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Wolf-Dieter Narr - Gedenkseite: Unterschied zwischen den Versionen

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Persönlich bin ich mit Wolf-Dieter Narr zwei Mal zusammengetroffen. Beide Begegnungen haben mich beeindruckt. Sie werden mir unvergessen bleiben.
 
Persönlich bin ich mit Wolf-Dieter Narr zwei Mal zusammengetroffen. Beide Begegnungen haben mich beeindruckt. Sie werden mir unvergessen bleiben.
  
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[[Datei:9783896912985 Narr-Radikale Kritik und emanzipatorisches Praxis.jpg|thumb|left|250px|Aus Anlass des 80. Geburtstages von Wolf-Dieter Narr erschien im Oktober 2017 das Buch mit seinen "Ausgewählte Schriften".]]
 
Im Frühjahr 1985 erlebte ich ihn als Dozenten am ''Otto-Suhr-Institut'' der ''Freien Universität''. Erst einige Wochen zuvor hatte ich meinen Studienort nach Westberlin verlegt. Nach vier Semestern im beschaulichen Gießen ein in jeder Hinsicht spannender Neubeginn. Zu den glücklichen Weichenstellungen jener Zeit zählte für mich ein von Wolf-Dieter Narr geleiteter Einführungskurs: ''"Politische Soziologie, Organisation, Demokratie und Subjekt - zu Werk und Person von Rosa Luxemburg"''. So sperrig der Titel, so zugewandt, engagiert und streitbar breitete Narr das Thema aus. Mit Nachdruck arbeitete er Rosa Luxemburgs Bolschewismus-Kritik heraus, ihr Revolutionskonzept spontaner Massenaktion und rätedemokratischer Neustrukturierung. Ganz klar: Der Sozialismus wird frei sein, oder er wird nicht sein! Das verkörperte Wolf-Dieter Narr als tief empfundene Lebenshaltung. Dadurch wurde er zur Inspirationsquelle, öffnete geistige Horizonte.
 
Im Frühjahr 1985 erlebte ich ihn als Dozenten am ''Otto-Suhr-Institut'' der ''Freien Universität''. Erst einige Wochen zuvor hatte ich meinen Studienort nach Westberlin verlegt. Nach vier Semestern im beschaulichen Gießen ein in jeder Hinsicht spannender Neubeginn. Zu den glücklichen Weichenstellungen jener Zeit zählte für mich ein von Wolf-Dieter Narr geleiteter Einführungskurs: ''"Politische Soziologie, Organisation, Demokratie und Subjekt - zu Werk und Person von Rosa Luxemburg"''. So sperrig der Titel, so zugewandt, engagiert und streitbar breitete Narr das Thema aus. Mit Nachdruck arbeitete er Rosa Luxemburgs Bolschewismus-Kritik heraus, ihr Revolutionskonzept spontaner Massenaktion und rätedemokratischer Neustrukturierung. Ganz klar: Der Sozialismus wird frei sein, oder er wird nicht sein! Das verkörperte Wolf-Dieter Narr als tief empfundene Lebenshaltung. Dadurch wurde er zur Inspirationsquelle, öffnete geistige Horizonte.
  
[[Datei:9783896912985 Narr-Radikale Kritik und emanzipatorisches Praxis.jpg|thumb|left|250px|Aus Anlass des 80. Geburtstages von Wolf-Dieter Narr sind im Oktober 2017 Narrs "Ausgewählte Schriften" erschienen, eingeleitet von Wegbegleiter*innen und herausgegeben vom Komitee für Grundrechte und Demokratie.]]
 
