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Federación Obrera Regional Argentina (FORA)

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Lexikon der Anarchie: Organisationen/Bewegungen | Ja In Arbeit


Die erste Ausgabe der anarchistischen Zeitung "La Protesta Humana" (Buenos Aires, 18. Juni 1897).

Die Federación Obrera Regional Argentina (FORA) war über zwei Jahrzehnte der bedeutendste Gewerkschaftsdachverband in Argentinien. Bis 1915 war sie eindeutig anarchistisch dominiert, danach überwiegend syndikalistisch, landsmannschaftlich und ideologisch geprägt durch die aus Europa eingewanderten Mitglieder der einzelnen Mitgliedsorganisationen. Richtungskämpfe, unterschiedliche Strategien, Spaltungen und Einigungsversuche durchziehen ihre gesamte Entwicklung. Gleichzeitig gelang ihr aber auch große Mobilisierungen in den sozialen Auseinandersetzungen dieser Zeit.

Geschichte

Die Entwicklung der argentinischen Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen ist nur vor dem Hintergrund der abhängigen Entwicklung des Landes und der massiven europäischen Einwanderung nach 1850 zu verstehen. Nur wenigen der zuerst überwiegend italienischen Einwanderern gelang der Sprung in die Selbständigkeit als Kleinbauer, Pächter oder Handwerker, die Masse verblieb in den Ballungszentren als abhängige Handwerker, oder wegen fehlender Ausbildung ein Leben lang als Arbeiter im Transport- Bau-, Textil- und Fleischverarbeitungsgewerbe, oder als Tagelöhner ohne feste Beschäftigung, konfrontiert mit den gleichen harten Lebensbedingungen wie zu Beginn der Industrialisierung in Europa.

Die ersten organisatorischen Anfänge der argentinischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung reichen bis in das Jahr 1857 zurück, Anfang der 70er Jahre gab es italienische, spanische und französische Sektionen der 1. Internationale. Neben Berufsgrenzen und Nationalitätenschranken war es die Spaltung in marxistisch und anarchistisch ausgerichtete Gruppierungen, vertieft durch die Spaltung der Ersten Internationale von 1872, die erste organisatorische Zusammenschlüsse behinderten. So zerbrach die erste Gewerkschaftszentrale von Ende 1890, die "Federación de los Trabajadores de la Región Argentina" (F.T.R.A.) schon wieder Ende 1892 an ihrem Gegensatz zwischen sozialistische Führung und den mehrheitlich anarchistischen Berufsverbänden. Während in den anarchistischen Zirkeln und Gruppierungen ein organisationsfeindlicher → Individualanarchismus dominierte, gewann in den 80er Jahren eine progewerkschaftliche Haltung zunehmend an Einfluß. Dies wurde besonders befördert durch den Aufenthalt des italienischen Anarchisten Errico Malatesta in Argentinien von 1885 bis 1889, der seine Ansichten über den → Anarchokommunismus in der Zeitschrift "La Questione Sociale" verbreitete, seit 1887 die Wochenschrift "El Socialista" herausgab und, zusammen mit Héctor Mattei, die kämpferische Bäckergewerkschaft von Buenos Aires organisierte.

Die noch unentschiedene Haltung der argentinischen Anarchisten kam in ihrer größten Zeitschrift "El Perseguido" (Der Verfolgte) zum Ausdruck, die zwischen 1890 und 1897 mit mehr als hundert Ausgaben erschien.

Dagegen fand die organisationsfreundliche Position seit 1897 ihr Forum in der Wochenschrift "La Protesta Humana" (ab 1904 als Tageszeitung "La Protesta"),die von dem katalanischen Tischler Gregorio Inglan Lafarga herausgegeben wurde. Sie wurde und blieb das Orientierungszentrum der anarchistischen Bewegung in Argentinien bis zu Beginn der 30er Jahre dieses Jahrhunderts, als sie der Repression der Militärregierung Uriburu zum Opfer fiel.

Der unbestritten wichtigste Förderer der gewerkschaftlichen Organisation unter den Anarchisten in Argentinien wurde um die Jahrhundertwende der italianische Anwalt und Anarchist Pedro Gori, der sich von 1898 bis 1902 im Lande aufhielt, und der sich gleichermaßen als Propagandist und Lehrer als auch Organisator hervortat. Ein Ergebnis war 1899 die Gründung einer "Federación Libertaria", die in einer Prinzipienerklärung aus fünf Punkten (Ökonomie, Politik, Familie, Religion, Nation) Ziele und Mittel der politischen und gewerkschaftlichen Aktion der Anarchisten deklarierte, die eine Synthese der herrschenden anarchistischen Richtungen darstellte.

