Bernd Kramer - Gedenkseite
DIE BEERDIGUNG VON BERND KRAMER
findet statt am Freitag, den 19. September 2014, in Neukölln auf dem Neuen St. Thomas Friedhof/Luise Kirchhof, Hermannstr. 186, 12049 Berlin um 11.00 Uhr.
Bernd Kramer ist tot
Am 5. September 2014 ist in Berlin der anarchistische Verleger Bernd Kramer im Alter von 74 Jahren gestorben.
Bernd Kramer, am 22. Januar 1940 in Remscheid geboren, war acht Jahre Schriftsetzer und Buchdrucker, bevor er in Berlin 1967 Mitherausgeber der ersten anarchistischen Underground-Zeitung linkeck wurde. Zusammen mit seiner (im März 2014 verstorbenen) Frau Karin hatte Bernd Kramer seit Anfang der 1970er Jahre den Karin Kramer Verlag in Berlin-Neukölln betrieben, der für viele seiner Leserinnen und Leser zum Synonym für anarchistische Literatur werden sollte.
Über vier Jahrzehnte haben Bernd und Karin mit ihren Buchveröffentlichungen maßgeblich dazu beigetragen, dass auch im deutschen Sprachraum neu und vermehrt über Anarchie und Anarchismus nachgedacht und diskutiert wurde.
Die Autorinnen und Autoren des DadAWeb sowie des Lexikons der Anarchie trauern um einen lieben Freund und kämpferischen Weggefährten.
Bernd, wir vermissen Dich!
Wer seine Erinnerungen an Bernd Kramer mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Bernd-Kramer-Gedenkseite.
Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.
Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de
Reaktionen, Nachrufe und Erinnerungen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Reaktionen, Nachrufe und Erinnerungen
- 1.1 Die Urkunde. Von Knobi
- 1.2 Der junge Kramer. Von Hansjörg Viesel
- 1.3 Die Bücher des Karin Kramer Verlages werden weiterleben. Von Rengha Rodewill
- 1.4 Der Tod von Bernd Kramer: Auch eine Erinnerung an die Zukunft. Von Rolf Raasch
- 1.5 Schwarze Bücher. Von Wolfgang Haug
- 1.6 Persönlicher Nachruf auf einen Verleger. Von Albrecht Götz von Olenhusen
- 1.7 Genialer Dilettant. Ein Nachruf auf Bernd Kramer von Klaus Bittermann
- 1.8 Anarchie war machbar, Frau Nachbar. Zum Tod des Verlegers Bernd Kramer. Von Christoph Ludszuweit
- 1.9 Das ist ja wie ein ganz schlechter Traum, dass nun auch Bernd nicht mehr unter uns ist!
- 1.10 Traurig, traurig...
- 1.11 Wir sind bestürzt
- 1.12 Fassungslos + Die Urkunde. Von knobi
- 2 Werke (eine Auswahl)
- 3 Weblinks
Die Urkunde. Von Knobi
Bernd Kramer war für seine Postkarten, Briefe etc. unter FreundInnen und Bekannten berühmt und berüchtigt. Gerne was kopiertes, geklebtes, mit Kommentaren versehenes usw. als Hinweis, als Kommentar, als Freundschaftsbeweis oder „nur“ als Kunstobjekt. Als habe er im Zeitalter von Internet und e-mail ein Aktienpaket bei der gelben Post, liebte er es an toten Persönlichkeiten, wie an lebenden Menschen Mitteilungen zu verschicken. Er hatte daran einen Heidenspaß, vor allem wenn die Briefe an die Toten irgendwie zurück kamen.
Mit Karin war es einfacher zu telefonieren, oder sie im Laden des Verlages zu besuchen. Was schnell gehen musste, konnte auch per e-mail erledigt werden. Bei Bernd hatte ich oft das Gefühl, wenn ich ihn anrufen würde, könnte ich ihn stören etc. So wurde auf Postkarten/Briefe dann i.d.R. auch schriftlich geantwortet.
Und so kam es, als ich ihm meine kleine Besprechung zum Bodo Saggel-Buch (Der Antijurist oder die Kriminalität der schwarzen Roben. Karin Kramer Verlag. Berlin 1998) zur Information zuschickte postwendend – wie man so schön zu sagen pflegt – ein „Urkunde“ von Bernd als Dankeschön, erhielt – handkoloriert. Ich befürchte, dass es umsonst war, den „europäischen Buchmarkt [zu] beobachten [um zu sehen] wie die Verkaufszahlen in die Höhe sausen“. Dies konnte ich beim besten Willen nicht ermöglichen. Wenn ich es gekonnt hätte, dann hätte ich es ohne zu zögern gemacht. Aber trotz seines überschäumenden – natürlich etwas ironisch gemeinten Wunsches – habe ich mich über die „Urkunde“ gefreut.