 
Das drängte auch mich zu innerem Aufbruch, der mich über den Rätekommunismus in der Folgezeit zum Anarchismus führte. Ab Herbst 1987 fand ich eine soziale Bezugsgruppe im ''Libertären Forum Berlin''. Hieraus ging die anarchistische ''Bibliothek der Freien'' hervor. Eröffnet wurde sie 1993 im Kreuzberger Info-Café ''El Locco''. Seit Anfang 2000 residiert sie im Berliner ''Haus der Demokratie und Menschenrechte''. Um die Mietkosten tragen zu können, teilten wir den Bibliotheksraum von Anfang an mit anderen Projekten. Ab Mitte 2005 war das die ''Irren-Offensive'', eine Organisation der Antipsychiatriebewegung. Im November 2005 jährte sich ihre Gründung zum 25. Mal. Bei der Geburtstagsfeier im Schöneberger ''PallasT'' erlebte ich Wolf-Dieter Narr zum zweiten Mal. Im Namen der Organisation durfte er den ''Freiheitspreis der Irren-Offensive für Subversive Rechtskunde'' verleihen. Empfänger war Thomas Saschenbrecker. Ihm gab Narr in seiner Laudatio ein libertäres Credo mit auf den Weg: ''"Ohne ein kräftiges anarchistisches und lachenvolltolles Element inmitten unseres nie bierigen Ernstes, werden wir diese Zeiten der immer weiter ausgepackten Albträume der Vernunft kaum überstehen."'' Mir scheint, Wolf-Dieter Narr umriss hier wesentliche Antriebskräfte seines Freiheitsstrebens: Klares Bewusstsein vom Ernst der Lage, gepaart mit humorvoller Selbstbehauptung und einer wunderbaren Portion von Selbstironie.
 
Das drängte auch mich zu innerem Aufbruch, der mich über den Rätekommunismus in der Folgezeit zum Anarchismus führte. Ab Herbst 1987 fand ich eine soziale Bezugsgruppe im ''Libertären Forum Berlin''. Hieraus ging die anarchistische ''Bibliothek der Freien'' hervor. Eröffnet wurde sie 1993 im Kreuzberger Info-Café ''El Locco''. Seit Anfang 2000 residiert sie im Berliner ''Haus der Demokratie und Menschenrechte''. Um die Mietkosten tragen zu können, teilten wir den Bibliotheksraum von Anfang an mit anderen Projekten. Ab Mitte 2005 war das die ''Irren-Offensive'', eine Organisation der Antipsychiatriebewegung. Im November 2005 jährte sich ihre Gründung zum 25. Mal. Bei der Geburtstagsfeier im Schöneberger ''PallasT'' erlebte ich Wolf-Dieter Narr zum zweiten Mal. Im Namen der Organisation durfte er den ''Freiheitspreis der Irren-Offensive für Subversive Rechtskunde'' verleihen. Empfänger war Thomas Saschenbrecker. Ihm gab Narr in seiner Laudatio ein libertäres Credo mit auf den Weg: ''"Ohne ein kräftiges anarchistisches und lachenvolltolles Element inmitten unseres nie bierigen Ernstes, werden wir diese Zeiten der immer weiter ausgepackten Albträume der Vernunft kaum überstehen."'' Mir scheint, Wolf-Dieter Narr umriss hier wesentliche Antriebskräfte seines Freiheitsstrebens: Klares Bewusstsein vom Ernst der Lage, gepaart mit humorvoller Selbstbehauptung und einer wunderbaren Portion von Selbstironie.
  

Version vom 20. Oktober 2019, 18:39 Uhr

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Wolf-Dieter Narr (1937-2019)

Wolf-Dieter Narr ist tot

Am 12. Oktober 2019 ist unser Freund, der libertäre Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben. Wer seine Erinnerungen an Walf-Dieter Narr mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Wolf-Dieter Narr - Gedenkseite.

Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.

Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de


Reaktionen, Nachrufe und Erinnerungen

Nachruf auf Wolf-Dieter Narr von Maurice Schuhmann

„Wissen Sie, was ich an Ihnen mag? - Sie sind Anarchist und ich bin es auch.“ So lauteten die Worte Narrs am Ende seiner Sprechstunde, in der er sich bereit erklärte, meine Dissertation zu betreuen. Für mich war Wolf-Dieter Narr neben Andreas Graf einer meiner geistigen Mentoren. Für mich gehörte er zu den wenigen Menschen, die ich als Wissenschaftler, Intellektuellen, Aktivisten und Mensch gleichsam sehr schätzte. Er war für mich und viele andere ein Doktorvater, der keine Schüler*innen heranzog, sondern uns ermunterte, im Kant‘schen Sinne sich des eigenen Verstandes zu bedienen und unsere eigene Forschungsrichtung einzuschlagen. Mein Forschungsthema, was für manche Kritik im Umfeld sorgte, verteidigte er gegen jeden Angriff von aussen und schuf mir persönlich damit einen Freiraum, der mir erlaubte, mich geistig zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln.