Dies ermöglichte 1901 den ersten relevanten Zusammenschluß in der Geschichte der argentinischen Arbeiterbewegung, der anarchistische und sozialistische Gewerkschaften unter der Bezeichnung "Federación Obrera Argentina" (FOA) vereinte, von der sich 1902/3 eine sozialistische Minderheit als "Unión General de Trabajadores" (UGT) wieder trennte.

Mit der Spaltung von 1902 begann eine jahrzehntelange Tradition in der Entwicklung der argentinischen Gewerkschaftsbewegung. Wachsender Organisationsgrad jener ersten Jahre dieses Jahrhunderts ging einher mit der Eskalation der Arbeitskämpfe deren Höhepunkt der → Generalstreik vom November 1902 war, auf den der Staat mit blutiger Repression und Ausweisungen (u.a. auch Inglan Lafarga) antwortete.

Auf dem IV. Kongreß von 1904 gab sich die Föderation den Namen "Federación Obrera Regional Argentina" (FORA), als Ausdruck dafür, dass die aktuelle politische Aufteilung der Welt für die Arbeiter nicht akzeptabel sei. Ein neues Organisationsstatut (Pacto de Solidaridad) definierte ihr Selbstverständnis als das einer rein ökonomischen Organisation zur Ersetzung der herrschenden politischen und juristischen Zustände durch eine freie Föderation von freien Vereinigungen freier Produzenten (n. Sebastian Marotta), einer Formulierung, die offensichtlich von einer Entschließung der spanischen Arbeiterföderation von 1881 übernommen wurde. Der V. Kongreß von 1905 faßte einen folgenschweren Beschluß, in dem er sich zu den Prinzipien des Anarchokommunismus bekannte. Damit wurde die strikte Beschränkung auf den gewerkschaftlichen Kampf aufgegeben, der bisher die individuellen Freiheiten mit unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung sicherstellte.

Zwischen den beiden einander ausschließenden Positionen der FORA und der sozialistischen UGT entstand etwa ab diesem Zeitpunkt eine dritte Tendenz in unabhängigen wie sozialistischen und anarchistischen Gewerkschaften, die jeglichen parteipolitischen und ideologischen Führungsanspruch gegenüber der Gewerkschaftsbewegung ablehnten, da dies Ursache für die Spaltung und damit Schwächung darstelle. Diese Bestrebungen nach einer unabhängigen Gewerkschaftsföderation lehnten sich ideologisch an die Doktrinen des revolutionären → Syndikalismus an, wie sie in Europa von → Georges Sorel und Antonio Labriola vertreten wurden. Im Juli 1905 veröffentlichte die Zeitschrift "La Acción Socialista" dazu ein sieben Punkte umfassendes Programm des revolutionären Syndikalismus.

Einigungsversuche 1905 und 1907 unter Führung der Syndikalisten scheiterten am Widerstand der an anarcho-kommunistischen Positionen festhaltenden Mehrheit, unter deren Führung alle zwischen 1906 und 1910 stattfindenden Generalstreiks standen. Dies unterstreicht die eindeutige Dominanz der anarchistischen Gewerkschaften, die 1906 etwa dreimal soviel Mitglieder wie die sozialistische UGT hatten. Die Stärke der FORA läßt sich auch anhand ihrer Presse aufzeigen, denn 1909/10 erschienen neben zwei Tageszeitungen allein in der Bundeshauptstadt Buenos Aires nicht weniger als 30 Zeitungen der verschiedenen Berufgewerkschaften.

Ein weiterer Einigungsversuch 1909 führte die sozialistischen, eine Minderheit der anarchistischen unter den autonomen Gewerkschaften unter der Führung der Syndikalisten zu einer neuen Föderation "Confederación Obrera Regional Argentina" (CORA) zusammen, die die Positionen der FORA von 1904 übernahm. Die Mehrheit der FORA blieb jedoch abseits.

Ab 1909 setzte eine systematische Verfolgung und Unterdrückung der argentinischen Arbeiterbewegung ein, die zunehmende Arbeitslosigkeit mit der Krise von 1913/14 warfen die Gewerkschaften zusätzlich zurück. 1912 scheiterte ein weiterer Einigungsversuch zwischen FORA und CORA.

Im gleichen Jahr wurde ein neues Wahlgesetz beschlossen, das das allgemeine Männerwahlrecht einführte. Dies bildete die Voraussetzung für die Ablösung der bisher dominierenden Konservativen durch die Vertreter des städtischen Bürgertums, der Unión Civica Radical (UCR) unter Yrigoyen 1916.