Aber typisch war auch, und manchmal beklemmend, die Geldknappheit des Karin-Kramer-Verlages. Auch ich gehört mal zu jenen, in einer Zeit wo es mir vergönnt war, dem Verlag mit einem kleinen Kredit über 5.000 DM mal aushelfen zu dürfen, der ohne jegliches Nachfragen prompt und regelmäßig zu ihren Bedingungen zurück gezahlt wurde. Und so wurde die Urkunde notgedrungen mit einem finanziellen Hilferuf verbunden, ob ich nicht bei zwei gemeinsame Bekannten mal vorfühlen könnte, ob die nicht ein paar Ressourcen übrig hätten. Die Annahme, dass fast alle mehr Geld hatten als die beiden Kramers war ja nicht ganz so abwegig. Ich glaube nicht, dass Menschen sich an ein andauernden Zustand der Mittellosigkeit gewöhnen können. Und dort, wo die Fantasie grenzenlos ist, sind der Mangel an Mitteln um so schmerzhafter.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich nicht mehr so genau daran erinnere wie die Sache weitergegangen ist. Vermutlich ist nichts daraus geworden. So, wie aus einigen Ankündigungen die der Verlag machte, die dann aber aus den unterschiedlichsten Gründen dann doch nicht zustanden kamen (wie etwa die mehrbändige Jack London-Ausgabe, wo Karin diesen schreibenden Sozialrebellen und Abenteurer doch so liebte). Meinen vor Jahren schon gemachten Vorschlag mal ein Buch zu machen über die Bücher, die im Karin Kramer Verlag zwar angekündigt, aber nicht erschienen sind, fanden beide gut: „Mach mal“, hieß es dann, „die Vorschauen sind alle komplett vorhanden“. Aber leider kam es nicht dazu, weil ich eine faule Sau bin. Ideen entwickeln, und diese dann im Regen stehen zu lassen, gehört fast zu meinem Naturell. Auf der anderen Seite ist dies sicherlich auch gut so, denn ein Bestseller wäre dies sicherlich auch nicht geworden.
Jetzt sind beide nicht mehr. Der Verlag ist Geschichte. Was übrig bleibt ist die Idee – von so manchem, die persönlichen Erinnerung von zahlreichen Menschen, von dem was uns traurig gemacht hat, und dem worüber wir gemeinsam gelacht haben. Was bleibt ist, wie es auf der „Urkunde“ geschrieben steht: „Sei bestens gegrüßt“, aber diesmal von mir: Knobi.
Jochen ("Knobi") Knoblauch,
Berlin, 14. September 2014
Der junge Kramer. Von Hansjörg Viesel
soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird...
(Schiller, Don Carlos)
Die meisten kennen Bernd als Produzent der Zwarte Boeken, wie sie Maria Hunink vom IISG Amsterdam, dem Mekka der Anarchisten, liebevoll genannt hat.
Einige Anmerkungen zum Leben davor.
Bernd stammt aus einem proletarischen Milieu. Sein Großvater war Arbeiter, ging schon 1933 in die SA, 1934 zur NSDAP. Sein Vater Gustav (1911-1972) war ein arbeitsloser Dreher, Mitglied der KPD, 1934 verhaftet, überlebte die KZ Kemna und Börgermoor bis Anfang 1936. Er arbeitete als Bildhauer und Maler mit Ausstellungsverbot. Bernd, Jahrgang 1940, lernte und arbeitete als Schriftsetzer. Im Atelier seines Vaters baute er im Keller eine alte Druckmaschine auf und gab mit Freunden, darunter Rainer Langhans und dessen Schwester "das experiment. unabhängige zeitschrift für die jugend" heraus. Von 1961 bis 1962 erschienen drei Hefte im Handsatz - avantgardistisches Layout, Linolschnitte, Gedichte und Aufsätze; Tendenz antifaschistisch, antimilitaristisch, gegen den Mief der Nachkriegszeit, schon Texte zu Südafrika und Algerien.
