Für Konflikte zwischen den Betrieben wurde eine Schlichtungsvereinbarung getroffen. Die selbstverwalteten Betriebe organisierten sich im RGW (Rat für gemeinsames Wirtschaften). Für Liquiditätsengpässe gab es einen Fonds. Wenn zum Beispiel ein Kollektiv Material für einen größeren Auftrag vorfinanzieren oder größere Warenbestände einkaufen musste, konnte der Betrag kurzfristig ausgeliehen werden. Das Geld dafür stammte aus dem Verkauf des Projekt A-Hauses in Alsfeld und wurde durch monatliche Beiträge der Kollektive aufgestockt. Die im Projekt A-Konzept vorgesehenen Doppelprojekte konnten nicht umgesetzt werden, weil die Betriebe keine Gewinne erwirtschafteten, die sie mit anderen hätten teilen können, sondern um ihre Existenz kämpfen mussten. Jedoch wäre WESPE nicht möglich gewesen ohne das – auch ökonomische – Zusammenwirken der Betriebe und Einzelpersonen. Gemeinsame Arbeitseinsätze, Kredite und Bürgschaften für den Ökohof, aber auch für einzelne Betriebe stellten einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor dar. Die Einheits- oder Bedarfslöhne lagen etwa zwischen 1.100 und 1.500 DM netto im Monat, zuzüglich betrieblicher Zuschläge für Kinder. Eltern oder dauerhafte Bezugspersonen von Kindern wurden innerhalb ihrer bezahlten Arbeitszeit für zwei bis vier halbe Tage pro Woche von den Betrieben zur Kinderbetreuung freigestellt.


Wohnen:

Das Wohnen war weniger kollektiv organisiert. Es gab einige kleinere Wohn- und Hausgemeinschaften, manche wohnten aber auch alleine oder ganz traditionell als Kleinfamilie. Im Projekt gab es große Vermögensunterschiede, teilweise gab es Mietverhältnisse mit Hauseigentümern aus dem Projekt. Der Versuch, ein ehemaliges Kasernengelände am Stadtrand zu erwerben, um dort Wohn- und Arbeitsräume für Viele zu schaffen, scheiterte an menschlichen Zerwürfnissen. Ab Mitte der 90er Jahre verließen immer mehr Leute das Projekt. Später gab es einen erneuten Versuch gemeinschaftlichen Wohnens einer Gruppe um Horst Stowasser. Diese organisierte sich unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats und erwarb im Frühjahr 2008 den Eilhardshof. Während des Ausbaus geriet das Vorhaben 2010 in die Insolvenz. Neben gestiegenen Baukosten lag dies auch an Problemen innerhalb der Gruppe. Ein lehrreiches Resumee hat Michel Boltz im November 2010 in CONTRASTE veröffentlicht.

Politik und Projekte:

Die Mediengruppe Publik brachte monatlich die WESPE-Zeitung Stichpunkte heraus, in der alle wichtigen Projekt-Infos für Mitglieder und ihr Umfeld veröffentlicht wurden. Das interne Blättchen xyz diente mit Protokollen der verschiedenen Gremien in WESPE und Diskussionsbeiträgen der internen Transparenz. Dort wurden auch immer wieder Streitereien ausgetragen. Die Kulturgruppe Wespennest organisierte als Verein Musik und Literaturveranstaltungen. Es gab viele politische Initiativen, zum Beispiel gegen den Golfkrieg oder das Atomkraftwerk Philippsburg, praktische Solidarität mit Flüchtlingen, verschiedene Antifa-Aktionen und eine projektinterne Struktur zur finanziellen Hilfe für Frauen, die von der Verschärfung des Abtreibungsparagrafen 218 betroffen waren. Auf dem Gelände des Ökohof wurde ein kleineres Gebäude reisenden Handwerker*innen überlassen, die es sich als Herberge ausbauten.

Nachgedanken: