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Diese Ideen konnte man als sein politisches und kulturelles Vermächtnis betrachten, meint der deutsch-schwedische Syndikalist Helmut [[Rüdiger]]. Es ist offenbar, das Camus Auffassungen im Gegensatz zu der Gleichschaltungs- und Nivellierungsraserei der Jakobiner steht. Dagegen haben sie ihre Wurzeln in der anderen großen Tradition Frankreichs, in der Gedankenwelt des Föderalismus, welche auch die spanischen Volksbewegungen (2. Spanische Republik [1931 - 1939]) kennzeichnete, mit denen Camus sympathisierte (Helmut Rüdiger 1978, S. 146 ff.). | Diese Ideen konnte man als sein politisches und kulturelles Vermächtnis betrachten, meint der deutsch-schwedische Syndikalist Helmut [[Rüdiger]]. Es ist offenbar, das Camus Auffassungen im Gegensatz zu der Gleichschaltungs- und Nivellierungsraserei der Jakobiner steht. Dagegen haben sie ihre Wurzeln in der anderen großen Tradition Frankreichs, in der Gedankenwelt des Föderalismus, welche auch die spanischen Volksbewegungen (2. Spanische Republik [1931 - 1939]) kennzeichnete, mit denen Camus sympathisierte (Helmut Rüdiger 1978, S. 146 ff.). | ||
Selbst als Camus sich auf offiziellem Parkett zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1957 in Stockholm bewegte, stellte er einen unveröffentlichten Text für "Arbetaren" zur Verfügung, des Organs der schwedischen Syndikalistlnnen. Sein Honorar diente als Solidaritätsspende für die spanischen syndikalistischen Emigrantlnnen. | Selbst als Camus sich auf offiziellem Parkett zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1957 in Stockholm bewegte, stellte er einen unveröffentlichten Text für "Arbetaren" zur Verfügung, des Organs der schwedischen Syndikalistlnnen. Sein Honorar diente als Solidaritätsspende für die spanischen syndikalistischen Emigrantlnnen. | ||
− | Glück, Revolte, Freiheit und die Intensität des Lebens einerseits und der Tod andererseits waren die Pole der Philosophie Camus. Die Individualität so intensiv wie möglich zu leben, ist Camus Botschaft. Das einzige Hindernis liegt im vorzeitigen Tod. Er hinterließ sein Lebensmotto: | + | Glück, Revolte, [[Freiheit]] und die Intensität des Lebens einerseits und der Tod andererseits waren die Pole der Philosophie Camus. Die Individualität so intensiv wie möglich zu leben, ist Camus Botschaft. Das einzige Hindernis liegt im vorzeitigen Tod. Er hinterließ sein Lebensmotto: |
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Version vom 13. Juli 2020, 16:13 Uhr
Lexikon der Anarchie: Personen
Albert Camus, * 7. November 1913, Mondovi (Algerien); † 4. Januar 1960, Villeblevin (Frankreich) (Autounfall). Schriftsteller, Dramatiker und Journalist. Albert Camus erhielt 1957 den Literaturnobelpreis und erlangte daraufhin literarischen Weltruhm. Zeit seines Lebens hatte Camus Kontakte zur französischen anarchistischen Bewegung. Er hielt Vorträge, beteiligte sich an Aktionen und trat für Angeklagte vor Gericht ein. Und seine Werke sind von freiheitlichem Denken gekennzeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Camus Familie waren spanische und französische EinwandererInnen in Algerien. Camus verbrachte seine Kindheit in Belcourt, einem ärmlichen Stadtviertel Algiers. Sein Vater starb 1914, im I. Weltkrieg. 1934 kurzzeitige Heirat mit Simone Hié. 1933 - 1936 Philosophiestudium an der Universität in Algier. Der Ausbruch der Lungentuberkulose (1931) bestimmten Camus Leben: 1942 Kuraufenthalt in Südfrankreich; 1949 erneuter Krankheitsausbruch. 1935 - 1940 Theatergründungen und Kulturarbeit in Algier. 1935 - 1937 Mitglied der Kommunistischen Partei (KP). In dieser Zeit unterstützte die KP antikoloniale Bestrebungen. Die KP Frankreichs (KPF), ebenso die SozialistInnen, betrachteten Algerien als französisches Land. Lediglich am Rande und aus taktischen Gründen gab es Bündnisse mit dem algerischen Nationalismus; denn unter den europäischen Siedlern in Nordafrika gab es eine Anzahl Kommunisten, die alle "Eingeborenen" tief verachteten und auf deren Stimmung die Parteiführung Rücksicht nehmen mußte (vgl. F. Ansprenger 1981, S. 102 u. 232). Camus organisierte die Zusammenarbeit mit moslemischen Nationalisten. Als die KP aufgrund von staatspolitischen Interessen der Sowjetunion und Frankreichs die Anti-Kolonial-Politik aufgab, machte Camus diesen Wechsel nicht mit; er wurde aus der KP ausgeschlossen. 1938 - 1940 arbeitete er als Journalist beim "Alger Républicain". 1940 Umzug nach Paris und Arbeit bei der Zeitung "Paris Soir". Heirat mit Francine Faure; zwei Kinder.