Dann Berlin. In einem Fotoband von Michael Ruetz gibt es ein Foto, wo man einen schlanken, wütenden, brüllenden Bernd in einer Gruppe von Demonstranten sieht. 1967. Er war angekommen in der berliner antiautoritären Bewegung. Im selben Jahr Linkeck-Kommune mit Karin, Bernhard Fleischer (Butcher), Hartmut Sander u.a. Dazu dann die Underground-Zeitung Linkeck. Die ersten Bücher erscheinen, als Verlag firmieren sie unter "Sozial-Revolutionäre Schriften, Underground Press L ". Texte zur antiautoritären Erziehung, Psychoanalyse, Faschismus, Anarchie. Im Verlagsalmanach 1978-1980 sind die ersten 124 Titel aufgeführt (alle nicht schwarz!), auch unter dem Verlagsnamen "Infodruck Köln" oder " Editions clandestines Toulouse-Berlin". Der erste Titel war ein Mäppchen mit 4 Postkarten: Enteignet Springer! - Wie es weitergehen kann und soll wird sich zeigen. Ein erstes kollektives Projekt sollte die Fortsetzung der Bibliographie von 1979-2014 sein, damit konkret gezeigt werden kann, was der Karin Kramer Verlag in den 47 Jahren für die libertäre Bewegung geleistet hat.
Hansjörg Viesel
Berlin, im September 2014
Die Bücher des Karin Kramer Verlages werden weiterleben. Von Rengha Rodewill
Mit sehr großem Bedauern erfuhr ich, dass mein Verleger Bernd Kramer am 5. September 2014 in Berlin verstorben ist. Mein Buch EINBLICKE erschien 2012 im Karin Kramer Verlag über die bedeutende Berliner Bildhauerin Ingeborg Hunzinger, mit den außergewöhnlichen Liebesbriefen Rosa Luxemburgs an ihre Geliebten Leo Jogiches und Kostja Zetkin.
Bernd Kramer, der Mann mit den stahlblauen Augen wie die von Hans Albers, wird mir immer in liebenswerter Erinnerung bleiben, auch seiner Bitte folgend, aus Italien seine geliebten "Toscano Garibaldi" mitzubringen, wie gerne habe ich das für ihn getan und sehe ihn jetzt genüsslich den Qualm in die Luft pusten.
Der ehrwürdige Karin Kramer Verlag verliert mit Karin Kramer, die im März 2014 auch mit 74 Jahren verstarb und Bernd Kramer seine Seele. Zu hoffen ist, dass so ein alter Verlag, der über 40 Jahre nicht nur in Deutschland sehr bekannt und bedeutend war weiterleben wird, dass nicht mit dem Tod von Karin und Bernd Kramer die Verlagstür für immer geschlossen wird.
Die unzähligen Bücher des Karin Kramer Verlages werden weiterleben in Bibliotheken und in ganz vielen Bücherregalen von Menschen. EINBLICKE ist im Getty Research Institute in Los Angeles zu finden, außerdem auch im The Library of Congress in Washington DC.
Rengha Rodewill,
Berlin, 12. September 2014
Rengha Rodewill - ART - Page officielle
Der Tod von Bernd Kramer: Auch eine Erinnerung an die Zukunft. Von Rolf Raasch
Vor kurzem erst Karin und nun auch Bernd: Der Tod der Anderen scheint in der eigenen Wahrnehmung eine Beschleunigung der Lebenszeit hervorzurufen. Auch kommen verschüttete Erinnerungen plötzlich hoch, die ganz weit weg zu sein schienen: Alles wirkt nun so, als sei es erst gestern gewesen.
Eine Zeit lebt wieder in einem auf, in der man jung und voller Hoffnung auf das war, was die Zukunft noch bringen sollte: Die Zeit des Neo-Anarchismus, eine Zeit des Aufbruchs, in der alles Wünschbare möglich schien. Bernd Kramer gilt für mich als ein Urgestein dieser Epoche.
Ich kannte ihn über 40 Jahre. Für mich und für uns damalige Westberliner Junganarchos war er Anfang der 1970er Jahre die prägende libertäre Persönlichkeit - neben - vielleicht noch - Horst Stowasser. Innerhalb dieses Zeitraums gab es unterschiedlichste Intensitäten des Kontaktes zu Bernd. Angefangen mit den frühen 1970er Jahren, für mich die Zeit des Anarchistischen Arbeiterbundes (AAB), bzw. als Leser der Zeitschrift Linkeck, über die Zeiten des Austausches mit den Kramers während der Gründungszeit des Libertad-Verlages und den Gegenbuchmessen (später der Linken Buchtage).
Als ich das letzte mal intensiver mit Bernd gesprochen hatte, auf einer Veranstaltung zur Veröffentlichung einer CD mit Liedern über B. Traven in der Kreuzberger Kneipe Enzian (wohl 10 Jahre her), wirkte er warmherzig, als wenn man sich erst gestern das letzte mal gesehen hätte. Auch nachdenklich – was seinen eigenen Lebenswandel anbelangte, denn er hatte damals gerade eine schwere Krankheit überwunden.
