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Ilse Schwipper - Gedenkseite

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Auf Wunsch der Tochter von Ilse Schwipper wurden zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Ilse Schwipper das auf dieser Seite ursprünglich veröffentlichte Privatfoto von ihr (aufgenommen an ihrem letzten Geburtstag am 24. Juni 2007) sowie das Foto ihres Grabes entfernt. Jochen Koblauch für die Redaktion der Ilse-Schwipper-Gedenkseite im DadAWeb.


Ilse Schwipper im Gespräch mit Bernd Drücke am Stand der Graswurzelrevolution auf der Lepziger Buchmesse 2005

Dies ist die Gedenkseite für Ilse Schwipper im DadA-Memorial. Wer Erinnerungen an Ilse Schwipper hat und diese mit uns teilen möchte, kann sie hier und ohne Registrierung auf der Diskussionsseite selbst einstellen. Wir übernehmen dann den Text auf die Hauptseite.

Ilse ist gegangen

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,

unsere Ilse Schwipper (geb. 24. Juni 1937) ist gestern nachmittag, Donnerstag, den 27. September 2007 von uns gegangen und in die hoffentlich besseren Gefilde gewechselt. Ein verlängertes Leiden blieb ihr glücklicherweise so erspart. Ihre Überzeugungen waren bis zuletzt ungebrochen.

Salud y Anarquia!

R@lf Landmesser,
Berlin, 28. September 2007


adiós, companera !

Zum ersten Mal sah ich Ilse als "Prozessbeobachter" in Berlin-Moabit. Vieles erschreckte mich, ihre sprache, ihr Revolutionsverständnis ... später dann, im Knast Moabit selber, war sie diejenige, die Kontakt zu mir aufnahm. Sie war in einem eigenen trakt isoliert untergebracht, ich zog allein meine Runden auf dem gefängnishof, ne zeitlang durch die willkür einiger Wärter dazu gezwungen. Weiterhin ihre "militaristische" Sprache, aber auch ein zutiefst solidarisches und kämpferisches Wesen.

So blieb sie wohl ihr Leben lang. Vieles von dem, was sie weiterhin motivierte, ist meinem Kampf fremd geblieben und ich weiss eigentlich nicht, ob, hätten wir uns mal direkt und in Ruhe treffen und unterhalten können, wirklich verstanden hätten.

Wie auch immer --- adiós, companera !

Wilfried


wir treffen uns...

Verpasst. Wir wollten mal zusammen uns zum Essen treffen. Mal hatten wir Dich eingeladen („aber lass uns noch mal telefonieren...“), oder Du hattest geladen („allerdings nur Brote...“) Klasse, dachte ich, wie früher bei uns zu Hause: Abends gibt es belegte Brote. „Aber lass uns vorher noch mal telefonieren...“ Tja, und so wurde leider nix daraus. Meistens trafen wir uns auf den verschiedenen Veranstaltungen im Mehringhof, im Buchladen „Schwarze Risse“ oder in der „Bibliothek der Freien“. Deine Herzlichkeit war oft überwältigend. Es gab immer Gesprächsthemen. Wo andere vielleicht abwinkten: Wen interessiert das denn noch? Warst Du immer begeisterungsfähig, interessiert, neugierig. „Knobi, dass musst Du lesen, das ist sehr interessant ... darüber müssen wir reden...“ Und hierbei ging es nicht immer „nur“ um Folter und Isolationshaft – was „natürlich“ Dein Thema war, schließlich hast Du das am eigenen Leib erfahren. Die Staatsräson hat Dich lebensgefährlich bedroht, aber nicht gebrochen.

Aber auch GenossInnenschelte hast Du mir anvertraut. Es ging nicht um Klatsch und Tratsch, nein, über jene Aufgeregtheiten, die sich halt ergeben, wenn miteinander diskutiert wird, wenn unterschiedliche Meinungen bestehen, aber die nicht immer ausgetragen und/oder von gegenseitigen Respekt stehen gelassen wurden. Die Szene (die so nicht existiert, aber doch irgendwie vorhanden ist) war auch immer bereit, hinterrücks zu mauscheln, zu tratschen, oder sogar bösartig zu sein. Und obwohl Du ja wusstest, wo ich mich engagierte, vertrautest Du mir Deine Meinung an. Mitunter fragte ich mich, womit ich eigentlich Dein Vertrauen verdient hatte? Über Deine Schwierigkeiten etwa mit der „Graswurzelrevolution“ haben wir auch geredet. Das Lob für die älteste anarchistische Zeitung, schloss die Kritik an selbiger mit ein. Und Dein „Starrsinn“ das Stadtguerilla-Konzept nicht zu verwerfen, schon weil es ein Teil Deines Lebens war, der nicht einfach in Bausch und Bogen verworfen werden kann, brachte Dich in einen Zwiespalt zu den „gewaltfreien“ AnarchistInnen.

