Marianne Kröger: "Jüdische Ethik" und Anarchismus im Spanischen Bürgerkrieg
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autorin: | Marianne Kröger |
Titel: | "Jüdische Ethik" und Anarchismus im Spanischen Bürgerkrieg |
Untertitel: | Simone Weil - Carl Einstein - Etta Federn |
Editorial: | (= Kulturtransfer und Geschlechterforschung / Transcultural and Gender Studies; Bd. 5) |
Verlag: | Peter Lang Verlagsgruppe |
Erscheinungsort: | Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien |
Erscheinungsjahr: | 2009 |
Umfang, Aufmachung: | 1. Auflage 2009. 207 Seiten, 3 Abb. Broschur. Personenregister. |
ISBN: | (ISBN-13:) 978-3631591413 |
Preis: | 39,80 EUR |
Direktkauf: | bei aLibro, der DadAWeb-Autorenbuchhandlung |
Beschreibung
Die Auseinandersetzung mit dem Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 hat in den damit beschäftigten Geschichts-, Sozial- und Literaturwissenschaften in den zurückliegenden Jahrzehnten einige Hoch- und Tiefkonjunkturen und Themenverschiebungen erlebt. Dominierte anfänglich in der Forschung noch unter dem Einfluss des Kalten Krieges die Beschäftigung mit den politischen Dimensionen des Bürgerkrieges, so konzentriert sich die Forschung seit einiger Zeit auf den Umgang mit der kollektiven Erinnerung und der Erinnerungspolitik.
Die aus drei Einzelaufsätzen bestehende Publikation von Marianne Kröger untersucht Motive und Gründe des freiwilligen Engagements dreier europäischer Intellektueller – Carl Einstein, Simone Weil, Etta Federn – zwischen 1936 und 1939 auf Seiten der Republik. Gemeinsam war ihnen neben ihrer freiwilligen persönlichen Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg die Herkunft aus dem assimilierten jüdischen Bürgertum. Die Praktiken jüdischer Identität hatten entweder bereits ihre Eltern oder sie selbst abgelegt. Dementsprechend bestand auch keine Bindung mehr an eine jüdische Gemeinde. Etta Federn und Simone Weil waren bereits vollkommen assimiliert und ohne Verbindung zu jüdischer Religion, Kultur und Tradition aufgewachsen. Carl Einstein war der einzige von ihnen, der noch ein explizit jüdisches Milieu und sowohl religiöse als auch kulturelle jüdische Gebräuche vom Elternhaus und der Gemeinde her kannte. Doch auch er löste sich davon, indem er aus der jüdischen Gemeinde austrat und sich fortan als „Dissident" bezeichnete.
Wenn die Autorin im Titel ihrer Arbeit den Begriff der ‚jüdischen' Ethik verwendet, so will sie mit den Anführungszeichen eine gewisse Skepsis an einer solchen Auffassung zum Ausdruck bringen. Denn wenn man nicht in den Abstammungswahn der Nazis verfallen oder umstandslos der jüdischen Orthodoxie folgen will, dann lässt sich das, was als ‚jüdisch' zu gelten hat, genauso wenig bestimmen wie die Definition von Juden oder Jüdinnen insgesamt.
Gleichwohl will Kröger in ihren Beiträgen versuchen nachzuvollziehen, inwiefern die Annahme gerechtfertigt sein könnte, dass die drei hier exemplarisch vorgestellten politisch engagierten Intellektuellen mit jüdischer Identität unter dem Einfluss der Säkularisierung die Prinzipien der Gerechtigkeit und Nächstenliebe aus dem religiösen Normenbereich in ein politisches — und hier insbesondere ein anarchistisches — Selbstverständnis transformierten. Die ,jüdische Identität' wird dabei als eine Sozialisationskomponente unter mehreren — mit oder ohne entsprechendem Zugehörigkeitsbewusstsein — verstanden, wobei Identität immer aus einer Vielzahl von Komponenten (etwa Geschlecht, Alter, Nationalität, sozialer Stand, ethnische Gemeinschaft, politische Solidargemeinschaft, Berufsstand, Religion usw.) zusammengesetzt ist, deren Bedeutung sich im Laufe eines Lebens je nach äußeren Einflüssen verändern kann.
Alle drei der von Kröger untersuchten Persönlichkeiten vertraten eine antinationalistische und antitotalitäre, zum Anarchismus/Anarchosyndikalismus tendierende politische Grundhaltung, die sie zu einem Engagement in den Reihen der unorthodoxen Linken, bei den Anarchosyndikalisten in Katalonien führte. Zwei von ihnen, Carl Einstein und Etta Federn waren bereits vor Ausbruch des Bürgerkrieges in Spanien und sind dem deutschsprachigen Exil zuzurechnen. Die dritte, Simone Weil, war Französin und erst nach Ausbruch des Bürgerkrieges als Freiwillige nach Katalonien gekommen, wo sie sich ebenso wie Carl Einstein der Kolonne Durruti anschloss.