Trotz der deutschen Besetzung Frankreichs gab es in der Illegalität kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten: Einige Werke Camus erschienen, mit großem Erfolg z.B.
- 1942 "Der Fremde".
- 1943 - 1947 Journalist und Leiter der Widerstandszeitung "Combat".
- 1952 Veröffentlichung von "Der Mensch in der Revolte"; 1957 Nobelpreis fur Literatur ("Der Fall").
Camus' Bedeutung für den Anarchismus
... Algerien 1938 – 1940
1937 arbeitete Camus bei der kleinen linken Tageszeitung "Alger Républicain". Er berichtete dort u.a. über das Elend und die koloniale Ausbeutung in Algerien, besonders über die der BerberInnen in der Kabylei, aber auch über die Verfolgung der muslimischen Arbeiterlnnen um Messali Hadj. Bald wurde Camus zusammen mit seinem Freund Pascal Pia Herausgeber der Zeitung. Als 1939 der II. Weltkrieg begann, radikalisierten sich beide in anarchistischer Richtung - eine Reaktion auf die Militärs, die die Zeitung zensieren wollten. Nach dem finanziellen Ruin des "Alger Républicain" gaben Camus und Pascal Pia die zweiseitige Nachmittagszeitung "Le Soir Républicain" heraus, über die der Camus-Biograph Herbert R. Lottmann schreibt: "Die Zeitung war ein reines Meinungsblatt geworden; die beiden Unruhestifter Pia und Camus hatten aus ihr bald ein anarchistisches Organ gemacht" (H. R. Lottmann 1986, S. 184).
Dort veröffentlichten sie zu Beginn des Krieges ein politisches "Glaubensbekenntnis": "Wir sind durch und durch Pazifisten. Wir verurteilen die strafrechtlichen Verfolgungen und die von der Regierung getroffenen diktatorischen Maßnahmen, auch die gegen Kommunisten" (ebd., S. 186). In dem Artikel "Notre Position" verteidigten sie unter Hinweis auf einen anerkannten Kriegsdienstverweigerer in England das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Kriegszeiten. Am 10. Januar 1940 verboten die französischen Kolonialbehörden den "Soir Républicain". Camus Antikriegsposition unterschätzte zwar die nationalsozialistische Bedrohung, wie auch nahezu die gesamte politische Öffentlichkeit; dennoch kann aber Camus dem offiziellen Appeasement nicht zugerechnet werden: zu eindeutig hatte er sich 1938 im "Alger Républicain" gegen das Münchner Abkommen ausgesprochen. Dieses Abkommen war das Appeasement von oben, wonach ein Krieg mit Deutschland nahezu als ausgeschlossen galt. 1939 meldet sich Camus zum Kriegsdienst, wird aber aufgrund seiner Krankheit abgelehnt. Das Verbot des "Soir Républicain" bedeutete das vorläufige Ende der politischen Aktivitäten Camus in Algerien.
...in Frankreich; Zeit der Résistance
Nach dem "Blitzkrieg" der deutschen Wehrmacht im Mai 1940 und der Besetzung Frankreichs schloß sich Camus der Résistance an und gab seine grundsätzlich pazifistische Position auf. Doch seine Kritik an der kommunistischen Attentatspolitik innerhalb der Résistance, seine Bemühungen um geringstmögliche, maßvolle Gewalt, seine Gewaltkritik nach der Befreiung (vgl. A. Camus, 1991) lassen sich ohne seine pazifistisch-anarchistische Phase in Algier von 1938 bis 1940 nicht verstehen.
Die Résistance kämpfte nicht ,"um der Macht, sondern um der Gerechtigkeit willen, nicht um der Politik, sondern um der Moral willen, nicht um der Herrschaft über das Land, sondern um seiner Größe willen" (A. Camus 1987, S. 10).