In Erinnerung ist mir auch seine Aufforderung geblieben, die er im Vorfeld der Verteidigung meiner Doktorarbeit in Bezug auf meinen Plan nach Paris zu gehen an mich richtete - „Tun Sie etwas gegen den Rassismus dort!“ Er selber war nie jemand der nur redete, sondern er lebte es uns vor – durch seine eigenen Taten. Die Aktivitäten, an denen er beteiligt war, sind zahlreich – und es geschah bei ihm nie, um sich zu profilieren, sondern aus einem ethischen Anspruch heraus. Von daher denke ich, dass die folgenden Worte aus Erich Mühsams Gedicht Der Tote sehr gut auf Wolf-Dieter Narr passen und in seinem Sinne wären:

„Wollt ihr denen Gutes tun, 
die der Tod getroffen, 
Menschen, laßt die Toten ruhn 
und erfüllt ihr Hoffen!“

Maurice Schuhmann, Berlin


Erinnerungen an Wolf-Dieter Narr von Markus Henning

Persönlich bin ich mit Wolf-Dieter Narr zwei Mal zusammengetroffen. Beide Begegnungen haben mich beeindruckt. Sie werden mir unvergessen bleiben.

Aus Anlass des 80. Geburtstages von Wolf-Dieter Narr erschien im Oktober 2017 das Buch mit seinen "Ausgewählte Schriften".

Im Frühjahr 1985 erlebte ich ihn als Dozenten am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Erst einige Wochen zuvor hatte ich meinen Studienort nach Westberlin verlegt. Nach vier Semestern im beschaulichen Gießen ein in jeder Hinsicht spannender Neubeginn. Zu den glücklichen Weichenstellungen jener Zeit zählte für mich ein von Wolf-Dieter Narr geleiteter Einführungskurs: "Politische Soziologie, Organisation, Demokratie und Subjekt - zu Werk und Person von Rosa Luxemburg". So sperrig der Titel, so zugewandt, engagiert und streitbar breitete Narr das Thema aus. Mit Nachdruck arbeitete er Rosa Luxemburgs Bolschewismus-Kritik heraus, ihr Revolutionskonzept spontaner Massenaktion und rätedemokratischer Neustrukturierung. Ganz klar: Der Sozialismus wird frei sein, oder er wird nicht sein! Das verkörperte Wolf-Dieter Narr als tief empfundene Lebenshaltung. Dadurch wurde er zur Inspirationsquelle, öffnete geistige Horizonte.

Das drängte auch mich zu innerem Aufbruch, der mich über den Rätekommunismus in der Folgezeit zum Anarchismus führte. Ab Herbst 1987 fand ich eine soziale Bezugsgruppe im Libertären Forum Berlin. Hieraus ging die anarchistische Bibliothek der Freien hervor. Eröffnet wurde sie 1993 im Kreuzberger Info-Café El Locco. Seit Anfang 2000 residiert sie im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte. Um die Mietkosten tragen zu können, teilten wir den Bibliotheksraum von Anfang an mit anderen Projekten. Ab Mitte 2005 war das die Irren-Offensive, eine Organisation der Antipsychiatriebewegung. Im November 2005 jährte sich ihre Gründung zum 25. Mal. Bei der Geburtstagsfeier im Schöneberger PallasT erlebte ich Wolf-Dieter Narr zum zweiten Mal. Im Namen der Organisation durfte er den Freiheitspreis der Irren-Offensive für Subversive Rechtskunde verleihen. Empfänger war Thomas Saschenbrecker. Ihm gab Narr in seiner Laudatio ein libertäres Credo mit auf den Weg: "Ohne ein kräftiges anarchistisches und lachenvolltolles Element inmitten unseres nie bierigen Ernstes, werden wir diese Zeiten der immer weiter ausgepackten Albträume der Vernunft kaum überstehen." Mir scheint, Wolf-Dieter Narr umriss hier wesentliche Antriebskräfte seines Freiheitsstrebens: Klares Bewusstsein vom Ernst der Lage, gepaart mit humorvoller Selbstbehauptung und einer wunderbaren Portion von Selbstironie.

Wolf-Dieter Narr hat sein Leben dem Engagement gewidmet - dem wissenschaftlichen, dem menschenrechtlichen, dem zivilgesellschaftlichen. Drei Seiten, die in seinem Anarchismusverständnis nicht zu trennen waren.

Ich bin dankbar dafür, dass ich ihn kennenlernen durfte.

Markus Henning, Frankfurt am Main