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Maria Regina Jünemann: Die Anarchistin

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Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: 978-3-936049-92-3.jpg
Autor/en: Maria Regina Jünemann. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Siegbert Wolf.
Titel: Die Anarchistin
Verlag: Verlag Edition AV
Erscheinungsort: Lich/Hessen
Erscheinungsjahr: 2008
Umfang, Aufmachung: (= Libertäre Bibliothek; 2). Neudruck nach d. Original 1924. Broschur. 130 Seiten.
ISBN: (ISBN-13:) 978-3-936049-92-3
Direktkauf: bei aLibro, der DadAWeb-Autorenbuchhandlung


Beschreibung

Maria Regina Jünemanns nach über achtzig Jahren erstmals wieder vorgelegter Sozialroman „Die Anarchistin“ spielt zeitlich vor dem Ersten Weltkrieg und reicht bis zur Revolution 1918/19. Das Buch lässt ein Milieu lebendig werden, dass im besonderem Maße an den ungerechten Verhältnissen des wilhelminischen Kaiserreichs mit den schlimmen Folgen des Ersten Weltkriegs und der Niederlage der Revolution 1918/19 zu leiden hatte.

Der Roman handelt von einer jungen Frau namens Irene aus proletarischem Milieu, dem sie zu entfliehen sucht. Sie stammt aus einer vielköpfigen Familie. Der Vater ist Bahnarbeiter. An ihre Kindheit hat sie nur schlechte Erinnerungen. Sie spricht von einer verprügelten, verhungerten Kindheit, „ein verlassenes, weltverlorenes armes Kind“. Fünfzehnjährig verdingt sie sich als ‚Laufmädchen’ in einem Modehaus und verkauft früh morgens am Bahnhof Zeitungen an ArbeiterInnen. Schließlich läuft sie von zu Hause weg und schlägt sich danach im Artistenmilieu als ‚Mädchen für alles’ durch. Doch auch jetzt fühlt sie sich vereinsamt und allein gelassen.

Sie beginnt zu lesen - Bücher, in denen die Besitzenden und Herrschenden des Betrugs angeklagt werden, Bücher über den Anarchismus. Sie holt ihre Schulausbildung nach. Da ihr das Lernen leicht fällt, besteht sie die Reifeprüfung mit Auszeichnung. Diesem Abschnitt des Romans, einer Schlüsselstelle, räumt die Autorin breiten Raum ein. Irene versucht herauszufinden, ob es möglich ist, Klassenunterschiede durch gegenseitige Zuneigung, Liebe und persönliche Freundschaft zu überwinden. Ihre Antwort lautet: Nein! So bleibt der eigenwilligen Protagonistin, über die gesagt wird, sie sei „ein schwieriger Charakter“, nur der Weg einer Revolutionärin. Da ihr bewusst wird, dass eine Aufhebung der Klassenunterschiede im Kapitalismus unmöglich ist, kämpft sie fortan für eine solidarische, gerechte und tatsächlich freie Gesellschaft gleicher Menschen: „Einmal nicht mehr mit dem demütigenden Gefühl dasitzen, einmal wirklich dazuzugehören, das Leben mitleben und nicht immer mit verlangenden Augen und leeren Händen am Straßenrand stehen, wo die goldenen Karossen und die lachenden Menschen vorbeifahren...“

Irene politisiert und radikalisiert sich, gerät in Kontakt mit einer Gruppe revolutionärer Studierender und entwickelt sich so zu einer anarchistischen Sozialrevolutionärin. Ihr Kampf gilt nun dem militaristischen und obrigkeitlichen deutschen Kaiserreich, dessen Aufrüstung und konkrete Kriegsvorbereitungen zum Ersten Weltkrieg 1914 führen, den die Antimilitaristin Irene mit allen Mitteln verhindern will. Wegen des Verteilens von Flugblättern, die zum Widerstand gegen das ‚Völkermorden’ aufrufen, wird sie schließlich unter dem Vorwurf des Landesverrates inhaftiert und erst zu Beginn der Revolution 1918/19 aus dem Gefängnis befreit. Beglückt über die revolutionären Ereignisse, ist ihr „auf einmal leicht und glücklich zumute. Ein Leben lang hat sie irgendeinen Weg gesucht, der nun im hellen Sonnenlicht, und gar nicht mehr zu verfehlen, vor ihr liegt. Und das Herrlichste daran ist: er führt hinauf, mitten in die strahlende, blaue Höhe hinein, bis an die Sterne – so hoch –“. Bereits kurze Zeit später endet ihr Leben während eines Barrikadenkampfes auf tragische Weise.