Camus schrieb als Leitartikler von 1942 bis 1946 für die Résistance-Zeitung ,"Combat", deren Herausgeber er auch war. Der "Combat" war eine der wichtigsten und auflagenstärksten Zeitungen des befreiten Paris (ab August 1944). Nach der Befreiung von der deutschen Besatzung warnte Camus vor Trägheit und Gleichgültigkeit und stellte sich gegen die Rache an KollaborateurInnen des deutschen Faschismus; denn Camus wollte Freiheit, nicht Terror für Terror. Nach Auschwitz darf revolutionäre Politik nicht die Opferung von Menschen sein, sondern muss die unmittelbare Rettung von Menschen in den Mittelpunkt stellen. In einem Leitartikel prägte er den späteren Untertitel des "Combat": Vom Widerstand zur Revolution - der Kampf geht weiter.
... nach der Befreiung
1947 bemerkte Camus (,,Die Pest" [Résistance-Roman]), dass er von den Leuten genug habe, die für eine Idee sterben, denn ihn interessiere nur noch, von dem zu leben und an dem zu sterben, was er liebe. Zunächst wurde "Die Pest" als verschlüsselte Darstellung des gerade überwundenen Faschismus verstanden, aber die Pest ist eine so alte, so vieldeutige Krankheit, dass immer neue Leser ihre Situation wiederfinden. Die Pest in der Gesellschaft, in den Köpfen der Menschen, die Pest des Stalinismus, die Pest der Ausbeutung, die Pest der Atombombe ... Ein großer Fehler seien absolute Zielsetzungen, denn daraus folge in der politischen Praxis das Opfern fremden Lebens. Derjenige aber, der nicht an absolute Zielsetzungen glaubt, kann nur sich selbst opfern, aber nicht andere.
Die ersten Kontakte zum europäischen Anarchismus knüpfte Camus 1940 nach seiner Übersiedlung nach Paris und den weiteren Stationen Clermont-Ferrand und Lyon. Im Zusammenhang mit seiner journalistischer Tätigkeit war er befreundet mit Rirette Maitrejean - eine Freundschaft, die ein Leben lang hielt. Rirette Maitrejean ihrerseits war mit dem von Stalin verfolgten russischen revolutionären Syndikalisten Victor Serge befreundet und hatte mit ihm die Zeitung "L'Anarchie" herausgegeben. Über diese Kontakte festigte sich Camus unabhängige politische Position sowohl gegenüber den Vereinnahmungsversuchen der Kommunistlnnen innerhalb der Résistance-Untergrundpresse, als auch in den ersten Jahren (nach der Befreiung) der von Camus geleiteten legalen Tageszeitung "Combat".
Aus diesen Kontakten resultiert auch seine lebenslange Verbindung mit den französischen Anarcho-SyndikalistInnen um Pierre Monatte und seiner Zeitung "Révolution Prolétarienne", in der Camus immer wieder selbst Artikel veröffentlichte (T. Vertone 1984, S. 32 f.).
Vor allem auf diese Kontakte ging eine Initiative Camus von 1948 - 1950 zurück, die Gründung der "Gruppe internationale Verbindungen" (GLI), welche sich publizistisch und auch materiell um die Verfolgten diktatorischer Regimes, vor allem republikanischer Spanierinnen, Dissidentlnnen aus den osteuropäischen Staatssozialismen und um kolonialistisch Verfolgte aus Afrika kümmerte. Camus schrieb insgesamt für nahezu alle libertären Zeitungen in Frankreich und der französischsprachigen Schweiz: Le Libertaire, Le Monde Libertaire, Franc-Tireur, Révolution Prolétarienne, Temoins, sowie für die exilspanische anarcho-syndikalistische Zeitung Solidaridad Obrera. Im Gedächtnis der spanischen Anarcho-SyndikalistInnen blieb Camus als einer der wenigen bekannten Schriftsteller, der immer wieder öffentlich die Unerträglichkeit der internationalen Anerkennung des Franco-Faschismus nach 1945 anprangerte.