Bernd Kramer: Der Name war und ist Programm und eng verknüpft mit dem wichtigsten deutschsprachigen Anarchismus-Verlag der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre bildete der Verlag das gesamte und vielseitige gedankliche Spektrum des deutschsprachigen Neo-Anarchismus ab. Die ideelle Spannweite und intellektuelle Qualität des Karin-Kramer-Verlages und des Neo-Anarchismus war aus heutiger Sicht enorm und wurde meiner Meinung nach später auch nie wieder erreicht. Ein Blick auf die Namensliste der Autoren in der vom Kramer-Verlag in den 1970er Jahren herausgegebenen Zeitschrift „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ spiegelt die Offenheit und Toleranz damaligen libertären Denkspektrums wider: Neben Texten anarchistischer Klassiker Autoren, die weit über das anarchistische und libertäre Spektrum hinauswirkten oder in es hineinwirkten: Paul Feyerabend, Hans Peter Duerr, Colin Ward, Pierre Clastres, Murray Bookchin, Daniel Guérin, Noam Chomsky, Paul Goodman, Augustin Souchy, Harry Pross usw. usf. Ohne Karin hätte es den Karin-Kramer-Verlag nicht nur dem Namen nach so nicht gegeben. Nach 45 Jahren Verlagsgeschichte und Bernds Tod scheint die Vorstellung seines Weitebestehens schwierig zu sein. Und irgendwie scheint auch die Zeit damit eine andere geworden zu sein.
Denn der Verlag ist und war ja auch ein Teil der politischen Zeitgeschichte, denn die Renaissance des Anarchismus in der BRD und Berlin/W. setze ab 1968 gerade auch im publizistischen Bereich ein. Zum ersten Mal seit dem Ende der Weimarer Zeit wurden wieder in einem größeren Ausmaß anarchistische Klassiker einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Vor dem Hintergrund der damaligen Auseinandersetzung mit der Erneuerung des marxistisch-leninistischen Parteitraditionalismus war das wichtigste inhaltliche Herausgabekriterium auch beim Karin-Kramer-Verlag seinerzeit die Bolschewismuskritik des Anarchismus. Entsprechend dieser Ausrichtung diente beispielsweise die Bolschewismus-Kritik Rudolf Rockers und Emma Goldmans: Der Bolschewismus. Verstaatlichung der Revolution (damals noch unter dem Verlagsnamen Underground Press L).
Neben diesem zentralen Thema rückte die Kontroverse Marx/Bakunin in den Vordergrund des Interesses. Die beginnende Neuedition der wichtigsten Schriften Bakunins und Kropotkins wurde am Anfang der 1970iger Jahre auch mit der Gründung anderer anarchistischer Verlage intensiviert.
Neben zahlreichen anarchoiden Schüler-, Lehrlings- und Studentenzeitungen entstand seinerzeit auch ein bis dahin unbekanntes publizistisches Genre: Die „Untergrundzeitung“. Lokaler Bezug, kämpferisches Vokabular, satirischer Stil, chaotisch anmutendes Layout, sowie eine politische Ausrichtung am Anarchismus, waren die typischen Merkmale dieses neuen Mediums und eben auch der Zeitschrift „Linkeck“. Ab 1967 erschienen in Westberlin die ersten Nummern des von Bernd und Karin herausgegebenen „ersten antiautoritären“ Blattes, das - heute sensationell anmutende - Auflagehöhen zwischen 4000 und 8500 Exemplaren erreichte.
Hunderte von Titeln sollten beim Karin-Kramer-Verlag bis jetzt und bis zum Schluss noch erscheinen. Viele Titel (und Äußerungen Bernds) kontrovers und quer zur gängigen linksradikalen politischen correctness – also im besten Sinne des Wortes „anarchistisch“. Auch deshalb fehlt er dringend.
Ich stelle mir vor, dass Bernd, der sehr krank war, nach dem Tod seiner Gefährtin Karin keine Lebenslust mehr hatte und wohl auch nicht mehr genug Abwehrkraft.
Angesichts dessen kann sein Tod für ihn nur eine Erlösung gewesen sein. Für die noch lebenden aber ein Verlust.