Trotzdem blieb ein wesentlicher Teil der Arbeiter und Handwerker von der politischen Partizipation ausgeschlossen, da sie als Einwanderer nie die argentinische Staatsbürgerschaft erworben hatten. Mit der Folge, dass Aktivisten der Arbeiterbewegung jederzeit als unliebsame Auswanderer des Landes verwiesen werden konnten und auch wurden.

Erst gemeinsame Aktionen gegen die Arbeitslosigkeit führten zu neuen Einigungsbestrebungen. Die CORA löste sich 1914 auf, ihre Gewerkschaften und neugegründete autonome traten zur FORA über, nachdem sich deren Führung zur Anerkennung der Beschlüsse von 1904 bekannt hatte.

Der IX. Kongreß der wiedervereinigten FORA von 1915 versammelte Delegierte aus mehr als 50 Organisationen aus der Metropole und dem Landesinneren – darunter auch die mit Abstand größte Branchenorganisation der Eisenbahnarbeiter mit etwa 15.000 Mitgliedern – der die Grundsätze von 1904 bekräftigte. Dieser Beschluß war Ausdruck der gewachsenden Stärke der syndikalistischen Fraktion in der argentinischen Arbeiterbewegung, auch die Führungsspitze spiegelte dies wider: sie setzte sich aus sechs Syndikalisten und drei Anarchisten zusammen.

Obwohl sich einige Organisationen, die am Anarchokommunismus festhalten wollten, vom neuen Dachverband wieder trennten, und sich unter dem Namen "FORA des V. Kongresses" zusammenschlossen, blieb die FORA des IX. Kongresses zwischen 1915 und 1922 die größte und mächtigste Arbeiterorganisation, die es bis dahin in Argentinien gegeben hatte. S. Marotta spricht von dieser Periode als dem "goldenen Zeitalter" der argentinischen Gewerkschaftsbewegung. Dies scheint angesichts des Mobilisierungsgrades auch berechtigt: erreichten doch 1919 die Zahl der Streiks mit 367 und der Teilnehmer mit mehr als 300.000 allein in der Bundeshauptstadt einen Höhepunkt. Hinzu kam im Januar des gleichen Jahres ein Generalstreik (die sog. Semana Trágica), der auch auf das Landes-innere übergriff, der jede bis dahin gekannte soziale Auseinandersetzung in den Schatten stellte und alles enthielt, was zu einem Machtkampf gehört wie Ausnahmezustand, Militäreinsatz, Blutbad und Verhandlungen auf höchster Ebene.

Mit dem Jahr 1915 war die Phase der mehr oder minder deutliche Dominanz der Anarchisten innerhalb der argentinischen Gewerkschaftsbewegung abgeschlossen.

1922 löst sich die FORA IX zugunsten des neuen Verbandes "Unión Sindical Argentina" (USA) auf, der neue Dachverband erreichte jedoch nie die Bedeutung ihres Vorgängers, da viele Gewerkschaften außerhalb blieben. Das gleiche gilt auch für den folgenden Einigungsversuch von 1926, der "Confederación Obrera Argentina" (COA) unter sozialistischer Führung.

Ab 1923 führte die anarchokommunistische FORA V ihren Namen ohne den alten Zusatz, da eine Kenntlichmachung nicht mehr notwendig war. In den 20er Jahren gab es in der anarchistischen Arbeiterbewegung heftige Auseinandersetzungen zwischen der "gewaltlosen" Gruppe um die Zeitung "La Protesta" und der "enteignenden" Fraktion um die Zeitung "La Antorcha" (Die Fackel).

Der Militärputsch des Generals Uriburu von 1930 beendete jegliche relevante Aktivität der FORA als anarchistische Organisation.

Organisation

Der regionale Schwerpunkt der FORA lag, entsprechend der ungleichgewichtigen Entwicklung des Landes, stets im Großraum Buenos Aires. Bis 1915 war aber die Bedeutung von Gewerkschaften im Landesinnern so gewachsen, dass sie auf dem IX. Kongreß knapp die Hälfte der vrertretenen Organisationen stellten. Während in den Vorläuferorganisationen bis etwa 1890 vorwiegend Handwerker die soziale Basis stellten, verschob sich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts das Gewicht mehr auf die Arbeiter der exportorientierten Infrastruktur und Industrie, hinzu kamen noch die öffentlich Bediensteten.