Die engsten Kontakte neben der Gruppe um Pierre Monatte und der "Le Monde Libertaire" um Maurice Joyeux hatte Camus zur 1953 von Jean-Paul Samson in Zürich herausgegebenen Zeitung "Temoins", wo er sogar als Mitherausgeber aufgeführt wurde. Jean Paul Samson konnte nicht nach Frankreich zurückkehren, weil er im I. Weltkrieg desertiert war und dann zum gewaltfreien Anarchisten wurde. Mit Robert Proix, einem Mitarbeiter dieser Zeitung in Frankreich, versuchte Camus zeitweilig eine Wiederzusammenführung der gespaltenen Strömungen des revolutionären Syndikalismus und des nicht-syndikalistischen Anarchismus (ebd., S. 14 ff., S. 34).
Oft arbeiteten mehrere Strömungen des Anarchismus mit Camus bei Kampagnen zusammen, interessanterweise auch bei einer Intervention von Camus im Jahre 1957 aus Protest gegen die Verfolgung revolutionärer syndikalistischer Gruppen in Algerien, die zum bevorzugten Angriffsziel von Attentaten der befreiungsnationalistischen FLN (Front de Libération Nationale) geworden waren - es war die Entledigung einer unbequemen Konkurrenz (Volonté Anarchiste 1984, S. 18).
Ein zweiter Schwerpunkt der libertären Nachkriegsaktivitäten Camus bestand in einer Art Rückbesinnung auf seine anarcho-pazifistischen Vorkriegsposition. Er unterstützte von nun an viele Aktionen von Kriegsdienstverweigeren und gewaltfreien Anarchistlnnen. Bereits nach dem II. Weltkrieg beeinflussten die politischen Schriften Camus die Diskussionen der Pazifistlnnen, der gewaltfreien Aktivistlnnen (der "Peacemaker") und auch die Anarchistlnnen im anglo-amerikanischen Sprachraum. 1947 übersetzte der Amerikaner Dwight McDonald Camus Essay "Weder Opfer noch Henker". Dwight McDonald ist bekannt als ein Vertreter revolutionärer Gewaltfreiheit. Später zitierte der Inder Narayan Desai (er war Vorsitzender der War Resisters' International (WRI) in seinem Buch ,"Für eine Gewaltfreie Revolution" (1972) "Weder Opfer noch Henker" als einen wichtigen Beitrag zu seinem Thema. Etwa 1948 beteiligte sich Camus an den Kundgebungen für den US-amerikanischen Kriegsdienstverweigerer Gary Davis, der aus Protest gegen den US-amerikanischen Imperialismus seinen Pass zurück gab und sich zum "Weltbürger" erklärte.
In diese Zeit fallt auch die Begeisterung für Simone Weil und ihre Forderung. Er ermöglichte dieser libertären Schriftstellerin Publikationsmöglichkeiten beim Verlag Gallimard/Paris. Beiden gemeinsam sei ein Streben nach einer neuen revolutionären Haltung gegenüber dem Leben und der menschlichen Gesellschaft, bemerkt Helmut Rüdiger (vgl. Helmut Rüdiger 1952, S. 25 - 28). In den 50er Jahren unterstützte Camus die Kampagne des gewaltfreien Anarchisten Louis Lecoin (siehe: Lecoin, Louis) für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (H. R. Lottmann 1986, S. 10). Anfang 1955 hatte Camus sein öffentlichkeitswirksamstes Auftreten für den gewaltfreien Anarchismus: seine Zeugenaussage bei einem Prozess gegen den damaligen Mitherausgeber der "Le Monde Libertaire", Maurice Laisant. Maurice Laisant hatte mit der anarchistischen Gruppe "Freie Friedenskräfte" ein Plakat gegen den kolonialistischen Krieg Frankreichs in Indochina herausgebracht, welches dem Einberufungsplakat der französischen Armee ähnelte, jedoch den gegenteiligen Inhalt propagierte. Im Prozess erklärte Camus leidenschaftlich seine Verbundenheit mit Maurice Laisant. Im Anschluss an seine Zeugenaussage nahm Camus im mehrheitlich aus aktiven syndikalistischen Arbeiterlnnen bestehenden Publikum Platz, welche ihn, so wird berichtet, "mit Sympathie umringten" (H. R. Lottmann 1986, S. 458).