Rolf Raasch,
Berlin, 11. September 2014
Schwarze Bücher. Von Wolfgang Haug
Bernd und Karin Kramer haben mehr für die Renaissance des Anarchismus in Deutschland getan als Vielen bewusst ist, und sie übertrafen Viele, die dasselbe Interesse verfolgten. Ihre schwarzen Bücher gelangten in die entferntesten Ecken der ehemaligen Bundesrepublik und sicherlich auch in die Schweiz und nach Österreich und erreichten die Provinz genau zu dem Zeitpunkt als den frühen 70ern, die gerade 68 verpasst hatten, die entstandenen K-Gruppen suspekt vorkamen. Gegen deren Reglementierungen, deren sektenhaftes Auftreten, deren politische Rechthabereien und finanzielle Ausbeutung der Mitglieder gab es plötzlich diese Titel aus dem Kramer-Verlag, die damals zumeist noch unbekannte Namen in die Diskussion und wieder ins kollektive Gedächtnis zurück brachten: Erich Mühsams "Befreiung der Gesellschaft vom Staat", Errico Malatesta, Arschinoff, Kropotkin oder Gustav Landauers "Revolution" inspirierten zahllose durchdiskutierte Nächte und gewannen die Sympathie all derer, denen Freiheit wichtig war, auch und gerade die Freiheit von politischen Dogmen. Der Anarchismus bot den Raum zum Selbstdenken, Selbstentscheiden und Selbstorganisieren und brachte ganz nebenbei etwas zurück, was verfemt und verbrannt worden war. Und nachdem dieser Anarchismus gerade eben verstanden und verdaut worden war, kamen schon die nächsten schwarzen Bände, dieses Mal zur spanischen Revolution u.a. mit Augustin Souchy und man stand vor der neuen Herausforderung, nun den Anarchosyndikalismus verstehen zu wollen. Natürlich war die Hilfe vom "Verband linker Buchhändler" wichtig, ohne die es die Kramer Bücher von Berlin kaum bis in die verschiedensten Kleinstädte geschafft hätten, aber von diesen schwarzen Büchern selbst ging bereits eine Faszination aus, man/frau war gespannt auf das nächste....
Ich habe Bernd und Karin erst Jahre später, im Jahr 1979 auf der Gegenbuchmesse und Buchmesse in Frankfurt persönlich kennengelernt, und von da an Jahr für Jahr wieder dort zu Gesprächen getroffen. Jedes Jahr konnte ich nun ihre neusten Bücher gegen unsere Trotzdem-Verlagsbücher eintauschen und kam beglückt nach Reutlingen zurück, auch wenn die Büchereinbände zumeist nicht mehr schwarz waren, was ich innerlich immer etwas bedauerte. Die Kramer-Bücher wurden ein wesentlicher Teil unseres anarchistischen Büchertischs für Tübingen/Reutlingen und Umgebung und später natürlich auch für den Anares Vertrieb, der möglichst viele verschiedene anarchistische Titel unters Volk bringen wollte. Um so entsetzter war ich, als der Buchvertrieb der Kramers eines Tages meinte, wir dürften keine Kramerbücher mehr verkaufen, weil es in Reutlingen ja einen linken Jacob-Fetzer-Buchladen gäbe. Nun Verbote passten natürlich gar nicht zu einem anarchistischen Selbstverständnis und die wichtigsten anarchistischen Bücher nicht mehr verkaufen zu dürfen, ein Unding, das sofort böse Briefe an den Buchvertrieb auslöste und mit den Kramers direkt geklärt werden musste und natürlich dazu führte, dass wir weiter Bücher anbieten konnten.
Nun bleibt mir das Bild vom Pfeife rauchenden Bernd, der interessiert zuhören konnte und durch sein markantes Profil quasi als Prototyp eines Bakunisten durchgehen konnte. Mir bleibt auch, dass er kein Kostverächter war..., deshalb salud, cheers, prost! Bernd, bleib so lebendig in unserer Erinnerung!
Wolfgang Haug,
Grafenau, 10. September 2014
Persönlicher Nachruf auf einen Verleger. Von Albrecht Götz von Olenhusen
Der Tod von Bernd Kramer löst bei mir und seinen Freunden und Weggefährten große Trauer aus. Bernd gehörte in meiner Wahrnehmung zu den aufrechten unbeugsamen Vertretern einer verlegerischen Haltung und Praxis, die von mir seit Beginn des Verlages und seiner diversen Vorläufer und Ableger sehr geschätzt und hoch geachtet worden ist. Schon die heute rar gewordene Bibliografie seines frühen offiziellen, offiziösen und untergründigen Verlagsprogramms zeugte immer von einem direkten Bezug zu Autoren, Lesern und der politischen Richtung, der er sich zeitlebens verpflichtet gefühlt hat. Viele der in seinem Verlag veröffentlichten Werke haben die Zeitläufte gut überdauert, waren keine Eintagsprodukte und vielmehr wichtige Neuerscheinungen und Nachdrucke, die für die Diskussion und Rezeption unentbehrlich waren und blieben. Auch als Zeugnisse einer unorthodoxen Einstellung, die keiner ephemeren Moderichtung nachlief oder anhing
Schon 1973 und auch in der Folgezeit wurde seine Verlagsproduktion fürs "Handbuch der Raubdrucke" von wesentlicher Bedeutung und das wird auch in den späteren Auflagen von 2002 und 2005 sichtbar, aber erst recht in der erweiterten Auflage, die 2015 erscheinen soll.