Die ersten Berufsorganisationen waren eher Hilfsvereine auf Gegenseitigkeit als Gewerkschaften, die sich vertikal zu Berufsföderationen zusammenschlossen. Daneben bildeten sich auf lokaler Ebene Gewerkschaften unterschiedlicher Berufe, die wegen ihrer zahlenmäßigen Schwäche allein nicht organisationsfähig gewesen wären. Gerade diese spielten bei der gewerkschaftlichen Organisierung im Landesinnern eine große Rolle, die Verbindung der Landarbeiter zur Arbeiterbewegung der Städte kam über sie zustande. Berufsgewerkschaften und Gewerkschaften unterschiedlicher Berufe bildeten auf lokaler Ebene die Föderation der Arbeiter, die sich zur Provinzföderation zusammenschlossen, die dann auf Bundesebene die FOA und 1904 die FORA bildeten, die sich als regionaler Zweig der internationalen Arbeiterbewegung verstand.

Die Organisationsstruktur von 1915 unterschied sich davon: lokale Gewerkschaften und Föderationen beschickten den Kongreß der FORA, der aus seiner Mitte den Zentralrat wählte. Der Strukturwandel in der Zusammensetzung der Arbeiterschaft vollzog sich in der FORA mit Verzögerung: so stellten die Gewerkschaftsmitglieder der Transportbranche zwar 1918 schon die Hälfte aller Mitglieder der FORA, aber nur 9 von 37 Mitgliedern im Zentralrat.

1920 erreichte die FORA IX ihren organisatorischen Höchststand: 535 Mitgliedsorganisationen mit landesweit 95.000 zahlenden Mitgliedern erfüllten die Bedingungen, um auf dem XI. Kongreß durch Delegierte vertreten sein zu können.

Programm und Politik

Die FORA von 1904 sah sich als eindeutig ökonomische Organisation, verschieden von allen bürgerlichen und Arbeiterparteien, die am Ziel einer freien Föderation freier Produzenten festhielt. Diese Unabhängigkeit von jeglicher ideologischer Ausrichtung mit der strikten Beschränkung auf den gewerkschaftlichen Kampf (Streik, Boykott, Sabotage) ermöglichte es, Mitglieder unterschiedlicher ideologischer Orientierung und damit die Mehrheit der organisierten Arbeiterschaft in der Föderation zu vereinigen.

Das ausdrückliche Bekenntnis zum Anarchokommunismus im Jahre 1905 schwächte den Dachverband, da viele Mitglieder die FORA verließen.

Erst die Rückkehr zu den Prinzipien des Solidaritätspaktes von 1904 auf dem IX. Kongreß im Jahre 1915 unter dem gewachsenen Einfluß der Syndikalisten verschafft der FORA den Rang eines umfassenden Gewerkschaftsverbandes.

Eine durchgehende Konstante in der Entwicklung der FORA war die Konzentration auf direkte Aktionen des gewerkschaftlichen Kampfes unter völliger Unabhängigkeit von politischen Parteien. Damit blieb diese Position klar abgegrenzt von der der sozialistisch ausgerichten Gewerkschaften der UGT.

Literatur und Quellen

  • Abad de Santillán, Diego: La F.O.R.A., Buenos Aires 1971
  • Abellà Blasco, Mario: Historia del sindicalismo. Los obreros - la economía - la política, Buenos Aires 1967
  • Bayer, Osvaldo: Die argentinischen Anarchisten, (1977), in: Unter dem Pflaster liegt der Strand, Berlin, Nr. 5, 1978, S. 155 - 195
  • Bittner, Walter: Gewerkschaften in Argentinien. Vom Anarchismus zum Peronismus, Berlin 1981
  • Bortnik, Ruben: Breve historia de las luchas soziales en Argentina Buenos Aires 1974
  • Godió, Julio: El movimiento obrero y la cuestión nacional. Argentina: inmigrantes asalariados y lucha de clases 1880 - 1910, La Plata 1972
  • ders.: La Semana Trágica de enero de 1919, 2. Auflage, Buenos Aires 1973;S. Marotta: El movimiento sindical argentino. Su genesis y desarollo, Buenos Aires 1960/61/70
  • Oddone, Jacinto: Gremialismo proletario argentino, Buenos Aires 1975;I. Oved: El anarquismo y el movimiento obrero en Argentina, Buenos Aires 1978
  • Panettieri, José: Los Trabajadores, Buenos Aires 1968
  • Rotondaro, Ruben: Realidad y cambio en el sindicalismo, Buenos Aires 1971

Weblinks

  • "La Protesta Humana". Digitale Faksimile-Publikation mit der Möglichkeit zur Volltextrecherche. University of California. UCLA Digital Library Program - Protesta Humana, URL: http://digital.library.ucla.edu/newspaper/

Autor: Walter Bittner

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