"Der Mensch in der Revolte"
Als sein wichtigstes politisches Werk folgte 1951 "Der Mensch in der Revolte", in dem sich Camus die Frage nach der Notwendigkeit und den Grenzen revolutionärer Gewalt stellte: ob z. B. Mord zur Abschaffung von Unfreiheit und Ungerechtigkeit ein legitimes Mittel sei. Das ursprüngliche "Nein" der Revolte gegen Unterdrückung ist in den Revolutionen zum Mord als legitimes Mittel der Unterdrückung degeneriert, ob nun Opfer für ideell-metaphysische (Herrschaft der Vernunft) oder historisch zukünftige (klassenlose Gesellschaft) Ziele gefordert werden. Camus fordert die Rückkehr der Revolution zum Ursprung der Revolte, d. h. dem Mittel der Verweigerung. Als in den 50er Jahren das Ausmaß der Opfer des Stalinismus bekannt wurde, diskutierte man über die Frage, inwieweit Gewalt und politischer Mord legitime Mittel zur Abschaffung von Unfreiheit und Ungerechtigkeit seien. Camus grundlegendes Buch fand in libertären Kreisen eine herausragende Würdigung und auch eine kritische Auseinandersetzung. Es führte aber auch zum Bruch seiner Freundschaft mit Jean-Paul Sartre und hatte in der Algerien-Debatte (s. u.) konkrete politische Dimensionen.
Zunächst kam es aufgrund von Camus Kritik an nihilistischen Tendenzen im Surrealismus zum Bruch mit dessen wichtigstem Vertreter, Andre Breton, jedoch nicht in libertären Kreisen, sondern in der Künstlerzeitung ,"Arts". Andre Breton hatte Camus die Rückkehr zur bürgerlichen Moral vorgeworfen. Camus erklärte, er beziehe seine revolutionäre Moral in seinem Buch explizit nicht auf den bürgerlichen Humanismus, sondern auf den revolutionären Syndikalismus (T. Vertone, S. 19).
Außerdem gab es eine Kontroverse zwischen Gaston Leval und Camus um dessen Kritik der diktatorischen und nihilistischen Tendenzen bei Michael Bakunin, die in "Le Libertaire" geführt wurde. Gaston Leval verteidigte Michael Bakunin und bestand darauf, dass Michael Bakunin nicht die Wissenschaft als solche kritisiert habe. Camus veränderte daraufhin seine Wertung, Michael Bakunin sei der einzige seiner Zeit, der die Wissenschaft kritisiert habe, in die Wertung, Michael Bakunin habe die "Regierung der Wissenschaft" kritisiert (T. Vertone, S. 11 ff.). J. P. Samson in "Temoins" wiederum verteidigte Camus Kritik an den nihilistischen Tendenzen bei Michael Bakunin als notwendig, während Gerard Fontenis in "Le Libertaire" lediglich die Nichtberücksichtigung der Machno-Bewegung und des revolutionären Spaniens 1936 bei Camus philosophischer Abhandlung bemängelte (T. Vertone, S. 22). Von libertärer Seite wurde das Bekenntnis von Camus zur Pariser Commune (1871) und zum revolutionären Syndikalismus erfreut zur Kenntnis genommen.
Algerien – Kontroverse
Als Algerienfranzose forderte Camus von der nationalistischen Befreiungsbewegung Algeriens die Gewährung von Minderheitenrechten. Er sah im Föderalismus eine Grundlage, den Kolonialismus zu überwinden.
Jean Paul Sartre dagegen engagierte sich für die nationalstaatliche Unabhängigkeit Algeriens, den bewaffneten Befreiungskampf und war staatspolitisch orientiert. Die Arabisierung in einer "algerischen Nation" sei falsch, meinte dagegen Camus, denn auch die Juden/Judinnen, Griechlnnen, Italienerlnnen, Berberlnnen konnten beanspruchen, zu dieser Nation zu gehören. Und schließlich seien auch die Franzosen/Französinnen in Algerien "Eingeborene". Camus schlug einen Föderalismus vor, der sich nicht nur auf territoriale, sondern auch auf autonom-kulturelle Einheiten gründen sollte. Es waren Vorschläge, die zeigten, wie sehr Camus an Pierre-Joseph Proudhons Geschichtsauffassung und der libertären Gesellschaftskritik anknüpfte. Wir müssen mit den zentralistischen Vorurteilen der französischen Revolution Schluss machen, sagte Camus, und damit meinte er die Vorstellungen der Jakobiner von der "einen und unteilbaren Republik" und ihre fanatische Antipathie gegen freie Zusammenschlüsse und föderalistische Organisationen. Notwendig sei eine Revolution gegen den abstrakten Zentralismus.