Für die talentierte Autorin möglicherweise sogar selbst überraschend, war das ausgesprochen positive Echo nach dem Erscheinen ihres Sozialromans „Die Anarchistin“ im Jahre 1924. Der Erfolg des Romans „Die Anarchistin“ erklärt sich wohl dadurch, dass das Buch als ein zeithistorisches Dokument gelesen und rezipiert wurde. Es richtete, ohne je den Anspruch zu erheben, eine fundierte Geschichtsschreibung ersetzen zu können und zu wollen, seinen Blick auf das oftmals traurige und triste Leben der ArbeiterInnenschaft. Zugleich beleuchtet es mit seiner Fokussierung auf den Vorkrieg, den Ersten Weltkrieg und die Revolution 1918/19 historische Ereignisse, die zum Zeitpunkt des Erscheinens von Jünemanns Roman erst wenige Jahre vergangen waren und daher viele ZeitgenossInnen noch unmittelbar bewegten.


Über die Autorin

Maria Regina Jünemann wurde am 4. August 1888 in Frankfurt am Main geboren und wuchs als Tochter des Gymnasiallehrers August Jünemann und von Elisabeth, geb. Jans, wohlbehütet auf. Ihrer Begabung entsprechend, entschied sich Maria Regina Jünemann für ein Leben als Journalistin und Schriftstellerin. Vor dem Ersten Weltkrieg zählte Maria Regina Jünemann, ebenso wie ihre Schwester Igna Maria, zum Kreis um den katholischen Arbeiterpriester und Sozialreformer Carl Sonnenschein (1876-1929). Ihre prägenden sozialarbeiterischen Erfahrungen in jenen Jahren hat sie 1913 im Auftrag des katholischen „Sekretariats Sozialer Studentenarbeit“ in der ebenfalls von Sonnenschein gegründeten „Studentenbibliothek“ unter dem Titel „Meine Residenzarbeit“ veröffentlicht. Als Ort ihres sozialen Wirkens wählte sie Krefeld, „von wo sie auch in der Nachbarschaft gelegene soziale Einrichtungen aufsuchte. Die Eindrücke, die sie im Anschluss an ihre Besichtigungen, Versammlungsbesuche und bei ihrer eigenen Hilfstätigkeit empfangen hatte, fasste sie zu lose aneinandergereihten Stimmungsbildern zusammen.

Im Anschluss an ihre Theaterzeit, die sie in den Romanen „Kämpferinnen. Roman aus der Theaterwelt“ (1922) und „Der Thepiskarren. Geschichten vom Komödiantenvolk“ (1925) literarisierte - nicht zu vergessen ihr 1924 erschienener Sozialroman „Die Anarchistin“, - arbeitete Maria Regina Jünemann als Journalistin. Neben ihrer redaktionellen Tätigkeit an der Tageszeitung „Germania“, die am 31. Januar 1933 „gegen Hitlers Machtübernahme in aller Form“ protestierte, wirkte Maria Regina Jünemann von 1929 bis 1933 als Mitherausgeberin und Autorin der in Berlin erscheinenden Zeitschrift „Gesunde Jugend. Zeitschrift für die geistige und körperliche Ertüchtigung der Jugend durch Erholungsfürsorge, Kinderaustausch, Landaufenthalt, Kinder- und Jugendheime, Ferienkolonien“. In der Zeit des Nationalsozialismus verflüchtigen sich ihre Spuren. Während Schwester Igna Maria Jünemann, „keineswegs linientreu“ , aufgrund nicht konformer Zeitungsartikel ein journalistisches Berufsverbot riskierte, verlegte Maria Regina Jünemann, inzwischen verheiratet mit dem Journalisten Dr. Rudolf Fischer, 1937 ihren Wohnsitz von Berlin nach Wien. In der Folge arbeitete sie einige Jahre in der Pressestelle der Deutschen Botschaft in Istanbul und Ankara. 1944 kehrte sie in die österreichische Hauptstadt zurück. Die Türkei, bis dato außenpolitisch neutral, brach damals die diplomatischen Beziehungen zu NS-Deutschland ab und erklärte Anfang 1945 Deutschland und Japan den Krieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte Maria Regina Jünemann weiter als Journalistin und lebte bis zum Tode ihres Lebensgefährten 1960 in Überlingen am Bodensee.


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