Ich glaube nicht, dass Menschen per se Gewalt toll finden. Deine Generation hatte viel Wut und viel Trauer durchzustehen. Es war der Staat, der zuerst geschossen hat (am 2. Juni 1967) – und es war der Staat, der den bewaffneten Widerstand als erstes bewaffnete. Gut, das kam natürlich erst später heraus, dass die ersten Brandflaschen gegen die Medienhetzter des Springerverlages 1967 von einem Spitzel angeschleppt worden sind, auch dass die ersten Waffen für die „Tupamaros West-Berlin“ ebenfalls vom Verfassungsschutz kamen.

Die Geschichte (auch die verbale) ist kompliziert, und wir sind Rädchen da drin. Ich glaube, dass Ende der 1960er Jahre viele Leute keine Entscheidungsfreiheit hatten: Zu sehr waren Elternhäuser, Gerichte, Ärzte, Politiker noch im Nazigestrüpp verwoben, zu sehr wurde die aufbegehrende Jugend nicht erst genommen, sondern niedergeknüppelt. Staatsräson war alles. Ich verstehe es gut, wenn Du Dich darüber aufgeregt hast, als jetzt der Medienrummel um die vorzeitigen Entlassungen von RAF-Leuten hochgeschaukelt wurde – vor allem mit dem Tenor: alle reden von den TerroristInnen und niemand von den Opfern. Aber wer redete von unseren Opfern? Wo waren die Stimmen der Angehörigen von Benno Ohnesorg, von Petra Schelm, Georg von Rauch u.a. ganz zu schweigen von den Napalm-Opfern in Vietnam, dem Elend, das der Contergan-Skandal verursachte, die Toten von Londonderry, oder im seinerzeit faschistischen Spanien. Der Staat hat sehr viele Opfer hinterlassen, niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Es war diese Abwesenheit von Gerechtigkeit, die einige von uns Blind vor Zorn machte.

Es gibt keinen Grund, sich beim Staat zu entschuldigen! Sicherlich gab es Aktionen die weder heute noch damals zu rechtfertigen sind – das hast Du auch so gesehen, und Schuldige wie Unschuldige mussten dafür die Konsequenzen tragen (andere wurden förmlich weich in der Birne, wie etwa der RAF-Chef-Ideologe Horst Mahler, der von der RAF über die FDP heute zur NPD sich durchideologisierte). Menschen, die immer groß im Reden, immer mit der großen Klappe voraus rannten, waren uns immer suspekt.

Wir alle versuchen aufrichtig durchs Leben zu gehen, und jeder muss sich vor sich selbst rechtfertigen, für das was er und sie mit und aus seinem Leben gemacht hat. Du hast Dir nichts einfach gemacht, und Widersprüche werden uns immer antreiben, unser Handeln ständig zu überdenken. Und allein darum wirst Du uns fehlen.
Man, hätte ich mich auf Deine belegten Brote gefreut...
Ich grüße Dich, und bin mir sicher, dass wir uns noch mal treffen – wo auch immer ...

Knobi
(Spontan geschrieben am unsäglichen 3. Oktober 2007)


Todesanzeige von Ilses Freundinnen

A-Hexe.gif

Ilse Schwipper
gestorben am 27. September 2007

Wir haben gern mit Dir gestritten
Wir trauern und vermissen dich
Uta, Haike, Scout und Bea

Lebenslauf

Ich war kein Stein keine Wolke
keine Glocke und keine Laute
geschlagen von einem Engel oder von einem Teufel
Ich war von Anfang an nichts als ein Mensch
und ich will auch nicht etwas anderes sein

Als Mensch bin ich aufgewachsen
und habe Unrecht erlitten
und manchmal Unrecht getan
und manchmal Gutes

Als Mensch empöre ich mich
gegen Unrecht und freue mich
über jeden Schimmer von Hoffnung

Als Mensch bin ich wach und müde
und arbeite und habe Sorgen
und Hunger nach Verstehen
und nach Verstandenwerden

Als Mensch habe ich Freude an meinen Freunden
und habe Freude an Frau und Kindern und Enkeln
und habe Angst um sie und Sehnsucht nach Sicherheit
und will mit Menschen sein und manchmal allein sein
und bedauere jede Nacht ohne Liebe

Als Mensch bin ich krank und alt
und werde sterben
und werde kein Stein sein
keine Wolke und keine Glocke
sondern Erde oder Asche
und darauf kommt es nicht an.

Erich Fried


Weblinks und Literatur

  • Ausführlicher ist das GWR-Interview: "Ich träume noch immer von der Revolution". Ein Interview mit der Ex-Stadtguerillera Ilse Schwipper, in: Bernd Drücke (Hg.), ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, ISBN 13: 978-3-87956-307-4, Seite 221 - 233, nachzulesen
  • Kritik an RAF-Ausstellung. Von Ilse Schwipper. [1]
  • Weitere Hinweise auf diverse Interviews mit Ilse finden sich u.a. auf Indymedia



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