Diese Ideen konnte man als sein politisches und kulturelles Vermächtnis betrachten, meint der deutsch-schwedische Syndikalist Helmut Rüdiger. Es ist offenbar, das Camus Auffassungen im Gegensatz zu der Gleichschaltungs- und Nivellierungsraserei der Jakobiner steht. Dagegen haben sie ihre Wurzeln in der anderen großen Tradition Frankreichs, in der Gedankenwelt des Föderalismus, welche auch die spanischen Volksbewegungen (2. Spanische Republik [1931 - 1939]) kennzeichnete, mit denen Camus sympathisierte (Helmut Rüdiger 1978, S. 146 ff.). Selbst als Camus sich auf offiziellem Parkett zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1957 in Stockholm bewegte, stellte er einen unveröffentlichten Text für "Arbetaren" zur Verfügung, des Organs der schwedischen Syndikalistlnnen. Sein Honorar diente als Solidaritätsspende für die spanischen syndikalistischen Emigrantlnnen. Glück, Revolte, Freiheit und die Intensität des Lebens einerseits und der Tod andererseits waren die Pole der Philosophie Camus. Die Individualität so intensiv wie möglich zu leben, ist Camus Botschaft. Das einzige Hindernis liegt im vorzeitigen Tod. Er hinterließ sein Lebensmotto: Ich revoltiere, also bin ich! Ich empöre mich, also sind wir!
Literatur
- F. Ansprenger: Auflösung der Kolonialreiche, München 1981
- Wolfram Beyer: Albert Camus - ein Libertärer, in; Albert Camus: Weder Opfer noch Henker, Berlin 1991
- Albert Camus: Das Blut der Freiheit, in: Albert Camus: Verteidigung der Freiheit, Reinbek 1987
- Albert Camus: Weder Opfer noch Henker, Schriften des Libertären Forums, Berlin 1991
- W. Gaum: Revolte und Revolution. Triebkräfte und Ziele der Gesellschaftsveränderung bei Landauer und Camus, in: Die Freie Gesellschaft, Vierteljahresschrift für Gesellschaftskritik und freiheitlichen Sozialismus Nr. 2 und Nr. 3, Hannover 1981
- H. Koechlin: Freiheit und Geschichte in der Kontroverse zwischen Albert Camus und Jean Paul Sartre, Sisyphos Aktuelle Schriftenreihe Nr. 3, Basel 1985
- H. R. Lottmann: Camus, Das Bild eines Schriftstellers und seiner Epoche, Hamburg 1986
- P. Rom: Zusammengehörigkeit – Alfred Adlers "Gemeinschaftsgefühl" und Camus "Solidarität", in: Geist und Tat, Monatsschrift für Recht, Freiheit und Kultur, (Frankfurt am Main) 1961
- Helmut Rüdiger (unter Pseudonym Observateur): Ein Verkünder der "generösen Revolution", in: Die Freie Gesellschaft, 3. Jg., Heft 33/34, 1952
- Helmut Rüdiger: Albert Camus als politischer Denker, in: Helmut Rüdiger: Sozialismus in Freiheit, Münster/Wetzlar 1978
- H. Schüssler; Albert Camus, in: Die Freie Gesellschaft, Heft 24, Oktober 1951
- Normann. Stock: Albert Camus und der Algerienkrieg, Föderalismus, Nationalismus und Gewaltkritik, in: Graswurzelrevolution (GWR Nr. 205), Februar 1996
- Normann. Stock: "Gib zu, das es Unschuldige gibt!" Albert Camus letzter Roman über seine Mutter und seine Kindheit in Algier ist eine verschlüsselte Auseinandersetzung mit dem Algerienkrieg. Buchbesprechung, in: ebd.; Normann Stock: Albert Camus verteidigen! Camus Aktivitäten und Kontakte zur anarchistischen Bewegung, in: ebd.
- Normann Stock: Albert Camus. "Der Mensch in der Revolte" - Klassische Schriften des gewaltfreien Anarchismus. in: GWR Nr. 197, April 1995
- T. Vertone: L'Oeuvre et l'Action d'Albert Camus dans la Mouvance de la Tradition Libertaire, Lyon 1984
- T. Vertone: Un appel d'Albert Camus, in: Albert Camus et les Libertaires, Volonté Anarchiste 26, Paris 1984.
Autoren: Normann_Stock und Wolfram_Beyer
Quelle: Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie: Encyclopaedia of Anarchy. Lexique de l'anarchie. - Hrsg. von Hans Jürgen Degen. - Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993-1996 (5 Lieferungen). - Loseblattsammlung in 2 Ringbuchordnern (alph. sortiert, jeder Beitrag mit separater Paginierung). Für die vorliegende Ausgabe wurde er überarbeitet.
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