Bernd war aber auch ein wichtiger Kenner der politischen Bewegungen und deren Historie, ob nun des 19. und 20. Jahrhunderts oder der unmittelbaren Gegenwart, vor allem auch im Bereich dessen, was gemeinhin unter "oral history" läuft.
Es wird viele geben, die ihn viel besser gekannt und erlebt haben und ihn besser würdigen können. Aus meiner Perspektive bleibt er in seiner Eigenart und als ausgeprägter Charakter und einzigartiger Verleger unvergessen: ein Radikaler im besten Sinne und im nichtöffentlichen Dienste wie für die aufnahmebereite Öffentlichkeit. Für die Verlagsgeschichte vieler Bereiche, vor allem aber des Anarchismus war er unentbehrlich, und ein interessanter, ungemein anregender und kenntnisreicher Gesprächs- und Korrespondenz-Partner.
Albrecht Götz von Olenhusen,
Freiburg, Düsseldorf, im September 2014
Genialer Dilettant. Ein Nachruf auf Bernd Kramer von Klaus Bittermann
Bernd Kramer war einer der liebenswürdigsten Dilettanten, die ich kannte. Und als Anarchist muss man Dilettant sein, sonst wäre man ja kein Anarchist. Wäre er ein hochprofessioneller Anarchist gewesen, hätten wir uns nie kennengelernt. Bernd hat u.a. als Schriftsetzer gearbeitet. Seinen Büchern hat man das nie angesehen. Aber wer achtet schon auf Ästhetik, wenn er ein anarchistisches Buch in der Hand hält? Neben den anarchistischen Klassikern, die in seinem Verlag erschienen sind und die den nicht dogmatischen Teil der Linken über die Jahre hinweg begleitet haben und die in den linken Buchläden ein eigenes Regal einnahmen, wo sie mit der Zeit Staub ansetzten, hat Bernd Kramer Autoren entdeckt, die dann bei anderen Verlagen bekannt wurden, u.a. Funny van Dannen und Thomas Kapielski.
Von dem von Hans Peter Duerr herausgegebenen legendären Periodikum »Unter dem Pflaster liegt der Strand« habe ich alle 14 Nummern. Natürlich folgte diese Zeitschrift auch dem linken Zeitgeist wie z.B. den Hexen, weil die mal eine verfolgte Minderheit waren und weil man auf deren Geheimwissen scharf war. Wenn man z.B. den ganzen Körper mit einer aus bestimmten Kredenzien zusammengerührten Salbe einschmierte, konnte man tatsächlich fliegen. Wurde da jedenfalls behauptet. Gleich in der Nummer 2 kam ein Daniel Giraud zu Wort:
»Es steht fest, daß es Anarchos gibt, die sind so klein, daß sie in die Luft springen müssen, um auf dem Boden spucken zu können. Und was hat die Anarchie damit zu tun? Das heißt, die geniale Unordnung eines Herzens in voller Auflösung? Sie wird im Namen der Hierarchie der pseudolibertären Werte mit Etiketten versehen. Das heißt, daß ich wissen möchte, wie man nach dem gewaltsamen Tode des Anarcho-Pißpotts in den Wänden der sozialen Vernunft, die das Museum der Ideen leitet, die allesamt mit dem Stroh von Opas Anarchismus ausgestopfte alte Ärsche sind, libertär sein kann und dabei sozial(istisch)en Realitätssinn haben.«
Dieses wirre Zitat gefiel mir so gut, dass ich heute noch genau weiß, wo es zu finden ist. Für all das war Bernd Kramer verantwortlich, dem keine Buchidee zu abseitig war, um sie nicht zu verwirklichen. Sein letztes Buch »Mit dem Flachmann auf Tuchfühlung. Tagebuchnotizen eines Tresenphilosophen« erschien dann bei Tiamat. Absurde und schräge Geschichten, die man nur in Kneipen erleben und sich auch nur dort ausdenken kann. Viel zu schräg, als dass sich viele Leute der Lektüre aussetzen wollten.