Geprägt wurden alle drei von den Sichtweisen und sozialen Kämpfen ihrer Zeit und versuchten auf ihre Weise, sich darin sowohl intellektuell als auch tatkräftig zu behaupten und Entwicklungen zu beeinflussen, soweit dies überhaupt in ihrer Macht stand. Sie alle scheiterten politisch und gerieten selbst ins Fadenkreuz der Judenverfolgung durch die Nazis. Zwei von ihnen – Simone Weil und Carl Einstein – starben dadurch verfrüht. Die Dritte, Etta Federn, trug schwere gesundheitliche Schäden davon und verstarb 1951 in Paris, ohne je wieder remigriert zu sein.
Mit ihren Studien zum Spanienengagement von Carl Einstein, Simone Weil und Etta Federn hat Marianne Kröger einen wertvollen Beitrag zur kritischen Würdigung der Präsenz von ausländischen Intellektuellen innerhalb der anarchistischen Bewegung im Spanischen Bürgerkrieg geleistet. Gleichzeitig regt ihre Arbeit zu einer vertiefenden Beschäftigung mit der Erinnerungspolitik an, die derzeit in Spanien selbst eine intensive Aufarbeitung erlebt.
Jochen Schmück
Inhalt
Einleitung [7]
- Der Spanische Bürgerkrieg und das kollektive Gedächtnis [8]
- Der Krieg im Krieg: Kommunisten gegen Anarchisten und POUM [11]
- Die europäischen Freiwilligen auf Seiten der Republikaner [12]
- Zeitzeugen der Sozialen Revolution in Katalonien [13]
- Simone Weil, Carl Einstein, Etta Federn: Libertärer Sozialismus und transnationale Solidarität [14]
- Jüdische Herkunft und Anarchismus [19]
"Wir verteidigen hier die Freiheit der Welt"
Carl Einstein und Simone Weil als Freiwillige im Spanischen Bürgerkrieg [23]
- Putsch und bewaffneter Widerstand in Spanien [26]
- Carl Einstein [28]
- Simone Weil [32]
- Gemeinsamkeiten und Differenzen des Spanienengagements [38]
- Die Soziale Revolution [45]
- Bei der Kolonne Durruti und den Anarchosyndikalisten [49]
- Rückblick [58]
Carl Einstein als 'jüdischer Autor'?
Überlegungen zu einem neuen Forschungsparadigma [63]
- Stand der aktuellen Diskussion um den Begriff deutsch-jüdischer Autorenschaft oder deutsch-jüdischer Literatur [64]
- Familiengeschichte, Antisemitismus-Erfahrungen und Selbstverständnis Carl Einsteins [74]
* Familiengeschichte [74]
* Frühe Erfahrungen mit dem Antisemitismus [78]
* Selbstverständnis und Abgrenzungen [82]
- Judenphobie und politische Gegnerschaft [97]
- Zuordnungen und Abwertungen [101]
- Spurensuche nach Indizien für eine positive Identifikation mit dem Judentum [104]
- Interesse an universellen religiösen Fragestellungen [113]
- Religion und Kunst [117]
- Focus auf das Christentum [120]
- Jüdische Sozialisation, Religionsthematik und Antisemitismus in Einsteins literarischen Schriften [123]
* Das Frühwerk [123]
* Das Dramen: Die schlimme Botschaft [129]
* Das veröffentlichte Schweißfuß-Romanfragment von 1930 [133]
* Spuren jüdischer Thematik und Antisemitismus im unveröffentlichten Romanfragment BEB II [134]
- Zusammenfassung [156]
Selbstbestimmung und libertäres Denken
Die österreich-jüdische Schriftstellerin und Pädagogin Etta Federn (1883-1951) und ihr Engagement im Spanischen Bürgerkrieg [161]
- Kurzbiographie [163]
- Inhaltliche Schwerpunkte und Arbeitsthemen [170]
- Exil in Spanien und Spanischer Bürgerkrieg [179]
- Frankreich; Befreiung und Nachkriegszeit [184]
- Zur Rezeption damals und heute [187]
- Judentum und Anarchismus [192]
Personenverzeichnis [205]
Über die Autorin
Marianne Kröger, Jahrgang 1959, Studium der Germanistik, Politikwissenschaften und Lateinamerikanistik in Frankfurt am Main (Dr.phil). Mitglied der Carl-Einstein-Gesellschaft/Société-Carl-Einstein, der Gesellschaft für Exilforschung und des Arbeitskreises "Frauen im Exil". Abgesehen von den Publikationen zu Carl Einstein auch Veröffentlichungen zu den Themenbereichen Exilliteratur, Spanischer Bürgerkrieg, zeitgenössische Literatur sowie Exilpresse und -literatur in den Niederlanden, NS-Zeit, Holocaust-Literatur und Literatur der Zweiten Generation, Autobiographie- sowie Zeitzeugenforschung.
Buchveröffentlichung (als Hrsg., Übersetzerin, Verfasserin der Kurzbiographie, der Anmerkungen und des Nachworts): Etta Federn: Revolutionär auf ihre Art. Von Angelica Balabanoff bis Madame Roland. Gießen 1997. Tätig als Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, freie Publizistin, Übersetzerin aus dem Niederländischen und Spanischen sowie als Dozentin im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Mitarbeiterin beim Lexikon der Anarchie.