Am besten gefielen mir seine Postkarten, die er mir schickte, wenn er sein Kommen ankündigte, um Bücher abzuholen, Postkarten, die mit viel Liebe hergestellte großartige Kunstwerke waren. Zuletzt traf ich ihn im »Goldenen Hahn«, wo ich anlässlich der Premiere und als Beiträger der von ihm herausgegebenen Anthologie »Schwarzbuch Kreuzberg« zwei kurze Stücke vortrug. Er saß an einem Tisch auf der »Bühne« und wunderte sich, wenn Leute das Buch kaufen wollten. Das fand ich so hinreißend, dass ich es eine schreiende Ungerechtigkeit finde, wenn solche liebenswürdigen und schrulligen Leute schon mit 74 abtreten müssen.
Klaus Bittermann, Berlin
Anarchie war machbar, Frau Nachbar. Zum Tod des Verlegers Bernd Kramer. Von Christoph Ludszuweit
Am 5.9.2014 ist in Berlin der Verleger Bernd Kramer im Alter von 74 Jahren an Krebs gestorben. Am 22.1.1940 in Remscheid geboren, erlernte er noch den Beruf des Buchbinders und betrieb seit 1970 zusammen mit seiner Frau Karin den nach ihr benannten Buchverlag in Berlin-Neukölln, der zu den traditionsreichsten Verlagen des Anarchismus im deutschsprachigen Raum zählt. Ein derart breit gestreutes Verlagsangebot des Anarchismus sucht in diesem Land seinesgleichen. Zu den im Programm versammelten Autoren gehören Michael Bakunin, Peter Kropotkin, Louise Michel, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Emma Goldmann, Rudolf Rocker, Meister Eckhart, von namhaften zeitgenössischen Autoren ganz zu schweigen. Mehrfach mussten die beiden Verleger die Hand zum Offenbarungseid heben oder sich vor Gericht gegen diverse Anklagen verteidigen. Doch irgendwie schafften sie es immer wieder, allen ökonomischen Widrigkeiten, die einem Kleinverlag zusetzen, zu trotzen und fast 45 Jahre lang Bücher, Kataloge, Kalender (Der pech-raben-schwarze Anarchokalender), Zeitschriften (Unter dem Pflaster liegt der Strand) und Tonträger herauszugeben, die mehrere Generationen der antiautoritären, undogmatischen und oft zersplitterten Linken Deutschlands literarisch begleiteten.
1967 wohnten sie in der „Linkeck“-Kommune Berlin und gaben von 1968 an LINKECK heraus, die „erste antiautoritäre Zeitung“, oft beschlagnahmt, genauso wie das Nachfolgeblatt CharlieKaputt. Karin und Bernd Kramer waren stets ein politisch unkorrektes Verlegerpaar, ohne je ihren Humor zu verlieren: „die Geldstrafen stotterten wir, schon allein um die Staatsdiener zu ärgern, in Fünf-, mal in Zehn-Mark-Raten ab.“ Bernd Kramer war nicht nur Verleger, er schrieb auch gern selbst, so eine Biografie über Max Hoelz. Er beschrieb seine Rolle in einem Prolog zu B. Travens Feuerstuhl einmal so: „Wir sitzen auf dem hohen Roß, zwischen den Stühlen, in der Tinte, auf dem falschen Dampfer, in der Patsche, wie angegossen, im Glashaus, in der Scheiße, in der Klemme, am längeren Hebel, auf glühenden Kohlen.“ Bernd Kramers Thron war in den letzten Jahren kein Feuerstuhl, sondern ein Tisch im „Goldenen Hahn“ am Kreuzberger Heinrichplatz, wo er sich, meist bei Korn und Bier, mit Autoren und Autorinnen traf, um neue Buchprojekteauszuhecken oder alte zu begraben. Er widmete dieser Kneipe einen eigenen Band und beantragte gemeinsam mit dem Schriftsteller Thomas Kapielski bei der UNESCO-Kommission, dass die Gaststätte als Kulturerbe der Welt in die Liste Deutscher Denkmäler aufgenommen wird.
Nicht nur im “Goldenen Hahn”, auch anderswo wird man Bernd Kramer schmerzlich vermissen.
Christoph Ludszuweit, Berlin
Quelle: Berliner Zeitung, von Montag, 8. September 2014, S. 24.
Das ist ja wie ein ganz schlechter Traum, dass nun auch Bernd nicht mehr unter uns ist!
Vor wenigen Tagen, Anfang September, gab es in Wien eine Gedenkveranstaltung für Michail Bakunin anlässlich seines 200. Geburtstages. Als Einleitung las ich einen im Karin Kramer Verlag erschienenen und von Bernd Kramer herausgegebenen Text, wobei ich auf das Verlegerpaar noch kurz würdigend einging. Zu diesem Zeitpunkt lag aber der Gedanke fern von mir, dass uns Bernd so bald nach Karin verlassen würde. Seine oft vor Witz sprühenden Briefe haben nun für mich einen besonderen Stellenwert erhalten …
Sehr bedrückt
Gerhard Senft,
Wien 9. September 2014
Traurig, traurig...
Erst Karin, nun Bernd. Die Originale sterben aus, übrig bleiben die Erbsenzähler. Kleingeister statt Charakterköpfe. Öde wird die "Szene", trostlos. Die Nachricht erreicht mich 2 Tage nachdem ich Bernd noch eine mail schrieb mit einem Buchprojekt-/ Kooperationsvorschlag, nun mitten auf einem anarchistischen Sommercamp.
War dereinst bei Horst Stowasser kaum anders - der allerdings noch zum antworten kam. Einen Teil der Verlags- und Vertriebsarbeit scheint nun die Nachrufeschreiberei einzunehmen. Was für triste Zeiten. Ich trink´nen Schnaps auf Euch!
Viva la Anarchia!
Gerald Grüneklee / Der Ziegelbrenner (ehem. Anares),
Bremen, 7. September 2014
Wir sind bestürzt
Mit Bestürzung haben wir gerade den Tode von Bernd Kramer vernommen. Bernd war für uns nicht nur ein langjähriger Freund und ein verlegerisches Vorbild, sondern mit seinem Werk und seinem Leben ein Teil unserer politischen Sozialisation. So wie wir Karin, werden wir auch Bernd schmerzlich vermissen. Sie reißen eine Lücke, die nicht gefüllt werden kann.
Wir werden an euch denken.
Verlag Edition AV
Andreas W. Hohmann
Lich, 6. September 2014
Fassungslos + Die Urkunde. Von knobi
Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Genossinnen und Genossen.
Eine schreckliche Mitteilung erreicht mich gerade von den FreundInnen, die sich um Bernd Kramer gekümmert haben.
Gestern, am Freitag, den 5.9.2014 gegen 22 Uhr ist unser Freund und Genosse Bernd Kramer im Krankenhaus, im Beisein einiger FreundInnen, friedlich gestorben.
Die Trauer wiegt schwer. In so kurzer Zeit, zwei so wunderbare Menschen, wie Karin und Bernd Kramer zu verlieren, ist fast unerträglich.
Unsere Gedanken sind im Moment bei Daniel Kramer und seiner Familie.
Fassungslos.
Knobi
Berlin, 6. September 2014
Werke (eine Auswahl)
- Lasst uns die Schwerter ziehen, damit die Kette bricht ... Michael Bakunin, Richard Wagner und andere während der Dresdner Mai-Revolution 1849. Von Bernd Kramer. Berlin: Karin Kramer Verlag, 1999. Broschiert, 255 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen und einer Karte. ISBN-13: 978-3879562015.
- Mit dem Flachmann auf Tuchfühlung. Tagebuchnotizen eines Tresenphilosophen. Von Bernd Kramer. Berlin: Edition Tiamat, 2007 (Critica Diabolis; 151). Paperback,128 Seiten. ISBN-13: 978-3893201150.
- Schwarzbuch Kreuzberg. Literatur-Raststätte "Zum goldenen Hahn". Herausgegeben von Bernd Kramer, Béatrice Kreuzer und Erik Steffen. Berlin: Karin Kramer Verlag, 2014. Broschiert, 168 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen. ISBN-13: 978-3879563784.
- Vom Goldenen Hahn zum Heiligen Berg Athos. Bild- und Textwanderungen. Von Bernd Kramer. Herausgegeben von Erik Steffen. Berlin: Karin Kramer Verlag, 2012. Broschiert, 153 Seiten mit zahlreichen, tlw. farbigen, Abbildungen. ISBN-13: 978-3879563623
- Bernd Kramer; Aus der Leber eines Tau-Geni-X. 1. Test 0,7 Gramm. 48 S., mit. Abb., ISBN 3-87956-227-X
Weblinks
- Christoph Ludszuweit: Anarchie war machbar, Frau Nachbar. Zum Tod des Verlegers Bernd Kramer, in: Berliner Zeitung von Montag, 8. September 2014, S. 24 (noch nicht online)
- Homepage des Karin Kramer Verlages
- "Das A im strahlendem Kreis" (Interview von Bernd Drücke mit Karin und Bernd Kramer, graswurzelrevolution, Nr. 302, Oktober 2005)
- Statt Turnen. Eine zeitgenössische SPIEGEL-Reportage aus dem Jahr 1968 über Sex, Pornographie und Anarchie. Erwähnt wird dort u.a. die von dem 28jährigen Schriftsetzer Bernd Kramer und Genossen herausgegebenen Zeitschrift "linkeck".